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Land Rover Defender: Steht er den Spagat?

Er gehört zu Afrika wie das das Nashorn, Nelson Mandela und die kleinen Propeller-Maschinen der Buschpiloten. Denn nicht nur aus Schottland oder London ist der Land Rover Defender kaum weg zu denken, sondern auch in Kenia, dem Kongo oder in Namibia ist der Urtyp des rustikalen Geländewagens eine feste Größe. Deshalb war es für die Briten auch keine Frage, wo der überfällige Nachfolger zur Jungfernfahrt antreten sollte, bevor er in diesen Tagen zu Preisen ab 55.600 Euro für die Langversion „110“ oder 49.700 Euro (beides D) für den 90er endlich in den Handel kommt.

Von Thomas Geiger

Erst recht nicht, weil Land Rover zahlreiche Zweifel ausräumen muss an der Neuauflage. Schließlich haben die Briten es zum ersten Mal seit 70 Jahren nicht bei einer mehr oder minder gründlichen Modellpflege belassen, sondern den Defender von Grund auf neu konzipiert und dabei komplett neu erfunden. Denn im Bemühen, die Ikone fit für das neue Jahrtausend zu machen, ist aus dem rustikalen Hardcore-Offroader mit fabrikneuer Steinzeit-Technik ein Hightech-Geländewagen geworden, der sich auf der Datenautobahn so tapfer behaupten will wie im Dschungel und so den Spagat steht zwischen dem Wildhüter aus Daktari und den Digital Natives.

Dabei herausgekommen ist ein Auto, das auf den ersten Blick vom Werkzeug zu einem Spielzeug geworden ist und jetzt eher an Playmobil erinnert als an die Pampa: Abgerundete Ecken, verspielte LED-Leuchten vorne und hinten und eine eigenwillige Kunststoffkachel in der Fensterfläche an der Seite – keine einzige Linie und erst recht kein einziges Blechteil wurden vom Vorgänger übernommen. Aber spätestens auf den zweiten Blick hat Designchef Gerry McGovern damit einen guten Job gemacht. Denn ohne in die Retro-Falle zu tappen, hat er einen Geländewagen gezeichnet, den man trotzdem auf Anhieb als Defender erkennt, weil er den gleichen Charakter und die gleichen Charakteristika hat – von den seitlichen Fenstern im Dach über das außen angeschlagene Ersatzrad bis hin zur absolut waagrechten Gürtellinie.

Innen waren die Designer genauso gründlich und haben den Defender fit gemacht für das Rendezvous mit der Generation iPhone: So gibt es zwar weiterhin Haltegriffe, an denen man wahrscheinlich einen Elefanten festbinden könnte, offene Muttern und Schrauben und Verkleidungen, denen wohl auch Kärcher nichts anhaben könnte. Doch zugleich bauen die Briten erstmals digitale Instrumente ein und ersetzen viele Bedienelemente durch einen großen Touchscreen. Selbst WLAN ist an Bord jetzt verfügbar und der Zündschlüssel wird zum Activity Key, den man als Armband mit zum Joggen oder Schwimmen nehmen kann. Und in keinem anderen Auto wird man so viele USB-Ladepunkte finden wie im Defender, prahlen die Entwickler stolz.

Die Mittel und Wege mögen andere sein, doch das Ziel ist unverändert: Auch der neue Defender will im Gelände weiterkommen als die allermeisten anderen Geländewagen – nur dass man dafür jetzt – der Elektronik sei dank – am Steuer keine 70 Jahre Erfahrung mehr braucht. Sondern dank des erweiterten Terrain Response Systems und einem Heer von Kameras, die den Wagen aus allen erdenklichen Perspektiven zeigen und selbst die Motorhaube oder das Bodenblech wegretuschieren, werden Offroad-Abenteuer zum Kinderspiel. Egal ob meterhohe Sanddünen, schlammige Buschpisten, ausgetrocknete Flußbetten, überschwemmte Furten oder steinige Gebirgspässe – viel mehr als den kleinen Finger und den großen Zeh braucht man nicht, um den Defender durch dick und dünn zu bringen – und gehöriges Zutrauen in die Elektronik, die den Rest schon richten wird.

Während einem das irgendwie vertraut vorkommt und man sich am Steuer allenfalls darüber wundert, wie wenig man neuerdings fürs Durchkommen tun muss, zeigt sich der Defender auf der Straße von einer ganz neuen Seite: Wenn man in Afrika ausnahmsweise mal ein Stück Asphalt findet, dann entpuppt sich der Land Rover dort jetzt als überraschend komfortabler, leichtgängiger und familienfreundlicher Geländewagen und stempelt den ebenso lauten wie lahmen und vor allem ungehobelten Vorgänger gar vollends zum Oldtimer. Flüsterleise, butterweich und sanft wie ein Löwe beim Verdauungsschlaf gibt er den gemütlichen Giganten, mit dem man endlos dem Horizont entgegenrollen könnte.

Treibende Kraft dabei sind die neuen Ingenium-Motoren, die Land Rover erst mit Mild- und später sogar mit Plugin-Hybrid-Technik ausrüstet: Ein 2,0-Liter-Diesel mit 200 oder 240 PS, ein 2,0-Liter-Benziner mit 300 PS oder ein Reihensechszylinder mit drei Litern Hubraum und 400 PS. Damit sind Geschwindigkeiten möglich, von denen Defender-Fahrer bislang nur träumen konnten. Denn mit den optionalen 22-Zoll-Felgen knackt das Topmodell erstmals die magische 200er-Marke und erreicht 208 km/h.

Angeboten wird der neu aufgelegte Klassiker dabei wie bislang in zwei Formaten als 110er mit fünf Türen und 5,02 Metern Länge oder mit ein paar Monaten Zeitversatz für einen Abschlag von 5.900 Euro als 90er. Der ist etwa einen halben Meter kürzer und hat dann nur drei Türen. Für beide Versionen allerdings gibt es auf Wunsch eine dritte Sitzreihe im bis zu 2.380 Liter großen Kofferraum und einen Klappsitz auf dem Mitteltunnel in der ersten Reihe, so dass bis zu acht Personen ins Auto passen. Wobei das eher eine theoretische Vorstellung ist. Denn man muss sich schon sehr gerne haben, wenn man vorne als Trio sitzen will. Und jenseits des Grundschulalters wird’s vor allem für den in der Mitte wirklich unbequem, erst recht, wenn es über Stock und Stein geht.

Genau wie beim Design ist auch technisch ist nichts mehr beim Alten geblieben. War der Defender bis dato einer der letzten Geländewagen mit Leiterrahmen und Starrachsen, rückt er nun mit dem Discovery zusammen und leistet sich deshalb ebenfalls eine selbsttragende Karosserie, die weitgehend aus Aluminium gefertigt ist. Dazu gibt’s einzeln aufgehängte Räder, einen elektronisch geregelten Allradantrieb und eine Terrain Response Control, wie man sie von den anderen Land Rover Modellen kennt. Und auf Wunsch ist sogar eine Luftfederung verfügbar.

Man kann Land Rover beim Defender viele Vorwürfe machen – allen voran, dass sie sich bei der Nachfolgeplanung so viel Zeit gelassen und nun drei Jahre Pause gemacht haben. Doch was man ihnen nicht vorwerfen kann, das ist eine aus der Treue zum Original geborene Angst vor der Veränderung. Sondern vor allem Designchef Gerry McGovern macht keinen Hehl daraus, dass er sich keine Fesseln anlegen lassen und deshalb einen neuen Defender für eine neue Ära zeichnen wollte. Dass sich der weiter vom Original entfernt, als viele erwartet haben, kompensieren die Briten mit einem einfachen Trick: Um alle Zweifel im Keim zu ersticken, schreiben sie gleich ein Dutzend Mal „Defender“ aufs Blech.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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