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Fühlt sich so der Stadtverkehr der Zukunft an?

Smart EQ

Fühlt sich so der Stadtverkehr der Zukunft an?

Eigentlich ist uns Tokio nur um sieben Stunden voraus. Doch in Ecken wie diesen misst man die Zeitverschiebung besser in Jahren. Denn im Stadtteil Akihabara gehen die Uhren ein bisschen anders. Hier, wo das Herz der japanischen Comic- und Spielewelt schlägt, wo sich Menschen wie Manga-Charaktere kleiden und einem auf der Straße gerne mal Roboter begegnen, hier leben sie in ihrer eigenen Zeit und die Grenzen zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Vision und Wirklichkeit lassen sich nicht immer ganz so trennscharf ziehen.

Von Thomas Geiger

Genau das richtige Terrain also für ein Auto wie den Smart EQ. Schließlich ist die knuddelige Designstudie, die Daimler vor ein paar Monaten auf der IAA in Frankfurt enthüllt hat, ebenfalls zwischen den Zeiten gefangen. Sie zeichnet eine sehr greifbare und realistische, deshalb aber nicht minder ferne Vision vom Stadtverkehr der Zukunft: Natürlich elektrisch und genau wie ein Car2Go-Smart nur geteilt, soll die gläserne Knutschkugel dereinst als autonomes Robotaxi durch die Städte surren und den Verkehrskollaps in Mega-Metropolen wie Tokio oder Peking wenigstens noch etwas hinaus zögern.
Während Mercedes das autonome Fahren mit Studien wie dem F015 zum Luxusgut macht, das dem Manager von Morgen Privatsphäre und Freizeit in einem immer dichteren Leben in der Öffentlichkeit garantiert, steigt Smart damit in den Markt der Robo-Taxen ein, den Analysten in rosigen Farben malen. Nicht umsonst prognostiziert zum Beispiel Goldman Sachs bis zum Jahr 2030 für autonome Flotten ein Geschäftsvolumen von 220 Milliarden Dollar. Zugleich ist der Smart Vision EQ die blechgewordene Umsetzung der neuen Unternehmensstrategie CASE: „Wir geben den Themen ein Gesicht, mit denen Mercedes-Benz Cars die Vorstellungen von zukünftiger Mobilität beschreibt,“ sagt Smart-Chefin Annette Winkler mit Blick auf die Megatrends Connected, Autonomous, Shared und Electric.
In der Vision der Daimler-Forscher könnte das „erst“ bis 2025 soweit sein, weil für das komplett autonome Fahren ohne Lenkrad und Pedale nicht nur sämtliche Gesetze geändert werden müssten, sondern auch die Entwickler noch einiges zu tun haben, um die Sensoren des Autopiloten schlau und sicher genug zu machen. Doch hier in Akihabara geben sie nichts auf Paragrafen oder Algorithmen. Sondern hier haben sie genügend Phantasie, um sich mit einer simulierten Jungfernfahrt in die nahe Zukunft beamen zu lassen.
Zwar sind deshalb alle neugierig und starren gebannt auf den Winzling, der sich blau erleuchtet und im besseren Schritttempo vorsichtig durch die neonbunte Nacht tastet. Doch Angst vor der Technik kennen sie hier nicht. Sobald der Smart EQ am Straßenrand steht und sich die großen Drehtüren wie von Geisterhand öffnen, rutschen deshalb schon die ersten Passanten auf die weiße Sitzbank in der überraschend geräumigen Kugel. Nicht umsonst steht in großen japanischen Lettern „Willkommen“ auf der Leuchtfläche, die bei konventionellen Autos mal der Kühlergrill war.
Und der Grill ist nicht das einzige, wovon man sich in diesem Fahrzeug verabschieden muss. Denn auch wenn der Smart aussieht wie ein Auto und natürlich noch immer vier Räder hat, ist er eher eine Art Raumkapsel, in der man sich einer fremden Macht anvertraut. Schließlich gibt es zum allerersten Mal in einem Modell von Mercedes weder Lenkrad noch Pedale. Man fühlt sich deshalb ein bisschen fremdbestimmt und entsprechend mulmig, wenn sich irgendwann die Türen schließen und der Smart wie von Geisterhand jenem Ziel entgegen rollt, das man vorher auf dem Smartphone in die App getippt hat – und vor allem fühlt man sich plötzlich ziemlich einsam.
Aber in der Vision der Smart-Strategen bleibt man an Bord des EQ ja nicht lange allein. Denn anders als bislang bei Car2Go ist der EQ nicht nur für das Car- sondern auch für das Ridesharing konzipiert und deshalb ständig auf der Suche nach weiteren Mitfahrern. Und damit man dabei nicht ganz so überrascht wird, wenn zum Beispiel plötzlich eine Mangaschönheit wie Yui zu einem auf das abwaschbare Kunstledersofa rutscht, kündigen sich mögliche Mitfahrer vorher auf dem großen Display mit einem ziemlich detaillierten Profil höflich an. Ein Schelm, wer dabei an eine Partnervermittlung denkt.
Doch der zweite Fahrgast spart nicht nur ein weiteres Auto auf den vollen Straßen der Zehn-Millionen-Metropole ein. Sondern er hebt tatsächlich auch die Stimmung im Smart. Denn je mehr man sich um Konversation bemüht, desto weniger nervös und gespannt verfolgt man die Arbeit des Autopiloten, zieht nicht mehr so ängstlich am Beckengurt, wenn der Smart im Verkehrsfluss bremst oder beschleunigt und vergisst deshalb irgendwann tatsächlich, dass man der Technik in diesem Auto völlig ausgeliefert ist. Statt ängstlich seine Unabhängigkeit aufzugeben, genießt man irgendwann die neue Freiheit, lässt den Blick so lange wandern, bis er am Ende doch an den grell geschminkten Augen von Yui hängen bleibt, surft durchs Internet, döst durch seinen Jetlag und fühlt sich so ungezwungen wie in der U-Bahn. Nur dass es im Smart heimeliger und geräumiger ist. Und dass das Robotaxi fährt, wann und wohin der Passagier will.
Während man sich der Situation deshalb immer weiter anfreundet und man den Taxi-Trip in die Zukunft so langsam zu genießen beginnt, rollt die buchstäblich smarte Zeitmaschine ganz langsam am Straßenrand aus, öffnet automatisch ihre großen Türen und gibt einem unmissverständlich zu verstehen, dass die Fahrt erst einmal zu Ende ist. Nicht weil wir schon am Ziel wären. Und auch nicht, weil die rund 250 Kilometer, die der 81 PS starke E-Motor bei dem gemächlichen Stadttempo von Tokio aus den induktiv geladenen Akkus quetscht, schon abgefahren sind. Sondern weil ganz einfach die Realität ruft: Die Zeit der Einbildung ist vorbei und die Zukunft muss noch ein bisschen warten. Selbst hier in den Straßen von Akihabara ist es noch 2017 und nicht 2025.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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