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Neuer Ferrari 488 GTB – Ein Hoch auf die Blasmusik

Motorblock fährt Ferrari 488 GTB

Nicht quatschen, fahren! Wer vor einem Auto wie dem neuen Ferrari 488 GTB steht, will keine langen Reden hören. Den interessiert nicht, mit welchen Kunstgriffen Heerscharen von Ingenieuren den typischen Sauger-Sound gerettet haben und wie sie es schaffen, dass der Achtzylinder mit der Reaktionsgeschwindigkeit eines mit Adrenalin voll gepumpten Profiboxers anspricht.

Text: Thomas Geiger
Der will nicht wissen, welche Kurve in der Karosserie wie viel Gramm Abtrieb erzeugt und auch nicht wie viele Bits und Bytes es braucht, diesen Tiefflieger in jeder Situation auf der Straße zu halten oder ihn im perfekten Drift um die Kurven zu treiben. Man sieht nur das Rot, die flache Haube, die schlanke Taille und das breite, kurze Heck. Dann spürt man die immer gleichen Reflexe: Das Trommelfell kribbelt, die Magendecke vibriert und der rechte Fuß beginnt ganz leicht zu zittern. Schlüssel her, einsteigen und den Motor anlassen – alles andere ist bei diesem Anblick nebensächlich. Selbst der Preis von über 240.000 Euro verschwindet in einer gedanklichen Fußnote, genau wie die Tatsache, dass man ganz sicher nicht im September bei den ersten 488 GTB-Fahrern ist, wenn man den Wagen nicht schon vor mindestens einem Jahr bestellt hat.
Aber irgendwie muss man die Italiener auch verstehen. Denn erstens wollen sie uns mit ihren stundenlangen Vorlesungen weiß machen, dass sie eine Wissenschaft betrieben und nicht einfach nur leidenschaftlich sind. Und zweitens müssen sie vor sich selbst und allen Kritikern ja irgendwie rechtfertigen, dass selbst die Marke aus Maranello das Ideal vom hochdrehenden Saugmotor auf dem Altar des Downsizings opfert. Denn nachdem sie vor Jahresfrist im California T mit dem Abschied vom natürlich beatmeten V8 begonnen haben, blasen sie mit dem Wechsel vom 458 zum 488 einem weiteren Sauger das Licht aus und montieren den nächsten Bläser.

… Doch so skeptisch man die Turbo-Triebwerke bisweilen beurteilen mag, lässt dieser Achtzylinder keinen Raum für Zweifel. Was sind schon 0,6 Liter weniger Hubraum, wenn der 3,9-Liter dafür 100 PS und 220 Nm mehr aus dem Ärmel schüttelt? …





Doch so skeptisch man die Turbo-Triebwerke bisweilen beurteilen mag, lässt dieser Achtzylinder keinen Raum für Zweifel. Was sind schon 0,6 Liter weniger Hubraum, wenn der 3,9-Liter dafür 100 PS und 220 Nm mehr aus dem Ärmel schüttelt? Und bei Spitzenwerten von 670 PS und 760 Nm verbietet sich jede weitere Diskussion ohnehin von selbst. Erst recht, wenn man dann tatsächlich irgendwann mal den Schlüssel in Händen hält, den roten Knopf im Formel1-Lenkrad drückt und den heißen Ritt mit dem roten Renner beginnt: Schon beim ersten Gasstoß lässt die Fanfare aus den beiden Endrohren den Schmalz in den Ohren überkochen, der Magen krampft sich auf das Format einer Billard-Kugel zusammen und die Augen versinken tief in den Höhlen, wenn der 458 GTB in einer Nichtigkeit von 3,0 Sekunden auf Tempo 100 stürmt und danach so mühelos weiter beschleunigt, als stehe er über den Gesetzen der Physik. Ohne jede Zugkraftunterbrechung wechselt die siebenstufige Doppelkupplung die Gänge, der Motor klingt, als könne er ganz alleine alle italienischen Opern von Puccini bis Verdi bestreiten, und die Welt draußen vor den schmalen Fenstern wischt immer schneller vorbei, bis man nur noch grüne Schlieren sieht. Kein Wunder: Selbst bei 330 km/h geht dem 488 GTB noch nicht die Puste aus.

Aber es ist nicht allein der schnelle Sprint auf der Geraden, mit der sich die Ausfahrt im 488 GTB für ewig in die Erinnerung brennt. Sondern noch viel eindrucksvoller ist der schnelle Ritt über eine kurvige Landstraße. Denn erst im Kurvenlabyrinth der Berge zwischen Maranello und Bologna merkt man so richtig, wie giftig und gierig der Turbo auf jeden Gasstoß reagiert und wie wenig Bedenkzeit er dafür braucht. Kunstgriffe wie die symmetrischen Ansaugrohre und die kugelgelagerten Titanschaufeln zeigen Wirkung und das befürchtete Turboloch kann man vielleicht mit der Lupe suchen. Spüren jedenfalls kann man es nicht mehr.

Was man genauso wenig spürt, das sind die Fliehkräfte. Denn genau wie bei der Längsbeschleunigung hat Ferrari die Physik offenbar auch bei der Querbeschleunigung ausgehebelt. Als hätte es Herrn Newton und seine Gesetze nie gegeben, schneidet das Coupé derart unbeirrt durch die Kurven, dass einem Angst und Bange wird. Nicht wegen des Autos, sondern weil es einem erschreckend schnell und deutlich zeigt, wer hier eigentlich der limitierende Faktor ist.

Das liegt vor allem am maximierten Abtrieb, für den die Italiener jedes Blech mit Ausnahme des Daches ausgetauscht haben: „85 Prozent aller Teile sind neu“, sagt Designer Flavio Manzoni und freut sich über das fruchtbare Zusammenspiel zwischen Konstrukteuren und Kreativen. Anders als viele Konkurrenten kommt Ferrari dabei ohne pubertäres Flügelwerk aus: „So sportlich unsere Autos auch sein sollen, wollen wir unsere Eleganz nicht preisgeben“, sagt Manzoni und erteilt Spoilern und Schwellern deshalb eine kategorische Absage: Sieht man mal von unerlässlichen Details wie den Spiegeln und den ebenfalls im Windkanal geformten Türgriffen ab, wird bei Ferrari nichts an die Karosserie gepappt. „Wir nehmen lieber alles Überflüssige weg“, sagt der Designer über die flache Skulptur mit den eingezogenen Flanken, den dezenten Nüstern im flachen Bug und der neuartigen Luftbrücke am Heck. Denn anstelle eines fetten Flügels haben die Italiener lieber eine Art Windkanal ins Blech geschnitten, durch den die Luft unter einem formschlüssigen Quersteg hindurch nach hinten strömt und so bei 200 km/h immerhin 205 Kilogramm Abtrieb auf die Hinterachse bringt, ohne den Luftwiderstand zu erhöhen.

Dazu noch eine rasend schnelle Elektronik für die Stabilitätskontrolle und die Fahrwerksregelung, die selbst Laien den perfekten Drift erlaubt – fertig ist der nahezu narrensiechere Tiefflieger, den selbst Laien ganz lässig ans Limit treiben können. Das Paket passt: Kein Wunder, dass der 488 seinem Vorgänger auf dem haarnadeligen Hausstrecke in Fiorano die kleine Ewigkeit von zwei Sekunden abnimmt.

Dass der Motor dabei auch noch ein bisschen weniger verbraucht, ist selbst den Italienern kaum mehr als eine Fußnote wert. „Ja, wir hätten das Triebwerk auch deutlich unter zehn Liter bringen können“ räumt Motorenchef Vittorio Dini ein. „Aber dann wäre es kein Ferrari mehr.“ So ist der 488 GTB zwar kein grüner Sportwagen geworden, aber wenigstens ein bisschen weniger rot, lächelt Dini über die neue Political Correctness und lenkt den Blick zum Ausgleich auf das „Rosso Corse Metallic“, eine neue Variation des immer gleichen, immer roten Ferrari-Lacks, der dafür um so feuriger leuchtet.

Der Motor klingt, wie ein Ferrari-Motor klingen muss, er ist genauso giftig und gierig und wenn man erst einmal im 488 GTB zu Sitzen kommt, dann will man ohnehin nicht mehr aussteigen. Angst, dass die Kunden beim Abschied vom Sauger auf der Strecke bleiben, muss die Mannschaft aus Maranello nicht haben. Und falls doch, hat Ferrari noch ein paar Alternativen in Petto: Denn erstens gibt es zumindest bis in den Sommer ja noch den 458 Spider mit dem bisherigen V8-Sauger und zweitens die V12-Modelle FF und F12. Und für die ist der Turbo auf absehbare Zeit noch kein Thema. Das ist nicht nur beruhigend, weil es allen Traditionalisten ein Trost ist. Sondern auch, weil einem dann quälend lange Vorträge erspart bleiben, wenn man doch einfach nur fahren möchte.

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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