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Renault Austral: Den Tiguan im Visier

Dacia baut einen Bestseller nach dem anderen, das Geschäft mit den Transportern läuft gar nicht so schlecht und bei Clio & Co macht Renault ohnehin keiner was vor. Doch in der Kompaktklasse haben die Franzosen irgendwie den Anschluss verloren. Den Mégane verkauft sich noch schlechter als der Golf, mit dem kreuzbraven Kadjar war gegen den alles dominierenden Tiguan auch kein Staat zu machen und der ID.3 schien lange Zeit uneinholbar. Doch dann kam Luca de Meo, der sich als ehemaliger VW-Manager offenbar auf seinen alten Arbeitgeber eingeschossen und vom Vorstandsposten in Paris aus die Rückeroberung der Kompaktklasse in Auftrag gegeben hat. Mit dem elektrischen Mégane E-Tech ist den Franzosen dabei bereits der erste große Wurf gelungen, und jetzt holen sie mit dem Austral zum zweiten aus.

Der Name geht einem zwar nur schwerlich über die Lippen, zumal es keinerlei geografische Verbindung gibt zu ersten Assoziation, die obendrein noch falsch ist, weil „austral“ ein altes Wort für südliche Richtungen ist und bei den Kunden sonnige Phantasien wecken will. Doch wenn der coole Kadjar-Nachfolger Anfang November zu einem Kampfpreis ab 31.990 Euro in den Handel kommt, könnte es für den Primus aus Wolfsburg tatsächlich ein bisschen enger werden.

Wie schon der Vorgänger steht der Austral auf der Konzernplattform CMF-CD und wird damit wieder zum Vetter des Nissan Qashqai. Zugleich wächst der Austral gegenüber dem Kadjar um rund fünf Zentimeter auf 4,51 Meter und bietet bei 2,67 Metern Radstand vor allem im Fond ein wenig mehr Platz. Außerdem lässt sich die Rückbank um bis zu 16 Zentimeter verschieben, so dass jeder seinen ganz eigenen Kompromiss zwischen Kniefreiheit und Kofferraumvolumen finden kann. Letzterer öffnet mit einem angedeuteten Fußkick automatisch und fasst je nach Version zwischen 430 und 1.525 Liter – die rund 35 Liter Stauraum in den vielen Ablagen vorn und hinten nicht mitgerechnet. 

Zum neuen Format gibt’s außen eine frische, betont organische Form. Die wird zwar niemandem den Kopf verdrehen, aber wo der Vorgänger beliebig war, ist der neue gefällig und bleibt in angenehmer Erinnerung. Innen bekommt der Austral wie der elektrische Mégane ein Cockpit nach dem Geschmack der Generation iPhone. Nicht umsonst addieren sich das große Display hinter dem Lenkrad und der vertikale Bildschirm für das Google-Betriebssystem daneben auf charmante 100 Quadratzentimeter. Und wem das nicht reicht an Mäusekino, der kann auch noch ein vollwertiges Head-Up-Displaybestellen. Witziger Clou im digitalen Universum: Damit die Bedienung der Bildschirme ruckelfrei gelingt, gibt’s auf dem Mitteltunnel eine bequeme Armauflage, die jedem Luftfahrtkapitän auch als Schubregler durchgehen würde. Dazu will Renault mit zwei Dutzend Assistenzsystemen punkten und baut als einziger in dieser Klasse eine Allradlenkung ein, wie wir sie seit dem Laguna kennen. Das hilft vor allem auf engen Parkplätzen und lässt den Kompakten auf das Format eines Kleinwagens schrumpfen. 

So vertraut das alles spätestens seit der Jungfernfahrt im E-Mégane wirkt, hat Renault noch eine Überraschung parat – nur ob es eine gute ist, muss sich erst noch zeigen: Denn als höchstes Ausstattungsniveau gibt es jetzt die „Alpine“-Linie. Die sieht zwar schmuck aus und hat vielleicht sogar ein bisschen Sportsgeist, doch wird aus einer gerade erst wiederbelebten Kultmarke so eine müde Marketingmasche, was irgendwie schade ist. Erst recht, weil der Austral egal mit welcher Motorvariante nur müde 174 km/h schafft und damit sicher keinen Sieg im SUV-Segment einfährt.

Den Antrieb des Austral übernehmen Motoren, die mittlerweile so vernünftig und sparsam sind, dass sich selbst die Franzosen den Selbstzünder sparen und den Austral als ihr erstes Modell jenseits der Kleinwagen ohne Diesel ausliefern. Stattdessen gibt es einen 1,3-Liter-Vierzylinder aus der Kooperation mit Mercedes, der mit 140 oder 160 PS angeboten wird, und an der Spitze einen 1,4-Liter mit 200 PS. 

Doch auch wenn es den Austral nur ohne Stecker gibt, geht die elektrische Renaulution auch an dieser Neuheit nicht spurlos vorbei. Denn immerhin sind die beiden Benziner mit einem 48-Volt-System milde hybridisiert und die mindestens 41.490 Euro teure Spitzenmotorisierung ist ein Hybrid. Weil der Akku jedoch nur 1,7 kWh fasst, lädt er allein aus überschüssiger Bremsenergie statt an der Steckdose und reicht nur für wenige hundert Meter mit Strom statt Sprit. 

Aber dafür überzeugt er mit reichlich Punch und beschleunigt mit seinen 205 Nm in in 8,4 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Und vor allem ist er erfreulich leise – und zwar nicht nur, wenn überraschend oft der E-Motor die Fortbewegung übernimmt. Sondern auch unter Last und auf der Langstrecke wird der Franzose zum Flüsterer und wird damit zumindest bei der Konkurrenz reichlich Lärm machen. Und auch an den Diesel denkt da keiner mehr, wenn der Normverbrauch bei 4,6 Litern liegt und die Reichweite bei fast 1.200 Kilometern.

Zwar hat der Tiguan als wichtigster Konkurrent den Franzosen noch einen Plug-in-Hybrid voraus. Wie lange der noch vielerorts gefördert wird, ist allerdings fraglich. In Deutschland ist Ende 2022 beispielsweise Schluss. Ein anderer Vorteil allerdings bleibt bestehen und zählt in vielen Regionen doppelt und dreifach: Während es den VW auch als Allradler gibt, ist der Austral ein weiteres SUV, das nur mit Frontantrieb angeboten wird. Aber vielleicht hatten die Entwickler so sehr den australen Süden im Sinn, dass sie schlicht nicht an Eis und Schnee gedacht haben. 

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