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Kia Stinger: Müssen sich BMW & Co fürchten?

Das Oberklassegespenst

Müssen BMW & Co sich vor dem Kia Stinger fürchten?

Kia gibt sich kämpferisch: Nachdem die Koreaner gemeinsam mit der Schwestermarke Hyundai bereist Volumenmarken wie VW, Ford oder Opel eingeheizt haben, greifen sie jetzt auch nach den Sternen und drängen in die Oberliga. Denn wenn Kia Ende Oktober zu Preisen ab 43.990 Euro den Stinger vom Stapel lässt, wird die Freude am Fahren so großgeschrieben wie bei BMW und das Design so ernst genommen wie bei Audi.

Von Thomas Geiger

Nicht umsonst will sich die Coupé-Limousine mit dem stacheligen Namen vor allem mit Autos wie dem Vierer oder dem A5 messen. Getrieben wird dieser Aufstiegskampf im feinen Zwirn vor allem von zwei Männern, die ihre Gegner ganz besonders gut kennen: Designchef Peter Schreyer hat vor seinen mittlerweile zehn Jahren in Korea den Stift bei Audi geführt und Chefdynamiker Albert Biermann ist von der M GmbH in Garching ins Entwicklungszentrum nach Namyang gewechselt.

Während Schreyer dem Stinger eine wunderbar schnelle und starke Silhouette mit flachem Dach und leidenschaftlichen Hüften gezeichnet hat, die selbst mit dem ganzen Bling Bling für die Nüstern auf der Haube oder den Kiemen an der Flanke nicht ihren Reiz verliert, hat Biermann den Stinger auf der und um die Nordschleife herum zum ersten Kia getrimmt, bei dem das Fahren wichtiger ist als das ankommen: Kräftige Motoren, eine angenehm direkte Lenkung, ein adaptives Fahrwerk mit einer bei Kia bislang nicht gekannten Verbindlichkeit und Heckantrieb für das Standard- oder Allrad für das Topmodell – das sind die Zutaten, mit denen man selbst einen Koreaner zur knackigen Fahrmaschine machen kann.

Zwar baut Kia schon ins Einstiegsmodell einen Turbo-Vierzylinder mit 255 PS und für die Fraktion der Rechenschieber gibt es einen 2,2 Liter-Diesel mit 200 PS. Und weil die Deutschen auch kleinere Motoren anbieten, sind die Wunschgegner auf dem Papier sogar billiger als der selbstbewusst eingepreiste Kia. Doch wer tatsächlich auf einen Audi oder BMW verzichtet und genau in die Preislisten schaut, der kann sich für das gleiche Geld auch den Aufstieg zum 3,3 Liter großen Sechszylinder im Stinger GT leisten. Dann bekommt man für 54.900 Euro einen 370 PS starken Muntermacher, der nach Kurven giert, mit seinen maximal 510 Nm, der schnellen Achtgangautomatik und einem Sprintwert von 4,9 Sekunden hungrig die Geraden dazwischen frisst und einen verführerisch auf die Landstraße lockt. Dabei spricht der Twin-Turbo zwar spontan an und zerrt giftig an der Kette wie ein wütender Wachhund, kann aber trotzdem nicht ganz aus seiner koreanischen Haut. Denn zum richtig leidenschaftlichen Motor fehlt ihm noch die passende Klangfarbe und der Mut zur Lautstärke. Schon beim Anlassen verkneift er sich jeden vorlauten Ton und selbst im sportlichsten Modus klingt er deshalb ein viel zugeschnürter, als es sich bei so viel Leistung gehört.

Klar, kann man mit dem Stinger seinem Ziel auch möglichst schnell über die Autobahn entgegenfliegen und sich auf der linken Spur breitmachen. Nicht umsonst ist er das erste Auto aus Korea, das mehr als 250 Sachen fährt und mit seinem Spitzentempo von 270 km/h der deutschen Konkurrenz spätestens bei Vollgas eine lange Nase dreht. Aber selbst wenn einen keine künstlichen Fehlzündungen anstacheln und kein Klappenauspuff alle Bedenken niederbrüllt, wird hier zum ersten Mal in einem Kia der Weg zum Ziel. Und der hat bitteschön möglichst viele Kurven und ist gefälligst so lang wie es irgend geht. Außerdem sitzt man selbst im Fond noch sehr ordentlich und kann unter der schrägen Klappe bis zum Dach mehr als genug Gepäck einladen, so dass der Stinger durchaus zu einem kommoden Kilometerfresser taugt. Aussteigen mag man aus diesem Auto deshalb nur, wenn der Tank leer ist – was beim Sechszylinder bei entsprechender Gangart ohnehin schnell genug der Fall ist. Die 10,6 Liter jedenfalls, die auf dem Prüfstand für 100 Kilometer genügen sollen, reichen in der rasanten Praxis für kaum mehr als die Hälfte.

Gefühl ist dabei für Kia aber nicht nur eine Frage von Antritt und Agilität, sondern auch des Ambientes. Wo der noch etwas größere Optima tadellos verarbeitet ist, aber in seinem typisch koreanischen Grau eher trist und sachlich wirkt, streichen die Finger im Stinger deshalb über feines Leder und vor allem über Metallschalter, die aus dem Vollen gefräst zu sein scheinen. Und selbst der Zündschlüssel ist ein Kleinod, das an ein Feuerzeug vom Juwelier anstatt vom Tabakladen erinnert. So ungefähr müssen sich Passat-Kunden vorkommen, wenn sie zum ersten Mal in einen Audi A4 steigen.

Weil der 4,83 Meter lange Stinger vielleicht nicht der Größe nach, aber auf jeden Fall in Punkto Image an der Spitze der Modellpalette stehen soll, haben die Koreaner auch bei der Ausstattung nicht gegeizt und zusammen mit den LED-Scheinwerfern von der Abstandsregelung bis zur Rückraumüberwachung so ziemlich jedes Assistenzsystem eingebaut, dessen sie habhaft werden konnten. Nur eine Neuheit auf der Ausstattungsliste hätten sie sich bei ihrem bislang leidenschaftlichsten Projekt getrost sparen können. Den Müdigkeitswarner. Selbst wenn sie bei allem Respekt vor der Leistung Schreyers und Biermanns weder bei Audi noch bei BMW künftig schlaflose Nächte haben werden, ist bei diesem Auto doch denkbar unwahrscheinlich, dass irgend jemand schläfrig wird.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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