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Das britische Oberhaus

Bentley fragt in die illustre Runde, die anlässlich der Präsentation des neuen Flying Spur ins mondäne Monaco reiste, ob selbiger denn vielleicht das beste Auto der Welt sein könnte. Die Antwort: Wen interessiert das eigentlich?

Text: Gregor Josel

Man könnte hier nun beginnen, um den heißen Brei herumzu­reden, einen Versuch starten, sich auf die endlose Fadesse ­eines klassischen Fahrberichts herabzulassen und technische Daten zu vergleichen und darüber zu urteilen, ob beispielsweise die Leistung des neuen Bentley Flying Spur von 635 PS ausreicht oder gar über die Stränge schlägt oder ob sich die Beschleunigung in 3,8 Sekunden von null auf 100 km/h anders anfühlt in dieser prallen Luxuslimousine als in einem Sportwagen und ob es nun standesgemäß wäre, dass der Kühlergrill der neuen Bentley-­Limousine aus Kunststoff ­besteht oder ob er nun besser schaltet als der Vorgänger. Und natürlich dürfte man auch das übliche CO2- und Umwelt-Gestammel, auf das diverse Fach­gazetten ja derzeit besonders stolz sind, nicht auslassen, um erhobenen Fingers dann zu resümieren, dass Bentley wohl die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat, nachdem man sich dort im fernen Crewe, der Heimat von Bentley, im zukünftigen Ex-Europaland Großbritannien noch immer nicht zum allum­fassenden Wandel in Richtung Elektromobilität bekennt. Und um auch der letzten Bastion der Pseudoauskenner noch eine solide Basis zu bieten, dürfen natürlich auch das Thema Brexit und die potenziellen Auswirkungen auf die Marke Bentley und deren Produkte nicht fehlen. Am besten noch gespickt mit einem Experten-Interview, und schon ist er fertig, der gute Autotest. Der Ihnen, lieber Leser, die Entscheidung dann natürlich quasi abnimmt, ob Sie als Nächstes nach dem aktuellen Passat Variant mit Sechs-Gang-Schaltung nun doch ob dieser und jener Erkenntnis und den verschriftlichten Fahr­eindrücken der im Fürstentum Monaco versammelten Auto-­Journaille, also anhand all dieser Fachurteile als Nächstes doch lieber zum Flying Spur greifen als zum neuen Facelift des Volkskombis aus Wolfsburg.

Alles ziemlicher Mumpitz, wenn Sie mich fragen. All das kann man sich natürlich schenken, denn das Wunderbare am Reichsein ist, dass man in den meisten Fällen einfach gar nichts anderes kennt. Die Liga derer, die sich einen Bentley Flying Spur nach einem erfolgreichen KMU-­Leben zum Pensionsantritt gönnen, ist doch kleiner bestückt als jene, die in Überfluss und ohne Kenntnis des Kontostands von Kindesalter an auf den Ernst des Lebens vorbereitet wurde. Der wiederum dann darin besteht, zu entscheiden, ob man nach erlangtem Führerschein vielleicht ab und an auch gerne mal in der vorderen Reihe am Steuer sitzt, anstatt sich den Rücken im Fond mas­sieren zu lassen. Somit ist die Frage, ob der neue Bentley Flying Spur das beste Auto der Welt sei, grundlegend falsch, denn es ist schlicht und ergreifend egal. Bent­ley fährt man, weil man kann, und nicht, weil es die ­bessere oder gar vernünftigere Wahl ist.

Aber keine Frage, dieses Auto ist ein Kunstwerk auf Rädern. Eine Luxussuite mit vier Türen, in der es auf ausnahmslos jedem Sitzplatz Spaß macht, von A nach B zu kommen. Leistung? Ja, eh. Verbrauch? Ja, er verbraucht auch was. Wie schnell? Ziemlich, denn auch hier gilt: 333 km/h Spitze sind zwar sicher fein, brauchen tut man sie nicht ganz unbedingt um jeden Preis. Viel beeindruckender ist die Tat­sache, wie weit die Außenwelt plötzlich entfernt erscheint, sobald man die massiven Türen des neuen Flying Spur schließt. Abtauchen in eine andere Welt, ein klassisches Meisterwerk über die unfassbare Audioanlage genießen, in voller Lautstärke. Oder aber man gibt sich dem letztlich einzig wahren Luxus hin: der Stille, denn auf Knopfdruck dreht sich das gesamte Infotainmentsystem des Flying Spur in der Mittelkonsole um und zeigt wahlweise drei Rundinstrumente oder edles Tropenholz; Dann sperrt man Info und Tainment einfach mal für eine Zeit lang aus und genießt die unendliche Ruhe in diesem Auto.

Allradlenkung, W12-Zylinder-­Motor mit 635 PS und 900 Nm Drehmoment, Zylinderabschaltung, Acht-Gang-DSG, LED-­Matrix-Scheinwerfer, Head-up-Display, jaja, ist alles vorhanden, State of the Art und so. Muss halt heute dabei sein, macht auch Sinn, ist aber letztlich nicht der Grund, warum man Bentley fährt. Und der Grund, warum man nicht Bentley fährt, hat nur in unserer Einkommensklasse damit zu tun, dass der Einstiegs­preis für das britische Oberhaus bei rund 281.000 Euro liegt. Der Rest ist Frage des Geschmacks, und genau dafür hat Bentley seine Limousine für Selbstfahrer in eindrucks­voller Art und Weise neu gestaltet und an die Designsprache des Continental GT angepasst. Das ist jener Bentley, den man dann eh schon längst daheim hat.

Bentley Flying Spur Motor: 6,0 Liter W12, Twin Turbo Leistung: 635 PS Verbrauch: mal mehr, mal weniger Drehmoment: 900 Nm/1.350 U/min Beschleunigung: 0–100: 3,8 s Spitze: 333 km/h Gewicht: 2.437 kg Preis: ab 281.635,– Euro

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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