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Mercedes S-Klasse: Leitstern im Luxushimmel

Die Luxuswelt bekommt einen neuen Leitstern. Denn in Stuttgart hat Mercedes heute die nächste Generation der S-Klasse enthüllt. Zwar größer und komfortabler denn je, vor allem im Vergleich mit Konkurrenten wie dem BMW 7er aber fast schon dezent gezeichnet, will sie einmal mehr ihren Ruf als „bestes Automobil der Welt“ festigen.

Von Thomas Geiger

Als wäre es nicht schon schwer genug, etablierte Widersacher wie Audi oder BMW oder Newcomer wie Tesla auf Distanz zu halten, gilt die S-Klasse auch noch als Rettungswagen für Daimler-Chef Ola Källenius. Denn die Firma, die er von seinem Vorgänger Dieter Zetsche übernommen hat, war offenbar weniger strahlend und gesund als es den Anschein hatte, und Corona & Co haben die Lage nicht eben verbessert. Deshalb ruhen nun alle Hoffnungen auf dem neuen Flaggschiff, das mit Glanz und Gloria und satten Gewinnen den Karren aus dem Dreck ziehen muss.

Die Lage mag kompliziert sein, aber das Briefing für Chefingenieur Jürgen Weissinger war einfacher denn je: „Das beste Auto der Welt noch besser zu machen“. Die Umsetzung war dann schon etwas komplizierter und Weissinger musste dafür tief in die Trickkiste greifen, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Für die Passagiere bedeutet die weitere Perfektionierung des Top-Modells unter anderem mehr Komfort durch Massagesitze auch im Fond und beheizte Nackenkissen in der ersten Reihe, eine serienmäßige Luftfederung und die optionale Active Body-Control aus dem GLE, die in der S-Klasse noch feinfühliger reagiert und noch mehr kann. So hebt sie den Wagen vor einem Crash zum Beispiel um acht Zentimeter an und leitet den Aufprall so in die besonders stabile Unterboden-Struktur. Zusammen mit bis zu 16 Airbags, darunter den ersten Frontal-Airbag für Hinterbänkler, soll das die S-Klasse auch wieder zum sichersten Auto der Welt machen.

Dazu gibt es ein neuartiges Infotainment-System mit einer Weiterentwicklung von MBUX: Das macht unter anderem knapp 30 Schalter und Taster überflüssig. Stattdessen erkennt das Auto viele Funktionen allein durch Blick- und Gestensteuerung und weiß deshalb zum Beispiel von selbst, ob der rechte oder der linke Außenspiegel verstellt werden soll. Außerdem warnt die S-Klasse bereits vor Verkehr von hinten, wenn man nur die Hand in Richtung Türgriff führt.

Während die Zahl der Schalter dramatisch abnimmt, wachsen dagegen die Display-Flächen. So nimmt nun ähnlich wie etwa bei Tesla ein riesiger, senkrechter Bildschirm die gesamte Mittelkonsole ein. Im Fond gibt es für jeden Passagier einen eigenen Touchscreen und ein herausnehmbares Tablet als Fernsteuerung. Und der Fahrer schaut in das erste digitale Cockpit mit 3D-Effekt, in dem Informationen wie die Kulissen auf einer Theaterbühne gestaffelt werden. Wo die Augen drei Dimensionen genießen, gibt’s für die Ohren sogar vier: Denn das Soundsystem korreliert nun auch mit den Massagepolstern und lässt einen die Bässe buchstäblich fühlen.

Als weitere „Augenweide“ statten die Schwaben die S-Klasse auf Wunsch mit der nächsten Generation ihrer Head-Up-Displays aus. Das hat nicht nur eine deutlich größere Projektion, die weiter entfernt näher über der Straße schwebt. Sondern es bietet auch eine dynamische Darstellung für Augmented Reality-Inhalte: Abbiegehinweise zum Beispiel fliegen deshalb förmlich durchs Bild und weisen dem Fahrer so auch grafisch den Weg.

Zwar wird bei der S-Klasse geklotzt und nicht gekleckert. Doch zumindest in einer Disziplin musste auch Weissinger sparen: Beim Verbrauch. Obwohl die S-Klasse zugunsten der Innenmaße beim Radstand um bis zu sieben und in der Länge um bis zu fünf Zentimeter zulegt und sich so in der Standard-Version auf 5,18 und mit langem Radstand auf 5,29 Meter streckt, und obwohl Weissinger deutlich mehr Technik hineingesteckt hat, wiegt das Dickschiff im besten Fall einen knappen Zentner weniger. Und Designchef Gorden Wagener hat nicht nur ein paar weitere Sicken und Linien aus dem Blech genommen, sondern den Wagen mit Details wie versenkten Türgriffen schnittiger den je gestaltet.

Weil dazu auch noch alle Motoren zumindest milde hybridisiert sind, wird die neue S-Klasse zur bislang sparsamsten und ist mit den Reihensechszylindern aus der Startaufstellung schon mit Normwerten von 6,6 Litern oder 7,8 Litern Benzin zu fahren. Und wenn der kurz nach dem Jahreswechsel avisierte Plug-In-Hybrid tatsächlich die versprochenen 100 Kilometer elektrische Reichweite schafft, steht die S-Klasse schon vor dem Debüt des voll elektrischen EQS – der eigenwilligen Berechnungsformel sei Dank – mit einem Verbrauch von null Litern in der Liste.

Los geht es aber erst einmal mit lauter 3,0-Liter-Triebwerken: Den Diesel gibt es als S 350 d mit 286 oder als S 400d mit 330 PS und den Benziner verkaufen die Schwaben im S 450 mit 367 oder im S 500 mit 435 PS. Dabei kostet die 4Matic als Alternative zum Heckantrieb nur beim kleinen Diesel Aufpreis und ist sonst überall Standard. 

Bei diesen vier Motoren wird es aber nicht bleiben. Sondern fürs nächste Jahr avisiert Weissinger auch wieder einen V8, AMG hat ebenfalls die Finger nach der S-Klasse ausgestreckt und wenn zum Jahresende der neue Maybach vorgestellt wird, bekommt der nicht nur noch mehr Radstand, sondern natürlich auch wieder einen Zwölfzylinder.

So stolz Mercedes auf Design, Sicherheit, Sparsamkeit und Komfort der neuen S-Klasse ist, hat Weissinger aber unter allen Errungenschaften einen anderen Favoriten. Die neue Allradlenkung. Damit hinkt Mercedes Audi und BMW zwar eine Generation hinterher, ist dafür aber viel konsequenter als die Konkurrenz: Während die Bayern ihre Hinterräder um ein, zwei Grad einschlagen, erlaubt Weissinger der S-Klasse bis zu zehn Winkelgrade und fährt so Kreise um die Konkurrenten. Der Radius für eine Kehre schrumpft um rund zwei Meter und selbst die Langversion der Limousine wendet in weniger als elf Metern, erzählt Weissinger stolz, während er einer A-Klasse im Parkhaus vor dem Werk Sindelfingen noch schnell einen Parkplatz wegschnappt.

Hinterbänkler müssen sich an flottere Fahrten im Stadtgewühl gewöhnen, doch Chauffeure werden Weissinger auf ewig dankbar sein. Zwar ist die Hinterradlenkung nur eine von vielen Optionen der neuen S-Klasse, doch hat sich auch symbolischen Charakter. Denn derart ausgestattet, bekommt Mercedes mit der S-Klasse vielleicht tatsächlich noch einmal die Kurve.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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