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Neuer Porsche 911 – Druckwelle in Zuffenhausen

Der neue Porsche 911

Skandal! Bei McDonald’s gibt’s kein Hackfleisch mehr, das Playmate gibt’s nur noch angezogen, die Bahn fährt pünktlich – und Porsche mustert den Saugmotor aus.

Text: Thomas Geiger
Ganz so schlimm ist es zwar noch nicht. Doch viel fehlt nicht mehr zu diesem Szenario, das für eingefleischte Porsche-Fans offenbar der wahre Horror ist. Denn wenn die Schwaben jetzt auf der IAA das Tuch vom überarbeiteten 911 ziehen, stimmt auch Porsche ein ins Hohelied des Downsizing und bläst beim Elfer dem Sauger so langsam das Licht aus. Zwar gibt es für wahre Puristen noch immer den GT3 und den GT3 RS. Doch alle anderen müssen sich künftig tatsächlich mit einem Turbo anfreunden.
Der neue Einheitsmotor für Carrera und Carrera S hat nur noch 3,0 statt bislang 3,4 oder 3,8 Liter Hubraum, wird künftig von zwei Turbos beatmet und ist im besten Fall einen Liter sparsamer als bisher. Zwar sind Normwerte bis hinunter zu 7,4 Litern tatsächlich imposant und klingen nach Fortschritt. Doch weil Porsche weiß, dass man damit eher Kritiker als Kunden überzeugen kann, zaubern die Ingenieure noch ein paar andere Zahlen aus dem Hut.

Da wären zum einen mal die 7.500 Umdrehungen, die für einen Turbomotor schon nicht schlecht sind. Und das sind zum anderen die 20 PS und 60 Nm, die sie zusätzlich aus dem Triebwerk gekitzelt haben. Der Carrera steht deshalb künftig mit 370 PS und 450 Nm und der Carrera S mit 420 PS und 500 Nm im Datenblatt. Entsprechend flotter ist man damit unterwegs: Die Sprintzeit schrumpft im besten Fall auf 3,9 Sekunden, das Spitzentempo klettert auf 308 km/h und selbst der langsamste Elfer kratzt mit seinen 295 km/h jetzt ganz knapp an der 300er-Schallmauer.

… Während Porsche von der neuen Effizienz schwärmt, von mehr Leistung und vom höheren Tempo, fürchten die Fans um die Spontaneität des Sportwagens, um die hohen Drehzahlen und um seinen typischen Klang …

Während Porsche von der neuen Effizienz schwärmt, von mehr Leistung und vom höheren Tempo, fürchten die Fans um die Spontaneität des Sportwagens, um die hohen Drehzahlen und um seinen typischen Klang. Doch so laut, wie diese Diskussion geführt wird, gehen ein paar andere Neuerungen glatt unter. Gut, bei den Designretuschen ist das kein Schaden. Denn ohne den direkten Vergleich und die neuen Längsrippen auf der Motorabdeckung erkennt man den Unterschied ohnehin kaum. Doch dass jetzt jeder Elfer mit einem adaptiven Fahrwerk ausgeliefert und dabei einen Zentimeter tiefergelegt wird, ist schon ein Erwähnung wert. Und die Option auf eine Hinterradlenkung für den Carrera S erst recht. Schließlich wird der Sportwagen damit noch handlicher und geht noch schneller ums Eck. Auch sie ist deshalb ein Grund dafür, dass der Carrera S die Nordschleife jetzt zehn Sekunden schneller umrundet als sein Vorgänger.
Eine andere Neuerung hilft vor allem im Alltag abseits der Rennstrecke: Das überarbeitete Porsche Communication Management System. War das Infotainmentcenter bislang noch ein Gruß aus der elektronischen Steinzeit, findet Porsche jetzt auch auf der Datenautobahn den Anschluss und geht mit seinem Navigationssystem endlich online. Außerdem kann man die Ziele jetzt auch per Handschrift eingeben, es gibt ein fahrzeugeigenes WLAN-Netzwerk und die Option auf Apple Car-Play.

Turbo oder Sauger – das ist bei Porsche jetzt bald keine Frage mehr. Doch solange zumindest sechs Zylinder im Heck boxen, werden sich die Puristen schon bald wieder einkriegen. Denn die Erfahrung der letzten vermeintlichen Revolutionen in Zuffenhausen Porsche lehrt, dass der Aufschrei in der Fan-Gemeinde nach der ersten Testfahrt schnell wieder verstummt. Außerdem müssen sich die selbst ernannten Gralshüter noch auf ganz andere Neuerungen gefasst machen. Spätestens mit der nächsten Generation von Boxster und Cayman stirbt mit dem Sauger gleich auch noch der Sechszylinder.

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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