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Silvretta E-Auto & Classic Rallye 2016

Motorblock fährt die Silvretta E-Auto & Klassik Rallye 2016

Ich komme zu spät zu einer Veranstaltung, bei der Pünktlichkeit das um und auf ist. Damit ich gleich zu Beginn zeige, wie super vorbereitet ich auf die Silvretta E-Auto & Classic Rallye 2016 bin.

Text: Rainer Behaunski

Mit Klassik Rallyes kann man mich ja jagen. Weil, wenn ich einen Beifahrer hab, dann möchte ich mit dem auch quatschen. Bei einer Klassik Rallye muss der Beifahrer lesen, stoppen, ansagen, mitzählen, runterzählen, vorlesen und noch so viele Dinge mehr tun, die jeder richtigen Gaudi ziemlich schnell den Hahn abdrehen. Ob es wirklich so ist, weiß ich nicht, mitgefahren bin ich noch nie. Mit der Silvretta Classic springe ich also ins kalte Zeitmess-Wasser. Es geht mit dem Flugzeug nach Zürich oder besser ginge, weil wir eine Stunde im Flieger sitzen, bevor er abhebt. In Zürich gelandet geht es dann voll in den Berufsverkehr hinein. Aus den 1,5 Stunden nach Schruns werden plötzlich zwei und ein bisschen was.

„Flug verspätet? Ach, bringens dem Herrn doch ein Kalbsschnitzel,“ mein künftiger Beifahrer ist niemand geringerer als Jürgen Schenk, der bereits im Hotelrestaurantstüberl auf mich wartet und weiß, wie man den gestresstesten Reisenden zur Ruhe bringt. Während ich auf Schnitzel und Bier warte, reißt der Direktor der Mercedes E-Drive Systemintegration auf einmal Themen auf, die ganze Bücher füllen könnten. Wir reden über Prognosen, Vorausberechnungen, Logarithmen (also er redet darüber): „Wir lesen alles. Technologieberichte, Studien, Entwicklungen, einfach alles. Daraus filtern wir das Wesentliche heraus und versuchen, es in Regeln und Systeme zu gießen. So können wir recht genau vorhersagen, was und wann passieren wird.“ Ich frage ihn, ob er wirklich bei Mercedes arbeitet und er lacht. „Wichtig ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, zu früh und du versaust es, zu spät und du versaust es auch. Die Mathematik kann da einen recht genauen Weg pflastern.“
Er erzählt mir davon, wie die Daimler AG an Probleme herangeht, wie sie selbst Batterie-Zellen erzeugen, wie sie überall mitbasteln und mittüfteln, nur damit sie wissen, wie alles funktioniert. Es brennt ein Feuer in ihm, wenn er davon erzählt, wie Wissen bei der Daimler AG entsteht. „Wir arbeiten mit so vielen Herstellern zusammen, einfach weil wir neugierig sind und wissen wollen, wie Dinge funktionieren. Man kann nicht alles können aber man muss wissen, wie es gemacht wird. Besonders viel haben wir aus der Zusammenarbeit mit Tesla gelernt. Da haben wir zuerst zig Workshops gebraucht um überhaupt herauszufinden, wie der andere tickt, dann hat es funktioniert. So ein Prozess ist hochspannend, wenn Wissen auf einer ehrlichen Ebene ausgetauscht wird. Viele wissen das nicht, aber in der B-Klasse electric drive steckt vieles vom Tesla Model S. Auf der anderen Seite hat das Tesla Model S viel von der Mercedes E-Klasse.“

Das Kalbsschnitzel kommt und wir sind bei der Elektromobilität angelangt. „Insgesamt haben all unsere bisher gebauten Elektro-Modelle 290 Millionen Kilometer abgespult. Die Menge an Informationen, die wir daraus gewonnen haben, ist unvorstellbar. Eines darf man nicht vergessen, allen Herstellern stehen ja dieselben Zutaten zum Bau von Elektrofahrzeugen zur Verfügung. Jeder kann sich Akkus kaufen, die Elektronik dazu und die Gehäuse. Die Kunst ist es, diese Zutaten perfekt aufeinander abzustimmen und sich dabei Gedanken zu machen. Ein Beispiel: Ich möchte meine Akkus so perfekt wie möglich kühlen. Na dann geh ich her und schau mir den Akku mal genauer an. Kann ich ihn vielleicht noch glatter schleifen, damit die Fläche noch besser gekühlt werden kann? Kann ich vielleicht auch eine leitfähigere Paste drunter schmieren, die die Kühlfähigkeit unterstützt?“

… mit der Entspanntheit eines elektrogeschockten Ladendiebes rolle ich am klatschenden Publikum vorbei …

Tag 1 – Silvretta E-Auto-Rallye

Eine E-Rallye. Wwwwaaaaauuuu. Da geht aber die Post ab, denk ich mir. Ja und dann haben sie beim Fahrerbriefing die Autos für die Teilnehmer vorgelesen und und mir gleich Baldriantropfen verabreicht. Wir bestreiten die Rallye mit dem absoluten Oberbiest, der neongelben Killerflunder, dem lautlosen Speedninja – dem Mercedes SLS AMG Coupé Electric Drive. Nix öko und so. Mal ordentlich die Grenzen des elektrisch Machbaren ausprobieren, so schauts aus.

Ich schaue Jürgen Schenk an und frage ihn wieviel Leistung der SLS hat. Er zuckt mit den Schultern und lacht: „Dem haben wir schon so viele Set-Ups raufgespielt, dass ich gar nicht weiß, mit wieviel der gerade fährt.“ 751 PS sind es, mit 1.000 Nm. Allrad weil mit vier E-Motoren ausgestattet. Und mit einer extrem langen Schnauze. „Bei einer Rallye hast du zwei Zeitmess-Varianten, einmal mit Lichtschranken und einem mit einem Schlauch. Bei den Lichtschranken musst du wissen, wo dein Auto anfängt. Beim Schlauch rollen die Reifen drüber.“ Wir üben Distanzen abzuschätzen. Die Leute um uns herum lachen. Ich schwitze. Natürlich nehme ich das ernst, wenn ich dabei bin, dann trag ich den Pokal auch stellvertretend für alle Motorblocker da draußen mit nach Hause! (wie sich herausstellt, bin ich nicht der beste Genauigkeitsfahrer, soviel vorweg)

„Wir schaukeln das, am Anfang brauchst ein wenig Eingewöhnung aber dann hast du den Dreh raus.“ Aha. Überhaupt kein Druck da, alles easy.

Startschuss!

Mit der Entspanntheit eines elektrogeschockten Ladendiebes rolle ich am klatschenden Publikum vorbei und lausche Jürgens Worten. „Nach 80 Meter rechts und dann gleich nach 60 Metern wieder rechts. Die erste Sonderprüfung haben wir gleich nach ein paar Kilometern, easy!“ Gleich die ersten Meter im Elektro-SLS sind richtig verwirrend, weil die Leistung da ist, nicht aber der typische V8-Sound, den sein fossil betriebener Bruder hat. Die Lenkung ist etwas ruckelig und an die Breite muss ich mich gewöhnen aber sonst ist er so gemütlich, wie ein tief liegender Supersportler mit 751 PS halt sein kann.

Die erste Sonderprüfung liegt vor uns. Ab der gelben Markierung darf ich nicht mehr stehenbleiben und wenige Meter später, ab der roten Markierung wird die Zeit genommen, ab da muss ich X Meter in einer bestimmten Zeit durchfahren. Je näher ich an der Idealzeit bin, desto weniger Strafpunkte bekommen wir. Jürgen zählt laut runter und wir rollen durch die Endmessung. Die erste Prüfung fühlt sich gut an und ich verstehe langsam, was an Gleichmäßigkeitsrallyes dran ist.

Wir spulen Kilometer ab, kämpfen bei den Prüfungen gegen die Zeit und versuchen, alle Wertungsfenster genau zu treffen – und während der Zeit merke ich, wie sehr der bullige SLS Electric Drive zum Hightech-Handschuh wird. „Der E-SLS verkörpert recht genau, wohin sich Mercedes bewegt. Wir tüfteln an Neuem, packen es wo rein und schauen, was damit alles möglich ist. Dabei vergessen wir nicht, wie wichtig der Kunde ist. Dieser SLS hier war damals die Antwort auf die Frage, wie weit man Elektromobilität eigentlich treiben kann. Von ihm haben wir viel gelernt und tun es immer noch.“

Welche Zeiten wir eingefahren haben? Fünfter sind wir geworden. Fürs erste Mal nicht schlecht, da geht aber noch viel mehr sag ich Ihnen. Nur… gerade als ich mich an den SLS gewöhnt hab, muss ich auch schon umsteigen. Unser reichhaltiges Silvretta-Paket beeinhaltet nämlich auch die Mitfahrt beim klassischen Teil und den bestreite ich mit einen ganz besonderen Stern.

Tag 2 – Silvretta Classic mit Mercedes 180 D

Sie sind unsicher, laut, stinken – Oldtimer. Ich halte nicht viel von den alten Häuseln. Klar, sie bilden das Fundament unserer heutigen, viel zu genormten Fahrzeuge und ohne sie würden wir gar nicht mehr wissen, wie detailreich und wunderschön ein Auto überhaupt sein kann. Mich hat er nur nie gefangen, der Oldtimer-Virus. Und so sitze ich jetzt da, im Mercedes 180 D. Nicht irgendeinem. 1955 gewann genau dieses Auto mit der Nummer 4 die Mille Miglia in der Diesel-Wertung. Mit 40 PS. Mein Beifahrer ist erneut Jürgen Schenk, wir beide sind mittlerweile richtige Classic-Cracks und lachen darüber, wie ernst das Fahrerlager den Spaß nimmt. „Was gibt es überhaupt zu gewinnen?“ frage ich ihn. „Eine Uhr.“ „Eine Uhr?“ „Ja, eine teure Uhr.“ „Drei Tage um 5 Uhr früh aufstehen, jeden Tag acht Stunden Autofahren und keine Zeit für Pinkelpausen für eine Uhr?“ Nein, Klassik-Rallyes werden meiner Meinung nach zu ernst gesehen. Alte Autos, mit denen unsere Eltern und Großeltern so viel verbinden, in einer fantastischen Landschaft und, wenn man Glück hat, mit einem ebenso fantastischen Beifahrer – das reicht doch schon!

Der Mercedes 180 D hat eine H-Schaltung, ein ultradünnes Lenkrad und sonst recht atemberaubende Dinge, wie keinen Gurt, keine Kopfstützen und keinen Seitenhalt. Dafür habe ich Scheibenwischer, die nur eine Einstellung kennen und einen Außenspiegel an der linken Seite, weil rechts brauche ich keinen. Was ich noch habe, und das fällt mir erst nach ein paar Kilometern auf, ist eine gewisse Ruhe, die so ein Oldtimer automatisch über die Landschaft und die Insassen legt. Gut, bei 40 PS gibt es auch nicht viel, was einen aus der Ruhe bringen kann. Wir halten die Teilnehmer auf, da sie auf den engen Serpentinen kaum überholen können und man merkt am Gesichtsausdruck: Die sind nicht glücklich. Ich übrigens auch nicht. Die steilen Bergpassagen verlangen unserem 180 D alles ab und die Wassertemperaturnadel hat bereits ein neues Kapitel eröffnet und ist weit vom roten Bereich entfernt. Ob wir uns Sorgen machen müssen, frage ich Jürgen. Er sagt nein. Und er muss es ja wissen, neben der Elektromobilität hatte er seine Finger auch in konventionellen Brennräumen und weiß genau, wie die Dinger funktionieren. Das wiegt mich in Sicherheit, zumindest tu ich so.

Wie kann man diese super Uhr gewinnen? Die Rallye ist gespickt mit Prüfungen, bei denen man eine bestimmte Länge in einer bestimmten Zeit fahren muss. 100 Meter in 13 Sekunden zum Beispiel. Diese Abschnitte werden von Zeitmessinstrumenten unterteilt, entweder einem Lichtschranken oder einem Schlauch, über den man drüberfahren muss. Das üben die Teilnehmer unentwegt. Ein Team haben wir getroffen, die gemeint haben, sie haben das 100 Mal geübt, bevor sie zum Abendessen gingen. Eine humorvolle Truppe sage ich Ihnen! Aber einen Vorteil hat die Überei schon: Du kennst dein Auto perfekt. Jeder kann nach einer Weile abschätzen, wo die Schnauze des Autos aufhört. Aber können Sie sagen, wie weit entfernt ihr Reifen ist? Dann gibt es so super Prüfungen, die mit einem Lichtschranken anfangen und dazwischen einen Schlauchteil haben, der wieder in einer anderen Geschwindigkeit gefahren werden muss.

Dazu musst du Etappen-Zeiten einhalten, Roadbook lesen, nicht ins Radar fahren aber trotzdem Zeit gut machen und und und. Zum Landschaft genießen bleibt da keine Zeit mehr. Stattdessen vertiefen Jürgen und ich die Gespräche vom Vortag. „Ist es wirklich so, dass ein Lithium-Ionen-Akku keinen Memory-Effekt hat?“ „Stimmt. Der Batterietyp darf nur nicht bei unter Null Grad geladen werden, sonst bilden sich kristalline Ablagerungen. Ein wichtiger Punkt ist auch die Lagerung. Wir stellten fest, dass eine komplett volle Batterie bei 70 Grad Temperatur und Nichtbenutzung nach einem Jahr kaputt ist. Wer also im Death Valley wohnt, braucht ein anderes Programm-Setup als einer aus einem gemäßigteren Gebiet. Wir haben Algorithmen geschrieben, mit denen es dem individuellen Fahrzeug möglich ist, sich an das jeweilige Außenklima selbst anzupassen.“

Wir reden und fahren und reden und fahren und spulen an dem Tag drei Länder und acht Stunden Fahrtzeit ab. A Gaudi war’s, gscheiter bin ich geworden und in Autos bin ich gesessen, die kaum weiter voneinander entfernt sein können. Wir raten jedem: Verbinden Sie den nächsten Urlaub mit einer der unzähligen Oldtimer-Rallyes in Österreich. Entweder als Teilnehmer oder als Zuschauer, es lohnt sich!

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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