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Porsche 718 Boxster Spyder: Denn sie wissen doch was sie tun

Süchtig machend

Porsche 718 Boxster Spyder: Denn sie wissen doch was sie tun

Erinnern sie sich noch an das erste Mal? Nein, nicht was Sie jetzt wieder denken. Zumindest nicht ganz. Aber wer zum ersten Mal am Verdeck des neuen Porsche 718 Boxster Spyder fummelt, der fühlt sich wieder wie jener nervöse Teenager, der im Dunkeln zittrig vor Aufregung und am Rücken seiner Freundin nestelt und den Verschluss des Büstenhalters partout nicht aufbekommen will.

Von Thomas Geiger

Werte Damen, bitte verzeihen Sie den verbalen Exkurs in Ihre Unterwäsche. Aber es gibt tatsächlich nichts, was dem Gefriemel mit dem neuartigen Finnenverdeck so nahe kommt, wie der männliche Kampf mit den weiblichen Miederwaren. Denn selbst die verzwickteste Trikotage ist nichts gegen die im Stoff eingenähten Druckwippen, mit denen man die Dornen in der Heckschürze entriegelt, bevor man die Ohren des Verdecks einklappt, die hintere Haube öffnet, das Sandwich zusammendrückt, den Deckel wieder schließt und den Spyder nach einer gefühlten Ewigkeit endlich oben ohne genießen kann.
Aber genau wie damals in jener Nacht ist auch der Porsche jede Mühe wert – und jeden gebrochenen Fingernagel. Denn der neue Spyder bietet ein unvergessliches Erlebnis und spült den Fahrer in einem Rausch der Sinne davon. Und zwar nicht nur, weil er die Erinnerung an den unsterblichen James Dean („Denn sie wissen nicht, was sie tun“) und seinen „Little Bastard“, den legendären 550 Spyder, heraufbeschwört und einen so wunderbar sentimental stimmt. Sondern weil er so lebendig und lustvoll ist wie kaum ein anderer Porsche – und weil er als großvolumiger Sauger in Zeiten der politisch halbwegs korrekten Downsizing-Turbos mit mikroskopischen Hubräumen der vielleicht letzte seiner Art ist.
Denn wo das bislang sportlichste Modell des 718ers mit einem zwar 365 PS starken, aber nur 2,5 Liter großen Vierzylinder aus dem Audi-Regal auskommen musste, gibt es jetzt den 4,0 Liter großen Sechszylinder-Boxer aus dem Porsche 911. Der kommt nicht nur auf 420 PS und 420 Nm und ist damit 55 PS stärker als das bisherige Top-Modell, sondern lässt den Spyder auch in 4,4 Sekunden von 0 auf 100 schnalzen und knackt – wenn auch nur knapp – zum ersten Mal die 300er-Marke.
Doch vor allem klingt der Spyder mit dem Sechszylinder kerniger als jeder andere Boxster und er fühlt sich lebendiger an, wenn er bei über 7.000 Touren noch immer nicht am Limit ist. Dazu noch das Zwischengas und die perfekten Anschlüsse im knochentrockenen Schaltgetriebe sowie das Rennstrecken-erprobte Fahrwerk des Schwestermodells Cayman – schon wird der Sportwagen zur Sucht.
Dabei ist der Antrieb nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist der Aufbau des Boxsters und seine Ausstattung. Schließlich hat der Wagen nicht nur ein eigenes Verdeck, sondern auch die schlürfende Bugschürze sowie einen neuen Heckdeckel, aus dem längs zwei wundervolle Höcker wachsen und quer ein markanter Spoiler ausfährt. Und weil Porsche beim Spyder den Purismus predigt, gibt es statt der konventionellen Türgriffe natürlich wieder Textilschlaufen, die ein augenzwinkerndes Zitat aus früheren Sportwagen sind.
Offiziell hat das alles den Leichtbau zum Zweck, selbst wenn der Spyder noch immer 1.420 Kilo wiegt. Viel wichtiger jedoch ist der tiefere Sinn, der hinter dieser Selbstbeschränkung steckt: Nichts, aber auch gar nichts, soll das Fahrerlebnis verwässern und vom Reiz des Rasens ablenken. „Porsche pur,“ lautet die Botschaft dieses Boxsters. Und man muss nur ein paar Meter fahren, dann hat sie auch der letzte verstanden. Denn wer sich nicht von der Lust und der Lebensfreude anstecken lässt, mit der dieser Sportwagen durch die Landschaft schneidet, von der Leichtigkeit, mit der er durch die Radien reitet, wer nicht ständig auf dem Gas steht und noch ernsthaft über die Verkehrsregeln nachdenkt, der sollte lieber den Bus nehmen oder besser gleich ganz zu Hause bleiben.
Natürlich lässt sich Porsche den Purismus auch amtlich auszahlen: Mehr als 121.000 Euro werden für den Spyder fällig, womit er am Ende nur noch etwa 25.000 Euro weniger kostet als ein 911 S und wenn bald der Basis-Elfer kommt, wird der Unterschied noch geringer. Andererseits gibt es keinen Porsche, bei dem man so viel Grinsen bekommt für sein Geld. Außer vielleicht beim Zwillingsmodell Cayman GT4, das bei 124.788 Euro startet, identisch motorisiert und abgestimmt ist und statt des Friemelverdecks einen mächtigen Heckspoiler bekommt. Wer das beim Elfer erleben will, der muss schon deutlich weiter oben einsteigen.
Natürlich kann man beklagen, dass der 911 mittlerweile ein Allerweltsmodell mit buchstäblich alltäglichen Tugenden geworden ist. Und man muss auch die Vierzylinder im 718 nicht mögen. Oder den Cayenne samt Coupé-Version. Doch man muss nur ein paar Meter mit dem Spyder fahren, dann ist man mit Porsche wieder im Reinen. Lass sie doch politisch korrekt sein, SUV und Panamera bauen und demnächst sogar Elektroautos. Solange sie nebenbei noch Autos wie den Boxster Spyder hinbekommen, muss man sich um die Marke keine Sorgen machen. Anders als James Dean in seinem berühmtesten Film, wissen sie in Zuffenhausen offenbar doch, was sie tun.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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