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Cadillac Escalade: Titan im feinen Zwirn

Das Imperium schlägt zurück. Denn auch wenn sie in Detroit auf der Electric Avenue noch nicht so viel zu melden haben und mit ihren Limousinen schon lange nicht mehr punkten können, gibt es bei General Motors zumindest ein Auto, das die Konkurrenz in den Schatten stellt – und das gilt nicht nur wegen seines stattlichen Formats. Sondern wenn irgendwo der Cadillac Escalade auftaucht, würdigen die Passanten selbst einen Bentley Bentayga keines Blickes mehr, von einem Mercedes GLS oder einem BMW X7 ganz zu schweigen. 

Das war schon immer so, und es gilt heute mehr denn je. Nicht umsonst ist der Big Mac beim letzten Generationswechsel schon wieder etwas gewachsen, streckt sich nun schon in der Standardversion auf 5,38 Meter und mit verlängertem Radstand gar auf knapp 5,80 Meter und trägt von den 22-Zöllern bis zum Grill mehr Lametta als der Christbaum vor dem Rockefeller Center – und das nicht nur an Weihnachten. 

Zwar bedient der Cadillac damit die alten Triebe, wirkt aber überraschend frisch und modern. Wofür haben die Designer schließlich die schmalsten Scheinwerfer installiert, die es im GM-Regal gibt und dabei auf modernste LED-Technik gesetzt. Nur hinten bleibt es bei den riesigen roten LED-Lanzen, die fast die gesamte Höhe der Heckklappe einnehmen.

Ganz im hier und heute wähnt man sich auch hinter dem mächtigen Lenkrad, wenn der Blick auf das erste gebogene Digitalcockpit mit OLED-Technik fällt und die Bildschirmlandschaften eines BMW oder Mercedes angesichts doppelt so vieler Pixel wie bei einem 4K-Fernseher plötzlich so antiquert wirken wie ein Schwarz-Weiß-Film im Multiplex-Kino. Und zu der 38 Zoll großen Leinwand gibt’s eine ausgesprochen verständige Sprachsteuerung, ein Soundsystem mit bis zu 36 Lautsprechern und allerlei Gadgets aus dem Media-Markt – vom Nachtsichtsystem über die Augmented Reality Technik für die Navigation bis zur Kamera, die auf Knopfdruck mehr Rücksicht bietet als der herkömmlichen Innenspiegel. Erst recht bei voll besetztem Fond.

Vor allem aber gibt es Platz in Hülle und Fülle: Der Escalade ist weniger ein Wagen als eine Wohnung auf Rädern und umgarnt die Kunden mit einer Opulenz, wie man sie sonst allenfalls nur von Hotelsuiten kennt: Die Sessel sind bequemer als daheim in der guten Stube. Der Nachwuchs hat auch in der dritten Reihe mehr Platz als in den meisten Kinderzimmern. Und der Kofferraum fasst mit maximal 3,5 Kubikmetern für den langen Escalade mehr als manche großstädtischen Kellerräume. 

Entsprechend klein fühlt man sich in einem anderen Auo und umso erhabener hinter dem Steuer: Wer erst einmal über die elektrisch ausfahrbaren Trittleisten auf seinen ledernen Thron geklettert ist, der genießt sein Leben als King of the Road und lässt sich vom Magnetic-Ride-Fahrwerk auf Wolken betten. Zwar machen auch bis zu 1.000 elektronische Justierungen pro Sekunden und der Dynamic-Modus fürs gesamte Fahrzeugsetup aus dem Schwergewicht keinen Sportwagen. Und egal wie das Auto gerade programmiert ist, arbeitet man am Lenkrad wie ein Busfahrer. Aber bequemer als mit dem Escalade kann man kaum über die Autobahn bummeln. 

Dabei genießt man eine Ruhe, wie man sie sonst nur in der Wüste von Arizona oder auf den großen Plains von Colorado erleben kann. Denn solange man am Gaspedal auch nur ein bisschen Zurückhaltung übt, dringt dank der noch einmal verbesserten Dämmerung kein Mucks aus dem Maschinenraum in die luxuriöse Lounge für die wohlhabende Großfamilie.

So modern sich der Escalade gibt, ist er ein SUV nach alter Väter Sitte und steht auf einer soliden Architektur mit Heckantrieb und massivem Stahlrahmen, die beim Generationswechsel allerdings drei Zentner abgespeckt hat und trotzdem noch gute 2,5 Tonnen wiegt. Dazu gibt es – wie könnte es anders sein – einen V8 mit den bei GM üblichen 6,2 Litern Hubraum und 420 PS, die ihre Arbeit nur gegen Aufpreis an allen vier Räder verrichten.

Allerdings hält auch hinter dem mächtigen Grill des Escalade der Zeitgeist Einzug. Jedoch nicht wie sonst überall mit einem Elektro- oder zumindest einem Plug-In-Antrieb, sondern mit einem Motor, den man bei den Amerikanern zu allerletzt erwartet hätte. Denn während sie jenseits des Atlantiks den Wolfsburger Abgasskandal so laut angeprangert haben, dass sich von den Deutschen kaum mehr einer zum Diesel bekennt, setzen jetzt ausgerechnet GM & Co auf den Selbstzünder. Der hat im Escalade sechs Zylinder mit zusammen 3,0 Litern Hubraum, 277 PS und mehr als 600 Nm und macht seine Sache ausnehmend gut: Denn wenn der Koloss erst einmal aus dem Turboloch geklettert ist, rollt er so sanft und seidig und vor allem so souverän dahin, dass die Fahrt ewig so weitergehen könnte. Und selbst wenn der Bleifuß nie so recht in Versuchung kommt, sollten knappe 200 km/h locker drin sin. 

Aber warum rasen, wenn man so wunderbar reisen kann? Derart entschleunigt lernt man schnell auch ein weiteres Hightech-Feature des Escalade zu schätzen: Den „Super Cruise“. Denn wo andere sich noch schwertun mit der Übernahme der Fahraufgaben, entlässt dieser Autopilot nun auch die Escalade-Fahrer auf entsprechend digitalisierten Straßen oft minutenlang in die Freihändigkeit und macht den sanften Riesen so gar vollends zum Blutdrucksenker – wie gut, dass mit einem Tank sicher 600, vielleicht sogar 800 Kilometer drin sind. My Caddy is my Castle– und das verlässt man freiwillig nicht mehr so schnell. 

In den USA führt der Escalade zwar seit mehr als 20 Jahren unangefochten das Segment der Luxus-SUV, doch diesseits des Atlantiks tut sich der Titan im Smoking erfahrungsgemäß etwas schwer, hat wenig Fans und viele Feinde. Und weil sich die Amerikaner bei uns einen grünen Anstrich geben wollen und deshalb vor allem auf den elektrischen Lyriq warten, gibt es diesmal offiziell einen Ausreisestopp. Doch des einen Leid ist des anderen Freud, so dass die freien Importeure bereitwillig in die Bresche springen und Überzeugungstätern gerne einen Escalade ins Land holen. Allerdings muss die Liebe schon groß und das Portemonnaie dick sein. Denn auch beim Preis beweist der Escalade wahre Größe. Selbst in USA kein Schnäppchen und schnell sechsstellig, ist er bei uns kaum unter 140.000 Euro (D) zu haben – und stellt damit auch in dieser Disziplin Konkurrenten wie den Mercedes GLS oder den BMW X7 in den Schatten.

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