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Indian Chief Vintage – Full Metal Jackpot

Wenn ein Schneemobil-Gigant damit beginnt, Motorräder herzustellen, kann das, was dabei herauskommt durchaus leidenschaftlich werden.

Text: Martin Swoboda Fotos: Homolka
Es gibt da diese unheimlich beeindruckenden Motorräder aus Millwaukee, die zum überwiegenden Teil von Freiberuflern gekauft werden, wohl nicht zuletzt wegen des Status, den die Geräte deutlich zur Schau stellen helfen. Das Fahren an sich ist meist nicht das vordergründige Anliegen, eher schon das Vorfahren. Egal, jedem Tierchen sein Plaisierchen, und jedes Motorrad mehr, das bei Sonnenschein unterwegs ist mindert für die Gesammtheit der Biker die Wahrscheinlichkeit wegen allfälliger Auffälligkeiten im Fahrstil von der Exekutive zur Rede gestellt zu werden.

Und dann gibt´s da noch jene gutsituierten Herren mittleren Alters, die oft scheinbar aus heiterem Himmel vom Zweiradvirus befallen werden. Und dann gleich richtig, gravierende Infektion, die sich anfangs unauffällig entwickelt, eine 125er Vespa, spontan erstanden und dank Zusatzstempel im B-Führerschein auch legal bewegt hat nicht selten den Ausbruch der Erkrankung verursacht. Ich denke da an einen lieben Freund, der, nachdem er aus dem von ihm mitaufgebauten Unternehmen ausgestiegen ist, die neue Freiheit erst mal auf dem Roller genossen hat. Nur um noch im ersten Sommer gleich mal auf Triumph umzusatteln. Als Gentleman mit dem Hang zur Extravaganz ist er dann rasch auf eine Marke gestossen, die ihm zum passenden Stil auch die erwünschte Exclusivität versprach: Indian!
Die 1901 in Springfield (nein, nicht Simpsons, Massachustetts!) gegründete Firma war der erste Serien-und zeitweilig grösste Motorradhersteller der Welt. Erfolgreich im Sport und an der Front, Innovationsfreudig -mit dem Vierzylinder 1927 zählte man in dieser hinsicht zu den Pionieren- begann nach dem 2. Weltkrieg mit der Übernahme durch eine Investmentgruppe der Niedergang, der 1953 mit Konkurs und Produktionsstopp endete, mit dem Import und Verkauf von Royal Enfields zögerte man diesen noch ein paar Jahrehinaus. Es folgten dudtzende Eigentümerwechsel, sogar ein wahrhaftiger Indianerstamm, die Cow Creek Umpqua, zählten dazu, denen entzog man die Markenrechte mittels Prozess, viele andere scheiterten ganz banal an der üblichen Hybris, die das Führen eines großen Namens oftmals mit sich bringt.

Doch dann kam der Schneemobilgigant Polaris aus Medina, Minnesota, die hatten schon mit Victory ihre Hausaufgaben gemacht, nun waren Nägel mit Köpfen angesagt, mit einem Jahresumsatz von über 3 Miliarden Dollari kann man sich das leisten. Und weiss auch, wen man womit beauftragen muss. Den ersten Kopf, nämlich den der Zylinder, liess man wie den ganzen Motor in der Schweiz bei Swissauto entwickeln, die kennen sich sowohl mit Amis als auch mit Leistung aus, seit sie 1989 für das Brabham Formel 1 Team den Judd V8 auf Vordermann brachten. Was aber gleich auf den ersten Blick des Benzinbruders Herz höher schlagen lässt: diese Zylinderköpfe sind wahrscheinlich die schönsten Gussteile, die jeh unter einem Tank hervorschauen durften.

Zum niederknien! Wie überhaupt die von uns getestete Chief Vintage mit ihrer Verarbeitung und Liebe zum Detail besticht. Da ist alles, was glänzt, tatsächlich verchromter Stahl, keine billigen, mit Plastik verblendeten Eisentrümmer trüben das Bild oder den Ton. Und auch das Leder an der schon zwei Saisonen gelaufenen Testmaschine besticht, wunderbar gealtert, und immer noch -ziemlich- wasserdicht. Die lustigen Fransen am Sattel lassen sich dank Klettverschluss übrigens sogar zum Trocknen aufhängen, beziehungsweise, falls man mal dezent auftreten will, in den Packtaschen verstauhen. Die sich wiederum mittels genialem Schnellverschluss ebenso abnehmen lassen, wie die Sissybar, dann sieht die Chief richtig schnittig aus, nun doch die Windschutzscheibe -wieder: klick-klack- abgenommen und der Cruiser wird zum Sportler.

Na ja, fast. Immerhin wiegt die Fuhre doch fast eine halbe Tonne, vor dem Lunch, nacher vielleicht sogar knapp mehr. Beim Ausparken verschafft sich die Indian so gleich mal den nötigen Respekt, in Fahrt gekommen stellen sich rasch Kapitänsgefühle ein. Einer großen Yacht gleich schippert man durch die Landschaft, das 1800 Kubikcentimeter große Triebwerk liefert allzeit reichlich Schub, das dicke Drehmoment handelt ein völlig unproblematisch und geräuscharm zu bedienendes Getriebe. Wobei Ihr Autor rasch Gefallen daran fand, ehebaldigst in den höchstmöglichen Gang zu schalten, so wird das Tullnerfeld zum Meer, durch die verschlafenen Ortschaften tuckert man dann wie ein griechisches Fischerkaiki, köstliche Entspannung der dezenten Art. Und natürlich auch bestens geeignet, um beim Distinguished Gentlemans Ride gute Figur zu machen.

Da nimmt man gerne auch mal Passagiere an Bord, also Sissybar montiert und die Damen glücklich gemacht! Denn so ein Sofa macht sie glücklich, die schiere Masse der Indian flösst ihnen Vertrauen ein, wir dürfen uns mal wieder als starker Mann gerieren, der wiess, was Frauen wünschen. Die Hektik, zu welcher leichte, übermotorisierte Maschinen verführen, dämpft die Chief wirksam. Nicht, dass es an Leistung mangeln würde, etwaige Komapatienten in ihren Pendlerkisten sind im Handumdrehen erledigt, ein kurzer Zupfer am Gasgriff und man wird vorbeikatapultiert. Und die Bremsen, an die man beim ersten Versuch, die beeindruckende Fuhre zu zügeln unweigerlich zaghaft denkt, lassen sich die Schwerarbeit, die sie leisten müssen, nicht anmerken, sind stets untertänigst zur Stelle. Selbst bergab auf lustfördernden Serpentinenstrecken, wenn man mit dem Bremspedal am Einlenkpunkt den Schräglagenimpuls auslöst, kommen sie nicht ins Schwitzen.

Oben genannter Freund hat sich übrigens als Erste die kleine Scout zugelegt. Nur um sie beim ersten Service gegen die Chieftain einzutauschen, er hat als Ersatzmotorrad während des Werksattaufenthalts eine Chieftain bekommen. Und nicht mehr retourniert. Mit der Scout, behauptet er, war er immer zu schnell unterwegs, vor Allem in der Stadt. Mit der Chieftain ist er nun glücklich, hat im ersten Sommer schon seine zehntausend Meilen gesammelt, da muss was dran sein. Wir werden uns das noch genauer anschauen müssen, die Erfahrungen mit beiden Modellen lesen Sie wieder hier im MOTORBLOCK!
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Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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