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VW Caddy: Golf für Pragmatiker?

VW mischt die Karten in der Kompaktklasse neu: Zwar spielt der Golf dort noch immer die Hauptrolle und der Tiguan profitiert vom nicht enden wollenden Boom der Semi-Geländewagen. Doch wer ein geräumiges und variables Auto sucht, der landet entweder beim altbackenen Touran oder beim Caddy, der als aufgehübschtes Nutzfahrzeug auch nicht gerade vor Charme sprüht. Bislang, zumindest.

Von Thomas Geiger

Denn wenn im November zu Preisen ab etwa 23.000 Euro (D) die fünfte Generation in den Handel kommt, sieht die Sache plötzlich anders aus: Neuerdings wie der Golf aus dem Modularen Querbaukasten konstruiert, macht der Caddy bei Design, Technik und Fahrkultur einen so großen Sprung, dass er plötzlich zum Platzhirsch in der Kompaktklasse und zur geräumigen Alternative zum Golf wird. Und selbst wenn es ihn für runde 22.000 Euro (D) aufwärts natürlich auch wieder als Kastenwagen geben wird, ist er vom Nutzfahrzeug weiter entfernt denn je.

Das gilt für das liebevolle Design mit dem filigranen Grill, den fein ziselierten Rückleuchten und dem aerodynamischen Aufbau genauso wie für das Cockpit, in dem es jetzt gegen Aufpreis digital und vernetzt zugeht wie im Golf – Online-Navigation auf dem Bildschirm sowie Touch-Inseln und Slide-Bars drum herum inklusive. Auch bei den Assistenzsystemen legt der Caddy dem MQB sei Dank kräftig zu, fährt bis 210 km/h nahezu autonom, hält bei einem medizinischen Notfall von alleine an oder überwacht beim Rangieren den rückwärtigen Verkehrsraum.

Am deutlichsten wird der Unterschied zum Vorgänger aber beim Fahren. Zwar bleibt es hinten wegen der Nutzlast von knapp 800 Kilo bei einer Starrachse. Doch statt der Blattfedern nutzt die neue Generation nun Schraubfedern und die Längslenker aus dem Golf, die den Wagen deutlich ruhiger, gelassener und vor allem feinfühliger über den groben Asphalt des Wolfsburger Prüfgeländes rollen lassen. Und auch die neue Lenkung tut ihm gut, weil sie mit 2,5 statt 3,0 Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag sehr viel direkter ist und obendrein mehr Feedback gibt. Statt sperrig und knochentrocken wie früher, gibt sich der Caddy deshalb künftig agil, handlich und erstaunlich einfühlsam.

In Fahrt bringen ihn dabei die weiter entwickelten MQB-Motoren, die VW mit dem Golf 8 eingeführt hat. Dank ihnen fährt der Caddy künftig bis zu zwölf Prozent sparsamer und nimmt den Diesel aus der Schusslinie. Denn die Selbstzünder nutzen gegen die Stickoxide die neue Twindosing-Technik und werden so zu den saubersten Motoren ihrer Art. Zum Start gibt es einen 2,0-Liter-TDI mit 102 und 122 PS, dem später noch eine 75 PS-Variante folgen soll. Außerdem bringt VW einen 1,5.-Liter-TSI-Motor mit 116 PS und eine Erdgas-Version mit 130 PS. Standard sind Schaltgetriebe und Frontantrieb, einige Motoren bietet VW aber auch als 4Motion sowie mit Doppelkupplungsautomatik und erstmals sieben Gängen an. Und auch wenn der bei Abt umgebaute E-Caddy nicht in die Verlängerung geht, müssen grüne Familienväter und Kurierfahrer nicht auf den ID Buzz warten, bis sie in einem Nutzfahrzeug von VW stromen können: Gut ein Jahr nach dem Start kommt der Caddy – dem Golf eHybrid sei Dank – erstmals auch als Plug-in mit rund 50 Kilometern elektrischer Reichweite.

So nah der Caddy dem Golf in vielen Punkten auch sein mag, so selbstbewusst geht er immer dann seinen eigenen Weg, wenn es ums Praktische geht. Das zeigt sich im Großen beim Format, das gegenüber dem Vorgänger noch einmal etwas gewachsen ist: Schon die Standardversion hat einen um 7,3 Zentimeter auf 2,76 Meter gestreckten Radstand und streckt sich von 4,41 auf 4,50 Meter – das sind 14 und 20 Zentimeter mehr als beim Golf. Noch größer ist der Unterschied beim Maxi, bei dem die Achsen nun 2,97 und die Stoßfänger 4,85 Meter auseinander stehen.

Und es zeigt sich im Kleinen zum Beispiel beim Armaturenbrett, das vielleicht nicht ganz so nobel genarbt und so glänzend lackiert ist wie beim selbst erklärten König der Kompakten, dafür aber viel mehr Ablagefläche und Anschlüsse für Smartphones & Co bietet. Ebenfalls ein Detail für Praktiker, das der Golf nicht zu bieten hat sind die elektrifizierten Schiebetüren: Weil die Schlösser etwas schwerer gehen und man zum Schließen mehr Kraft braucht, gibt’s jetzt erstmals elektrische Hilfen, wie man sie sonst eigentlich nur von Oberklasse-Limousinen kennt: Kurz am Griff ziehen, schon springt die Tür auf, und kaum hat man sie zugleiten lassen, zieht sie sich selbst ins Schloss.

Natürlich gibt’s für den Caddy eine eigene Sitzanlage: Wie bisher kann man die geteilte Rückbank deshalb nicht nur umklappen, sondern auch aufstellen oder ganz ausbauen. Neu ist dagegen die dritte Reihe: Wo man dort früher die ganze Bank umklappen oder demontieren musste, machen nun zwei Einzelsitze das Stühlerücken spürbar leichter.

Wer beim Caddy eher an Kisten denkt als an Kinder, der bekommt den praktischsten Spross der Golf-Familie natürlich auch wieder als Cargo und profitiert auch da vom neuen Maß-Konzept. Denn die seitliche Schiebetür ist nun so groß, dass eine Euro-Palette durch passt und innen haben die Entwickler genügend Platz geschaffen, dass diese Palette nun problemlos zwischen den Radkästen abgelegt werden kann.

Ein detailverliebtes Design, bei Ausstattung und Assistenz auf Augenhöhe mit den Pkw und mehr Fahrkomfort denn je – zwar weiß auch der scheidende Nutzfahrzeug-Chef Thomas Sedran, dass der Caddy selbst nach dem großen Sprung nicht den Sex-Appeal eines SUV hat und deshalb beim Image gegen einen Tiguan kaum mithalten kann. Doch wähnt er die Praktiker unter den Kunden auf seiner Seite und schaut optimistisch in die Zukunft. Denn je strenger Brüssel auf die Emissionen achtet, desto schwerer werden es Geländewagen haben, ist er überzeugt und sieht spätestens dann die große Stunde der kleinen Kästen gekommen: Denn egal wie sich die Rahmenbedingungen für SUV und die Nachfrage nach Vans entwickelt: „Wer Platz und Variabilität braucht, wird bei uns auch künftig fündig.“ 

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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