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Corvette C8: Ab durch die Mitte

Amerika, was ist nur los mit Dir? In die Politik kehrt zwar so langsam wieder Ruhe ein, nachdem der orange Wirrkopf Washington endlich den Rücken gekehrt hat. Doch Deine Burger werden vegan, Deine Pick-Ups fahren bald elektrisch und die Mutter aller Musclecars bekommt jetzt einen Mittelmotor. Denn wenn in diesen Tagen zu Preisen ab 86.900 Euro (D) für das Coupé mit herausnehmbarem Targa-Dach oder 93.400 Euro (D) für das erste Cabrio mit massivem Faltdach in der immerhin mehr als 70 Jahre währenden Corvette-Geschichte die Generation Acht auch nach Europa kommt, sitzt der traditionelle V8 nicht mehr unter der langen Haube, sondern tobt wie etwa bei Ferrari, Lamborghini oder McLaren im Nacken der Insassen. 

Auf den ersten Blick ist das buchstäblich ein wenig irritierend. Denn so spektakulär die C8 für sich betrachtet wirkt, wird sie mit den zurecht gestutzten Proportionen neben anderen Supersportwagen plötzlich ziemlich austauschbar und weckt als McFerraghini eine sentimentale Sehnsucht nach den Coke-Bottle-Formen früherer Generationen. Doch es braucht nur ein paar Kurven, dann ist alle Kritik vergessen und man beginnt begeistert zu nicken. Wo die Corvette bislang vor allem auf der Graden schnell war und ihre Kraft wie mit dem Holzhammer herausgeprügelt hat, lässt sie sich jetzt der besseren Gewichtsverteilung sei Dank viel präziser führen: Die Lenkung ohne die Last des Motors leichter und präziser, der Schwerpunkt dort, wo der Fahrer das Popometer hat, und auf der Hinterachse mehr Gewicht und damit mehr Traktion – so fährt die neue Corvette um die alte Kreise, lenkt viel früher ein, kommt viel schneller ums Eck und schießt entsprechend schneller wieder mit Vollgas davon. Erst recht, weil der C8 erstmals auch eine Doppelkupplung in der Corvette Einzug hält und für einen nahtlosen Kraftfluss ohne Gedenksekunden sorgt. Und ganz nebenbei wird so der Bug flacher und der Fahrer sieht mehr von der Straße, was kein Schaden ist, wenn man die perfekte Linie sucht.

So europäisch das Antriebskonzept ist, so amerikanisch bleibt der Motor: Wie eh und je setzt Chevrolet auf einen V8, der mit seinen 6,2 Litern Hubraum dem Namen „Small Block“ nun wirklich nicht gerecht wird. Und nicht nur, dass die Amis den kleinen Hubräumen der Konkurrenz Hohn sprechen. Sondern auch von Turbo & Co wollen sie nichts wissen und belassen es beim guten alten Sauger, der höher dreht und lustvoller läuft. Nur der Sound ist leider ziemlich mau und lässt selbst mit dem Sportauspuff ein bisschen vom alten Motown-Krawall vermissen, weil der Filter im Endrohr eben nicht nur Partikel schluckt, sondern auch die PS-Partitur plättet. Die Daten dagegen sind über jeden Zweifel erhaben: 482 PS und 613 Nm, reichen für einen Sprintwert von 3,5 drei Sekunden und ein Spitzentempo von 296 km/h – schneller war das Basismodell der Corvette noch nie.

Es gibt neben dem politisch völlig inkorrekten und deshalb um so begehrlicheren Motor aber noch einen Unterschied zu den Spitzensportlern von McLaren, Ferrari oder Lamborghini: Weil die Entfernungen groß sind den USA und die Fahrten lang, bietet die Corvette überraschend viel Reisekomfort. Im Touringmodus fast schon zu leise und mit den magnetisch gesteuerten Dämpfern butterweich abgestimmt, fühlt man sich wie in einem tiefergelegten Cadillac und kann nicht nur von Kurve zu Kurve hetzen, sondern auch von Küste zu Küste gleiten. Wer mag, sogar mit freiem Blick zum Himmel. Denn auch das neue Corvette Coupé ist wieder ein Targa und hat deshalb ein Dachelement zum Herausnehmen. Das hindert Chevrolet freilich nicht an der Neuauflage eines Corvette Cabrios, das – ebenfalls eine Premiere – diesmal mit versenkbarem Hardtop kommt. Das braucht gerade mal 17 Sekunden für den Striptease und legt den Hut so geschickt übers Hinterteil, dass nichts von dem ohnehin eher knappen Kofferraum verloren geht, der sich nun auf Bug und Heck verteilt. Nur das Fenster zum Motor opfern sie der 35 Kilo schweren Mechanik und damit einen ausgesprochen erotischen Einblick in die Eingeweide eines Supersportwagens, für den die blanken Zahnräder der Klappenkinematik nur ein magerer Ersatz sind.

Auf der Rennstrecke eher nebensächlich, lernt man spätestens auf der ersten längeren Fahrt auch das deutlich aufgewertete Ambiente zu schätzen, hat seine bevorzugte Programmierung für das digitale Kombiinstrument gefunden und das Touchscreen-Infotainment begriffen. Nur an die Mittelkonsole mag man sich so schnell nicht gewöhnen, weil sie zwischen den Passagieren aufragt wie Trumps Traum von einer Mauer an der Grenze zu Mexiko: Schier unüberwindbar, fühlt sich jeder wie in einem Einsitzer und vor allem der Sozius ist irgendwie ausgeschlossen, kann kaum das Navi sehen und geschweige denn bedienen. Und wo wir grade beim Bedienen sind: Die wie ein Wasserfall über die gesamte Konsole tröpfelnde Schalterleiste ist weder schön noch praktisch und in einem Auto wie der Corvette erst recht fehl am Platz. Denn wer so viel Leistung unter Kontrolle halten muss, der hat keine Zeit für lästige Fingerübungen auf eine Mini-Klaviatur. 

Die Konstruktion komplett umgekrempelt, das Fahrverhalten besser denn je und das Innenleben endlich auf Augenhöhe mit der Premium-Konkurrenz – kaum etwas ist bei der Corvette noch so, wie es mal war. Nur in einem Punkt ist auch die neue Corvette ganz die alte: Beim Preis. Denn auch wenn sie in Europa spürbar mehr kostet als daheim in den USA, bleibt sie neben den exklusiven Exoten aus Italien und England das Schnäppchen unter den Supersportwagen.

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