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Warum uns Drängler so stören

Heute: Drängeln

Warum stören uns Drängler so? Die Ampel wird grün und der Fahrer neben mir steigt ins Schnellpedal als gäb’s kein Morgen und schlängelt sich vor mir rein. Sein Tag ist gerettet, er gelangt um heiße zwei Meter schneller an sein Ziel. Meiner hingegen erhält dadurch einen Schönheitsfleck. Weshalb das so ist, lesen Sie hier.

Text: Rainer Behounek
An einem gewöhnlich Tag gesellen sich zu dem Nach-vor-Schießer noch mehr Sympathieträger. Der Fahrer hinter mir parkte seine Scheinwerfer fast in meinem Kofferraum, obwohl er sieht, dass es vor mir auch nicht weitergeht. Ein paar Meter weiter wird meine Ampel grün, ich kann aber nicht fahren, weil genau vor mir einer steht, der sich gedacht hat: „Ha, eine dunkelorangene Ampel, da rausch ich noch drüber und rette zwei Minuten meines Lebens.“

Warum graben sich solche Aktionen derart in unser Wut-Zentrum hinein? Denn genau betrachtet kommt in den meisten Fällen niemand zu Schaden. Der wartet länger, der andere bremst etwas mehr, das war’s. Der Grund liegt an den Zonen.

Alle Menschen verfügen über vier Distanzzonen, die bei jedem klar abgegrenzt sind. Sie hängen von verschiedenen Faktoren ab. Kommt die Person aus einer dünn besiedelten Gegend, ist sie eher extrovertiert und kennt sie den Gegenüber und und und .

Danger Zones

Die intime Zone ist die engste um uns herum. Sie bildet einen zirka 40 Zentimeter großen Kreis um uns herum. In diesen Bereich lassen wir vertraute Personen – enge Freunde, Lebens- und Liebespartner. Der Bereich ist uns so heilig, dass ihn niemand ohne Erlaubnis durchdringen darf. Probieren Sie mal folgendes Experiment: Wenn Sie das nächste Mal auf einer Party sind, starten Sie ein Gespräch mit einer fremden Person und greifen Sie ihm/ihr dabei auf die Schulter. Nicht oft, zwei- maximal dreimal. Die Person (sofern sie ein ernstes Gespräch führen und nicht flirten) wird unterkühlt reagieren, die Füße wegdrehen oder die Hände verschränken. Es gibt Situationen, das ist das Eindringen in die intime Zone unvermeidbar, in der U-Bahn zum Beispiel. Um den respektvollen Umgang miteinander trotzdem aufrechtzuerhalten, schauen deshalb alle stoisch und teilnahmslos wie nur irgend möglich überall hin, nur nicht in die Augen des Gegenüber, um ihm zu signalisieren: Ich habe keine bösen Absichten.

In der persönlichen Zone (0,4 bis 1,5 Meter) halten sich Freunde auf. Es ist die Distanz, die wir auf Parties einnehmen und in der wir uns die Hände schütteln. Sie ist sehr wichtig, denn dort halten wir unsere täglichen Gesprächspartner, wenn wir uns wohl fühlen wollen.





Die gesellschaftliche (1,5 bis drei Meter) Zone nehmen wir ein, wenn wir an gesellschaftlichen oder geschäftlichen Anlässen teilnehmen. Diese Distanz ermöglicht zum Beispiel längeren Augenkontakt, der in den anderen beiden Zonen zu Aggressionen führen kann. Hier ist sogar das Gegenteil der Fall, flüchtige Blicke können bei einer kleinen Ansprache für Verstimmungen sorgen.

Zu guter Letzt befindet sich nach der intimen, persönlichen und gesellschaftlichen Zone die öffentliche Distanz. Dort steht der Vorgesetzte, wenn er mit seinen Mitarbeitern spricht. Diese Zone kann einen Radius von bis zu acht Metern haben.

Personen aus dünn besiedelten Gegenden oder mit introvertierten Mustern brauchen Platz, weshalb die Zonen weiter sein können. Geben Sie jemandem vom Land die Hand, stehen die Chancen gut, dass er die Hand weit nach vor streckt. Experimente zeigen, wie sehr sich die Zonen auf die jeweiligen Einstellungen auswirken können. Verhaltensforscher brachten Japaner aus Tokio mit Menschen aus dem US-Bundesstaat Ohio in einem Raum zusammen und ließen die Kameras laufen. Im Zeitraffermodus bewegten sich die Gesprächspartner ständig im Raum herum und kamen nicht zur Ruhe. Als man beide Parteien anschließend interviewte meinten die Japaner, die Amerikaner seien kühl und abweisend. Die Amerikaner meinten jedoch, die Japaner seien aufdringlich und belästigend.

Dabei versuchten beide Gruppen nur, den für sie idealen Abstand herzustellen, um in der persönlichen Zone ein freundschaftliches Gespräch aufzubauen. Blöd nur, dass Menschen aus einer zig Millionen Stadt weitaus engere Zonen besitzen als Personen, deren Nachbar vier Kilometer entfernt wohnt.

Was hat das mit dem Auto zu tun?

Nun, Forscher fanden heraus, dass das Fahrzeug die Zonen radikal vergrößert, teilweise um die bis zu fünffache Autolänge. Fährt also jemand 20 Meter vor uns aus einer Einfahrt raus, dann drängt er sich in unsere persönliche Zone und das schmeckt uns gar nicht. Egal, ob gar nicht richtig bremsen, sonder nur den Fuß vom Gas nehmen muss. Da es vor allem in der Stadt keine Ausweichmöglichkeiten gibt, schiebt sich der Vordermann direkt in unser Leben rein.

Nächstes Mal: Das Auto, der anonyme Kokon.

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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