Alpine A110 GT – Froschi De Luxe

Ein Sportwagen wie er sein soll, leicht, stark, flink, noch dazu im Retro-Look und mit aktuellen Formel 1 Genen. Die Alpine A110 GT lässt einem das alte Herz höherschlagen, auch wenn einen Alter und Umfang fast schon am Einsteigen gehindert hätten.

Haha, sehr lustig. Der blade Sauer steigt in die Alpine ein. Ein Unterfangen, das sich schon von aussen betrachtet schwer ausgehen kann. Immerhin geht ihm der kleine, freche Franzosen-Sportwagen gerade mal bis zur Wam… bis zum Bauchnabel, wenn er genau daneben steht. Folgerichtig wird das Video, das die fiesen Kollegen Bracher und Stantejsky von der Aktion aufgenommen haben, zum Social Media-Hit. Nicht unbedingt auf TikTok, die ganz Jungen fangen mit Autos und dicken, weißen, alten Männern ja bekanntlich wenig an. Aber doch noch auf Instagram und auf Facebook, vor allem in Kreisen, die den Sauer kennen.

Alpine A110 GT: Eine Mordstrumm Hetz

Nun gut, soll sein. Das war es hundert Mal wert. Weil, lasst Euch sagen, Ihr hämischen Schmerz-Gönner auf Facebook und Konsorten: Wenn man einmal drinnen sitzt in der schnellen Fuhre, dann ist das sogar für aus dem Leim gegangene wie mich erstens keine unbequeme Sache und zweitens: Eine Mordstrumm Hetz.

Das bedingt schon beim Druck auf den großen, roten Knopf in der Mitte, der auch dieser Tage ausnahmsweise nichts mit irgendwelchen Atomwaffen zu tun hat. Er sorgt dafür, dass der Motor direkt hinter den Fahrerohrwascheln zum Leben erwacht. Anders, als anderswo, tut er das mit Stolz und Verve, er will durchaus gehört werden, also knurrt es gleich von vorneweg fest daher. Wohlgemerkt: Es knurrt, nicht: es scheppert, rasselt, knarzt. Gänzlich anders als etwa beim guten alten Renault Sport Clio V6, wo sich der Motor an selbiger Stelle direkt hinter dem Fahrer befand, oder, noch viel, viel früher, beim Renault 5 Turbo mit den breiten Arschbacken. Beide Autos lebten von ihrem eigenen Mythos, rein für Sportlichkeit zu leben. Und sorgten sich um Nebensächlichkeiten wie Verarbeitung, Verschalung oder sonstigen Komfort-Schmafu recht wenig.

Anders die Alpine. Die in der von uns getesteten Version schließlich ein GT hinter dem historischen Namenskürzel A110 trägt. Was unter anderem für Reisemanieren steht. Die diesem kleinen, fiesen, schnellen Flitzer tatsächlich zuzuschreiben sind – sieht man vom spartanisch dimensionierten Kofferraum ab, und da sind schon beide dafür vorgesehenen, hm, „Abteils“ eingerechnet.

Froschi, der ältere

Es folgt ein bisserl Geschichte. Die erste Alpine mit dem schicken Beinamen A110 kam im Jahr 1961 zur Welt, vor 61 Jahren also, definitiv in einer anderen Welt, aus heutiger, autounfreundlicher Sicht. Auch damals hieß die Alpine nur Alpine, es handelte sich beim Hersteller um eine kleine, französische Sportwagenschmiede aus Dieppe, die zwar stets eng mit Renault kooperierte (so stammte etwa schon der erste Motor des A110 vom Renault 8), aber erst in den 1970ern vom Staatskonzern aufgekauft wurde. Sie wurde in ihren diversen Versionen von 1961 bis 1977 gebaut, inzwischen gab es ebenso ein Cabriolet wie en GT4-Modell und auch die Rallye-Weltmeisterschaft konnte die flinke Französin mit dem nervösen Vierzylinder im Heck zweimal gewinnen: 1971 und 1973.

Der Schreiber dieser Zeilen kam erstmals als etwa Vierjähriger mit dem exotischen Automobil in Verbindung. Seine Jugendfreundin aus der Nachbarschaft, deren Vater zufälligerweise immer die selben Automobile fuhr, wie der meinige (und das waren zumeist Volvos), hatte einen richtig coolen Onkel, so einen wilden Typen mit Fell-Lederjacke und Boots. Und der fuhr eine blaue Alpine A110, von uns Kinderschar ab Tag eins als „Froschi“ bezeichnet. Eine für Kinderaugen tatsächlich naheliegende Assoziation, ob der hinter einer großen Glaskuppel versteckten Frontscheinwerfer und der an Kiemen erinnernden, am Heck links und rechts montierten Lufteinläße für die Belüftung des Motors.

Sowas prägt sich ein im autodepperten Buben, bleibt in Erinnerung über die Jahre und spielt auch dann noch eine Rolle, wenn man als juveniler, bereits für die Führerscheinprüfung angemeldeter, 17jähriger Jüngling an einem Samstagabend im Juli die Chance hat, in einem Renault Alpine A 610 mitzufahren. Von der Leichtigkeit des Originals hatte dieser zwar nicht mehr viel am Hut, mit breiter Karosserie, ernstzunehmendem Radstand und massiven Doppelscheinwerfer-Klappaugen erinnerte er eher an einer beschwerliche Version des Porsche 944 Turbo. Dem er auch kaum den Rang ablaufen konnte; gerademal 818 Exemplare fanden von 1991 bis 1995 auf die Straßen, 250 PS aus einem Dreiliter-Turbo-V6 hatten mit für damalige Verhältnisse üppigen 1,4 Tonnen Leergewicht zu kämpfen, reichten am Hietzinger Kai zwischen Unter Sankt Veit und Braunschweiggasse trotzdem mühelos für (längst verjährte!) 180 Sachen. Nicht umsonst war die 255 km/h schnelle Alpine A610 Turbo als sportliche Speerspitze des Konzerns die Begleitmusik zu den überlegenen Formel 1-Erfolgen des Williams-Renault Teams, dessen Fahrer Nigel Mansell und Alain Prost in den Formel 1-Jahren 1992 und 1993 auf nahezu abenteuerliche Art und Weise unschlagbar waren.

Alpine A610 Turbo von 1992 (© Wikipedia)

In der Folge wurde es ruhig um die Marke Alpine, die nun zu 100 Prozent im Besitz von Renault stand. Künftig nannte man seine sportlichen Ausreißer „Renault Sport“ und auch da kam einiges G’schmackiges auf den Markt, man denke an die diversen Clios, Méganes oder den eigenwilligen Renault Sport Spider, mit und ohne Frontscheibe. Erst 2017 feierte die Marke Alpine – trotz Volleigentums wieder eigenständig als Sportschmiede von Renault positioniert – ihre Auferstehung und präsentierte einen völlig neuen Sportwagen, der nicht nur im Namen Anleihen an seinen Urahn aus den Sechziger und Siebziger Jahren lieferte.

Froschi, der aktuelle

Leicht, klein, flink, handlich, so präsentierte sich die neue Alpine der begeisterten Sportauto-Welt und mit dem S, dem GT und – ganz frisch – dem R wurden nun einige leicht modifizierte Derivate präsentiert. Wir nehmen uns hier den GT vor, der gleich zwei feine Eigenschaften verbindet: Den 300 PS starken 1,8 Liter Turbo-Vierzylinder aus dem S-Modell und das etwas komfortablere Fahrwerk aus der Basis-Alpine, das einem nicht gleich bei jedem Kanaldeckel alle Plomben zieht und trotzdem noch immer straff genug für die morgendliche Sonderprüfung ins Büro bleibt.

So, nun kennen sie die Einstiegs-Situation. Und wie schon eingangs erwähnt: Wenn man einmal drinnen sitzt, dann fühlen sich die mit feinem, braunen Leder überzogenen Schalensitze, die immerhin sechsfach verstellbar sind und nicht ganz zu unrecht von Alpine als „Komfortsitze“ bezeichnet werden, ziemlich bequem an. Klar sind sie hart und steif und korrekt, was sie für längere Ausfahren über holprige Strecken als Freunde des Chiropraktikers und seiner Auftragslage qualifiziert, aber darum geht es ja nicht bei einer Alpine. Anders ausgedrückt: Man kommt eh nicht weit weg von zu Hause, wenn man die Gepäckfächer mit Gewand und sonstigem Gedöns vollfüllt, das man so alltäglich braucht.

Kraftvoll geknurrt

Der Sound der Alpine ist zum Niederknien. Balsam auf alle geschundenen Seelen, die einen Sportwagen mit gutturalem Geknurre verbinden, wenn man denn aufs Gas steigt. Der Turbo des Vierzylinders setzt früh ein, sorgt fur ausreichend Drehmoment ab sehr bald, sodass die 300 PS mit den gerade mal 1,1 Tonnen Leergewicht schon im niedrigen Tourenbereich leichtes Spiel haben: 340 Nm ab 2400 U/min sind eine Ansage. Für den Sprint auf 100 km/h werden 4,2 Sekunden veranschlagt, das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe weiß auch im Automatikmodus ganz gut, wann welcher Gang gut passt, wer es selber besser können will, kann natürlich per Schaltwippen operieren.

Ein volldigitales Display lässt den Jaeger-Fan in uns natürlich ziemlich kalt, aber es zeigt alles an, was man braucht, leuchtet schön blaurot im Dunkeln und bringt als witziges Gimmick die Tourenanzeige auch schon mal in Zahlenform. Das Mitteldisplay ist gerade groß genug, kann auch ausreichend viel und stört vor allem die Rundumsicht kaum. Wirklich feines Interieur-Design beweist die Mittelbrücke, wo Automatik-Taster, Startknopf und Elektro-Handbremse untergebracht sind, das geht wirklich kaum besser.

Das Fahren fühlt sich erstaunlich kompakt an und verleiht stets Selbstvertrauen, was natürlich bei maximaler Ausreizung gründlich schiefgehen kann. Wie ein so kurzes, so leichtes Auto mit doch recht viel Morch auf der Hinterachse insgesamt so neutral daherkommen kann, und zwar auch auf bedenklichem Straßenbelag mit Laub und Feuchtigkeit und sonstigem Herbst-Unbill, bleibt Rätsel. Hier wurde scheinbar tatsächlich hochintensive Feinstarbeit geleistet bei der Abstimmung, dass Motor und Umwelt bei höheren Geschwindigkeiten ziemlich laut werden können, liegt in der Natur der Sache. Abermals sei angemerkt: Wir sprechen hier bloß von organischem Lärm. Die Verarbeitung der doch recht vielfältigen Innenwelt der Alpine ist insofern hervorragend, dass nichts knarzt oder knarrt, ausser vielleicht die lederne Rückenlehne an der direkt dahinter liegenden Motorabdeckung, wenn man den Sitz ganz nach hinten dreht (unelektrisch, wie sichs gehört!) und den Platz für den Fahrersitz bis ins letzte ausnutzt.

Fazit

So viel Fahrspaß ist kaum zu fassen, noch dazu, wenn er so sympathisch verpackt daherkommt, wie in der Alpine A110 GT. Tatsächlich zaubert man auch eingefleischten Autofeinden ein Lächeln auf die Lippen, wenn man mit ihr um die Ecke kommt. Selbst Radfahrer nehmen einem (großräumiges, eh klar) Überholen nicht übel, wenn man sich mit ihnen die Landstraße teilt. Und wenn man es mal richtig fliegen lässt für ein paar Kurven, holen einen fest zupackende Bremsen in die Realität hinter dem SUV mit Kleinfamilie darin auf Sonntagsausflug zurück.

Was kostet der Spaß? Als GT werden hierzulande für die Alpine A110 satte 75.300 Euro veranschlagt, doch recht viel für ein reines Spaßmobil, das die Alpine bei aller Gunst, die wir ihr gewähren, nun mal bleibt. So falsch dürften die spaßbegabten Franzosen mit ihrer Kalkulation diesbezüglich allerdings nicht liegen: Im Gegensatz zum sonst landläufigen Trend sind die Alpine-Verkäufe im ersten Halbjahr 2022 ziemlich deutlich angestiegen, in Österreich sogar um beeindruckende 115 Prozent. Da ziehen wir den Hut – auch weil wir sonst wirklich nienienie wieder auf der engen, aber witzigen Fuhre wieder aussteigen könnten.

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