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Mercedes Inspiration Truck fährt allein durch Nevada

Ein Truck fährt allein durch Nevada

Mercedes Inspiration Truck – was klingt wie ein Motivationsseminar ist der erste selbstfahrende Lastkraftwagen der Welt. Während Sie den Artikel lesen, düst der Robo Truck gerade durch Nevada.

Text: Thomas Geiger
Aus dem riesigen Kühlergrill schimmert ein spaciges Blau wie bei beim Warp-Antrieb eines Raumschiffs, die silberne Haube ist mehr als mannshoch und die Kabine wirkt wie aus dem Windkanal – auf den ersten Blick sieht Daimlers neuester Truck aus wie aus einem Science-Fiction-Film. Doch der umgebaute Freightliner Cascadia kommt nicht aus Hollywood und auch nicht aus der Zukunft. Sondern er fährt im Hier und Heute – selbst wenn er die Technik von Morgen an Bord hat. Denn der „Inspiration Truck“ ist der erste autonome Lastwagen mit Straßenzulassung und nimmt jetzt im US-Staat Nevada den Testbetrieb auf.
Galt der amerikanische Trucker spätestens seit Kris Kristoffersons Rolle als Rubber Duck im Kultfilm Convoy als moderner Nachfahre des Cowboys, macht er im Ledersessel dieses Luxuslasters jetzt einen auf Captain Future. Denn als wären das Design des Aufbaus und das komplett digitale Cockpit nicht schon spacig genug, muss er nur noch einen Knopf drücken und der Truck fährt wie von selbst.

„Highway-Pilot“ nennt Daimler das System, das auf dem Radar der automatischen Abstandsregelung und einer Stereokamera fußt und den Fahrer im eigenen Wagen zum Passagier macht. Während die Elektronik stundenlang den Kurs hält, den vom Wind sanft wogenden 26-Meter-Zug mit leichten Lenkkorrekturen stabilisiert und sauber um jede Kurve zieht, wechselt die Außenbeleuchtung zum Zeichen des autonomen Betriebs von weiß auf blau und der Trucker clipst das Touchpad aus dem Cockpit. Lässig lehnt er sich zur Seite und schaut nicht mehr in die digitalen Displays an den Fensterrahmen, die ihm die Außenspiegel ersetzen. Sondern er erledigt seine E-Mails, plant die nächste Tour, surft im Internet oder lässt den lieben Gott einfach einen guten Mann sein – viel entspannter als hinter dem Steuer des Robo-Truck kann man die Meilen in Nevada kaum abreißen.

… Wir setzen die Lastwagen ein wie ganz normale Trucks und lernen mit jeder Meile dazu“, sagt einer der Entwickler. Denn im echten Leben passieren Dinge, die man auch auf der besten Teststrecke nicht nachstellen kann …





Ganz neu ist die Idee freilich nicht. Schließlich hat Daimler schon im letzten Herbst einen Future Truck präsentiert, bei dem vergleichbare Technik in einem futuristischen Actros montiert war. Doch anders als der Prototyp aus Deutschland dürfen die in weniger als einem Jahr aufgebauten US-Modelle sich jetzt auch in der Praxis beweisen. Nicht umsonst hat Nevadas Gouverneur Brian Sandoval den beiden Schaustücken stolz die offiziellen Kennzeichen an den Bug geschraubt und den Schwaben sogar den berühmten Hoover Damm für eine spektakuläre Premieren-Party überlassen.

Jetzt beginnt ein Testprogramm, das vor allem aus Routine bestehen soll: „Wir setzen die Lastwagen ein wie ganz normale Trucks und lernen mit jeder Meile dazu“, sagt einer der Entwickler. Denn im echten Leben passieren Dinge, die man auch auf der besten Teststrecke nicht nachstellen kann. Heute allerdings nicht. Sondern die Testrunde um Las Vegas ist so monoton und der Verkehr so mager, dass manch ein Trucker aus seinem konventionellen Laster neidisch in die Kabine des Freightliners schaut, wo der Fahrer ganz lässig in seinem Sessel lümmelt und die Hände nicht am Lenkrad, sondern an einem iPad hat.

So ganz abschalten darf der Trucker allerdings nicht. Zwar räumt ihm das System eine Karenzzeit von fünf Sekunden ein, weil die Sensoren immerhin ein Sichtfeld von über 250 Metern haben. Doch bisweilen braucht die Maschine Hilfe vom Menschen. Denn technisch lange nicht so ambitioniert aufgerüstet wie viele Pkw-Prototypen, kann der Inspiration Truck weder autonom überholen noch die Spur wechseln. Das Tempo ist auf knapp 90 km/h beschränkt und sobald der Truck vom Highway abbiegt, macht der Autopilot Pause. Doch dafür ist das System um so greifbarer: „Wir benutzen nur Sensoren, die wir bereits in der Serie haben oder die unmittelbar vor der Serienreife stehen, sagt Entwicklungsvorstand Sven Ennerst und unterstreicht damit einmal mehr die konkreten Absichten seiner Mannschaft.

Autonomes Fahren ist zwar ein Megatrend, den man bislang vor allem aus der Pkw-Welt kennt. Und dort beherrschen die Prototypen – nicht nur bei Mercedes – auch schon viel kompliziertere Manöver als der Robo-Truck für Rubber Duck. Doch gibt es kaum eine andere Fahrzeuggattung, die für den Autopiloten derart prädestiniert wäre wie bei Lastwagen. Denn nirgends ist die Routine größer als am Steuer eines Lkw auf einer Autobahn und nirgends sind die Fahraufgaben weniger komplex – erst recht auf den vergleichsweise leeren US-Highways mit ihren meilenlangen Geraden. Und der Fahrspaß, den uns die Pkw-Hersteller oft als Kaufgrund einreden wollen, spielt bei den Berufskraftfahren auch keine Rolle. „Es geht vor allem um Sicherheit uns Effizienz“, sagt deshalb Freightliner-Chef Martin Daum und zitiert Studien, wonach Trucker im autonomen Modus 25 Prozent weniger Ermüdungserscheinungen zeigen und zugleich der Spritzverbrauch um fünf Prozent zurückgeht. Außerdem gewinnen die Fahrer wertvolle Zeit für andere Aufgaben, können sich legal und sicher um Disposition oder Routenplanung kümmern und werden so vom Trucker zum Transport-Manager. Kein Wunder, dass Daimlers Truck-Vorstand Wolfgang Bernhard fest davon überzeugt ist, dass autonome Lastwagen die Transportwelt in der Zukunft auf den Kopf stellen werden.

Und wenn es nach der Daimler-Mannschaft geht, dann hat diese Zukunft bereits begonnen und liegt beileibe nicht mehr in weiter Ferne. Das gilt auf der Zeitachse genau wie auf der Landkarte. Denn binnen zehn Jahren wollen die Schwaben den Highway-Piloten reif für die Serie haben – und ihn bis dahin nicht nur in Nevada testen, sagt Bernhard. Sondern im nächsten Schritt soll der Robo-Truck auch durch Deutschland rollen, versprechen die Entwickler: „Die Vorbereitungen für diese Tests laufen schon.“

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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