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Honda e: Jenseits von Gut und Böse

Jo, eh. Wir wissen schon, dass alle Elektroautos ur unsexy sind und außerdem kommt man mit diesen elendigen Batterien ja nicht einmal von Gramatneusiedl bis nach Unterstinkenbrunn. Und ja, wirklich! Wir haben mittlerweile auch begriffen, dass der Verbrennungsmotor nicht wie ursprünglich gedacht mit Benzin oder Diesel, sondern tatsächlich mit den gestohlenen Seelen von geschlachteten Pandababies angetrieben wird. So oder so, irgendwer belehrt einen immer über die tiefgründige Boshaftigkeit der eigenen Mobilitätsmethode. Und alle haben recht, aber es liegen auch alle falsch. Jeder ist in dieser Debatte böse und jeder ist gut. Der Honda e hingegen ist einfach, und zwar verdammt cool.

Text: Jakob Stantejsky

Schon als die ersten Bilder von Hondas neuem e-Hero aufgetaucht sind, waren sich die Leute endlich mal einig: Der schaut echt lässig aus, der hat Charakter. Auf der Vienna Autoshow Mitte Jänner herrschte am Hondastand permanent beseelt-dümmliches Dauergrinsen, wie es sonst nur mindestens fünf Zylinder entfachen. Der Honda e ist das allererste Elektroauto, das einfach als Auto restlos überzeugt. Nicht weil er ach so digital oder oh so futuristisch ist, sondern weil er eigenständig und einzigartig ist. Das Design hat jetzt schon Kultcharakter und das technische Konzept ist kompromisslos – was in der heutigen Autobranche beinahe komplett verlorengegangen ist. Ecken und Kanten sind mittlerweile verboten, hat man das Gefühl.

Keine Frage: Je spezialisierter ein Auto ist, desto genauer mag es zwar eine bestimmte Käuferschicht ansprechen, aber alle anderen identifizieren sich gleich deutlich weniger mit dem Produkt. Der Masse zu gefallen ist wichtig, deshalb schmeißt man etwa in Bayern nun auch den Heckantrieb aus dem Fenster und zwingt dem Kompaktmodell die vergleichsweise fade Fronttrieblerei auf. Den Verkaufszahlen wird es ob praxistauglicher Verbesserungen nicht schaden. Dem Charakter des Autos aber umso mehr.

Und genau hier setzt Honda mit dem e an. Mit einer klaren Vision: Dieses Elektroauto ist für Umweltschonung und für die Stadt gedacht. Deshalb ist es ein Kleinwagen, kein SUV-Schlachtschiff. Und deshalb ist das Batteriepack nicht allzu ausufernd, sondern bietet lediglich 222 Kilometer Reichweite. Mehr als genug für den täglichen Einsatz im urbanen Gebiet. Klar, für die große Fahrt eignet sich der Honda e nicht, aber in dieser Disziplin ist und bleibt der Verbrenner sowieso hoffnungslos überlegen. Die Japaner fokussieren sich also auf die Stärke des Stromers und arbeiten die gezielt heraus. Außerdem will man ein cooles Design bieten und Spaß beim Fahren. Denn das muss sich nicht spießen mit E-Mobility, beweist Honda. Deshalb: Heckmotor mit Heckantrieb! 315 Newtonmeter Drehmoment! Bis zu 154 PS in einem Kleinwagen! Mit solchen Zahlen kann sich auch der Petrolhead identifizieren, trotz fehlenden Getöses und Gestanks.

Die Zahlen und Daten klingen also schon einmal knackig, doch wie präsentiert sich das Gesamtbild? Äußerlich schon einmal pipifein – der Honda e ist auffällig, aber unaufdringlich. Ein Unikat im sich immer mehr einander annähernden Automobildesign. Die fehlenden Außenspiegel fallen natürlich sofort auf, denn es gibt serienmäßig Kameras, die ihre Bilder im Innenraum auf zwei sechs Zoll große Bildschirme werfen. Das reduziert den Luftwiderstand und ist auch noch ziemlich stylisch. So wie das Interieur, das über SECHS Bildschirme verfügt. Da kann sich von Mercedes bis Audi jeder eingraben gehen. Zwei für die Außenspiegel, auch der Rückspiegel kann auf Wunsch ein Kamera- statt eines Spiegelbilds anzeigen, dann hätten wir noch den 8,8 Zoll-Screen hinter dem Lenkrad als Instrumenten-Ersatz und zwei 12,3 Zoll-Bildschirme für das Infotainmentsystem. Architektonisch ist das Cockpit sehr offen und luftig angelegt, mit heimeligen Materialien wie Holz oder Stoff aus recyceltem Abfall. Trotz all der Screens kommt also kein Dystopie-Feeling auf.

Auf den zwei Infotainmentschirmen kann man mühelos und intuitiv die Inhalte wie Navi, Musik und vieles mehr jonglieren. Mit einem Fingerdruck kümmert sich der Beifahrer um diverse Einstellungen, während der Chauffeur ein erstaunlich natürliches Plauscherl mit dem Sprachassistenten hält, um die nächste Trattoria mit gratis Parkplatz zu finden. Außerdem gibt es auch außerhalb des Fahrzeugs die Möglichkeit mit der My Honda+ App, zahllose Einstellungen vorzunehmen oder digitale Schlüssel zu verschicken. Die Möglichkeiten sind quasi endlos und garantiert weitläufiger, als man beim Fahren schweifen sollte.

Apropos Fahren, das muss er ja auch noch, der Honda e. Und darauf hat man in Japan nicht vergessen, ganz im Gegenteil: Trotz all des digitalen Überflusses steht der Spaß im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Leistungsdaten haben wir euch ja schon um die Ohren gepfeffert, doch die kommen auch genau so crispy beim Steuermann an. Dank eines Wendekreises von 8,6 Metern, der MacPherson-Einzelradaufhängung und dem superniedrigen Akku-Schwerpunkt liegt der Honda e in scharfen Kurven wie ein junger Gott und schießt dank der E-Beschleunigung ebenso göttlich wieder daraus hervor. Dieses E-Auto macht wirklich Spaß, ohne wenn und aber. Und auch wenn er nicht für die Langstrecke gebaut wurde, zieht er auch bei 120, 130 noch ordentlich durch und gibt sich gelassen und gemütlich. Da könnte sich so mancher (fast jeder) Benzin-Kleinwagen eine fette Scheibe abschneiden!

Bei unserer Testfahrt über gut 100 Kilometer standen nach Ankunft noch 40 Prozent-Ladung auf den Bildschirmen, was angesichts einer gesunden Stadt-Landstraßen-Autobahn-Mischung, laufender Klimaanlage (in Spanien war es schon im Schatten angenehm warm) und forscherer Fahrweise absolut in Ordnung geht. Die 222 Kilometer erreicht sowieso im Alltag niemand, aber Etikettenschwindel sieht anders aus!

Kürzer und niedriger, aber (abzüglich Außenspiegel) breiter als der Honda Jazz steht der e auch recht schnittig da und bietet angenehm viel Platz. Die zweite Reihe ist für Menschen mit mehr als 18 Dezimetern (gute Maßeinheit, gell?) Körpergröße allerdings nicht wirklich für lange Fahrten zu empfehlen, so viel sei zugegeben. Was bei Elektroautos außerdem ja meist den Alltag stört, sind die Ladezeiten. Am 50 kW-Schnelllader ist die 35,5 kWh-Batterie des Honda e aber in flotten 31 Minuten bei 80 Prozent, an der bestellbaren Honda-Wallbox zuhause und der Standard-Ladesäule dauert es etwas mehr als vier Stunden bis 100 Prozent und an der stinknormalen Steckdose wartet man knapp 19 Stunden, bis er sich sattgefuttert hat. Klar, ein Verbrenner ist schneller und wird es auch noch eine ganze Weile (wenn nicht für immer) bleiben. Aber das muss jeder Elektroauto-Käufer sowieso wissen und das kann auch nicht der Anspruch sein.

Geschmackssache sind außerdem die drei digitalen Spiegel. Beim Rückspiegel in der Fahrzeugmitte kann man sowieso frei umschalten, hier soll also jeder selbst entscheiden. Doch bei den Außenspiegel-Screens erscheint es einem doch hin und wieder, als könne man die Entfernung und Geschwindigkeit anderer Verkehrsteilnehmer mit einem herkömmlichen Spiegel doch besser einschätzen. Das mag die Gewohnheit sein oder auch nicht, zu leugnen ist es nach der ersten Testfahrt allerdings auch keineswegs. Vor allem Menschen, die mit der Umstellung von Fern- auf Nahsicht Probleme haben, könnten hier auf ein Hindernis stoßen. Aber Honda hat sich zu diesem mutigen Schritt entschlossen und das taugt uns ganz gewaltig – außerdem funktionieren die Bildschirme ja. Mehr Wagnisse braucht die Branche!

In Österreich wird es den Honda e in zwei Ausstattungsvarianten geben, wobei schon in der Basis viele Extras wie Navi et cetera, et cetera mit an Bord sind. Da fährt man dann übrigens auch mit 136 Pferden. In der Advanced-Ausstattung sind es die getesteten 154 Rosse und noch ein ganzer Haufen mehr an Extras. Mit den Preisen kommen wir zum letzten Kritikpunkt, der eigentlich gar keiner ist. Denn mit 34.990 Euro für den Einstieg und 37.990 Euro für die Advanced-Version ist der Honda e alles andere als billig. Aber, und das ist sehr wichtig: Kein Elektroauto ist billig. Und angesichts des exklusiven Designs, der eigenständigen Architektur, der hochwertigen Materialien und dem breiten Grinsen, das man beim Fahren dieses Vehikels bekommt, geht dieser Preis echt okay. Tatsächlich empfinden wir gerade den Honda e Advanced als, relativ gesehen, preiswert, wenn man all die inkludierten, sonst so teuren Aufpreisoptionen in die Berechnung mit einbezieht.

Wenn dieses Fahrzeug im Juni auf den heimischen Markt kommt, dann dürfen wir allesamt verdammt gespannt sein. Denn ein spektakuläreres (potenzielles) Volumenmodell hat man seit Ewigkeiten nicht gesehen. Eigentlich hat der Honda e das Zeug zum Bestseller. Dabei hilft auch, dass er dank seiner Originalität jenseits von Gut und Böse ist – nicht jeder wird dieses Auto gleich lieben, aber höchsten Respekt hat es sich zweifellos verdient.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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