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Rolls-Royce Cullinan: Ein Elefant auf Wolken

Ein Elefant auf Wolken

Der Rolls-Royce Cullinan

Ein Rolls-Royce steht auf vier Rädern, verfügt über eine Karosserie und einen (gewaltigen) Motor. Alles Auto soweit. Und doch ist kein Rolls einfach nur ein Fahrzeug. So auch nicht der brandneue Cullinan, mit dem die Briten sich ein erstes Mal ins boomende Gefilde der SUV wagen. Dass das mehr als nur Sinn macht, wissen wir spätestens seit diesem unseren Test.

Text: Jakob Stantejsky
Ungefähr ein Jahr ist es her, dass ich das Vergnügen auskosten durfte, den legendären Phantom zu bewegen. Die Restendorphine im Blutkreislauf waren noch jetzt so stark vorhanden, dass ich keine Sekunde zögerte, als die Einladung ins Haus geflattert kam, ob ich denn nicht auch den Cullinan mal fahren möge. Zugesagt und losgeprescht nach Ungarn, wo Rolls-Royce in malerischer Golfclubatmosphäre zum Testen einlud. Schon als ich den Cullinan das erste Mal erspähe, bestätigt sich auch in natura, was es anhand der veröffentlichten Bilder schon zu vermuten galt: Luxuslimousine und SUV – wenn das jemand verbinden kann, dann die Herren aus Bracknell. So steht das wohl nobelste SUV der Welt zwar bullig wie ein mächtiger Elefant da, strahlt jedoch die kühle Überlegenheit einer Luxuslimousine aus. Es handelt sich nicht einfach um einen Phantom auf Stelzen, sondern um die Essenz des Phantom eingefangen in einer völlig neuen Form.

Auch als Offroader – so grauenhaft banal dieses Wort im Zusammenhang mit Rolls-Royce auch klingt – erkennt man die Designsprache der britischen Ikone sofort und einwandfrei wieder und doch fügt sich alles zu einem neuen Ganzen zusammen. Es ist, als ob die Engländer schon seit Jahrzehnten SUVs bauten, so schlüssig und proportional präsentiert sich der Cullinan.
Noch ganz beglückt vom eleganten Äußeren öffne ich in heißer Erwartung die gegengleich angeschlagenen Portale ins Herz des Cullinan. Wer schon einmal Phantom gefahren ist, hat schließlich hohe Ansprüche. Die erfüllt auch der neueste Rolls mit dem kleinen Finger der linken Hand. Das weiße Leder schmeichelt den Augen und den Händen, die türkisen Akzente im Innenraum fügen sich erstaunlich smooth ins traditionell britische Bild. Das edle Holz als Auflockerung im Interieur greift sich angenehm rauh an und verbindet den Geländegänger noch ein Stück mehr mit der Natur. Platz gibt es natürlich sowohl vorne als auch in den massiven Fauteuils hinten wie Sand am Meer. Massiert werden standesgemäß alle Insassen und zwischen den Sesseln im Fond findet sich auch ein Kühlschrank, der die eine oder andere Erfrischung beherbergt. Sehr gut könnte ich mir vorstellen, im Cullinan eine noch so ewig lange Fahrt zuzubringen. Egal ob im Tiefschlaf hinten oder doch mit den Händen am Steuer.

So weit das dank der überbordenden Assistenzsysteme im Cullinan überhaupt nötig ist, versteht sich. Zwar darf auch ein Rolls-Royce per Gesetz nicht vollautonom fahren, doch besonders auf der Autobahn ist nicht viel mehr als ein Finger am Lenkradkranz nötig, um mühelos über die linke Spur zu fliegen. Denn dort gehört das SUV auch hin. Die 571 Rosse aus dem honorigen 6,75 Liter-V12 verrichten ihre Arbeit flüsterleise per Allradantrieb. Nur wenn man einmal wirklich vehement aufs Gaspedal springt, lassen sie sich wie ein fernes Murmeln vernehmen. In anderen Autos hört man einen Vierzylinderdiesel bei 2.000 Touren deutlich lauter. Bei Rolls-Royce hat man übrigens auch in diesen Zeiten des Downsizings keine Lust auf Kompromisse und bietet deshalb auch weiterhin nur eine einzige Motorisierung an. Vom Hybrid halten die Engländer ebenso nichts, schließlich ist ein Rolls kein Platz für Kompromisse – entweder ganz elektrisch oder gar nicht!
So souverän und abgehoben – im besten, flugzeugmäßigen Sinn – sich der Cullinan auf der Langstrecke präsentiert, so leichtfüßig schleicht er auch abseits der Straße dahin. Egal ob Schotterstraße oder einfach mitten am Feld – die 2,7 Tonnen Gewicht merkt man dem Rolls-Royce kaum je an. Klar fährt er sich wuchtig und mit einer gewissen Würde, doch ich habe nie mit dem Wagen zu kämpfen oder das Gefühl, dass mich all der Luxus an Bord fahrtechnisch hemmt. Flugs zischt der Cullinan querfeldein und vermittelt ein erstaunlich präzises Feedback über das, was da gerade unter den Rädern passiert. Also auch wenn der Cullinan wahrscheinlich noch seltener als die meisten anderen SUVs tatsächlich ins Gelände muss, er kann definitiv! Und das sogar auf eine derart abgebrühte Art, als ob er von einem Offroadhersteller stammen würde.
Elegant von außen, luxuriös im Inneren, geschmeidig auf und robust abseits der Straße – eigentlich kann der Rolls-Royce Cullinan so ziemlich alles. Der Unterschied zu anderen Allroundern ist jedoch, dass er sich in jedem Bereich nur mit dem Allerbesten zufrieden gibt. Kein anderes SUV fordert so viel Respekt ein, in keinem anderen sitzt man so nobel und kein anderes fährt sich auch nur annähernd so eindrucksvoll. Der Cullinan ist definitiv ein Wagen der Superlative. Mächtig und erhaben wie ein Elefant und doch so sanft und ruhig unterwegs als ob er auf Wolken laufen würde. Als Insasse macht dieses Gefühl süchtig – egal wo man denn sitzt. Aber leider ist einem angesichts all dieser Superlative nur allzu bewusst, dass sie auch mit einer strengen Exklusivität verbunden sind. Doch auch deshalb ist Rolls-Royce so faszinierend. Denn wer strebt schon nach dem, was alle haben?

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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