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Yamaha Niken – Oida? Oida!

Niken heißt auf Japanisch „zwei Schwerter“! Der Name ist Programm, denn mit diesem neuen Konzept bringt Yamaha die Vorteile von zwei Rädern an der Vorderachse in die erwachsene Motorradwelt.

Text: Gregor Josel / Fotos: Yamaha

Es hat exakt 300 Meter gedauert, von der Ausfahrt von Yamaha Österreich bis zum ersten Abbiegen, als man mich das erste Mal mit diesem Ding aus einer komplett anderen Welt wild winkend aufhielt. O-Ton des winkenden Passanten: „Oida, wos is des? Unpackbar, oida!“, brüllte er mir entgegen. Und wenn ich auch üblicherweise solch unqualifizierten Zuruf mit einem herzlichen „Sie mich auch, mein Bester!“ zu quittieren pflege, muss ich in diesem Fall tatsächlich eine wohlwollende Ausnahme machen. Denn ausnahmslos allen Motorradfans ging es beim ersten Anblick genau so wie unserem Winke-Freund. Das Ding namens Niken ist nicht von dieser Welt, und man muss den Japanern höchsten Respekt zollen, dass sie sich tatsächlich trauen, dieses zweispurige Motorradkonzept in Serie auf den Markt gebracht zu haben.

In Sachen Design scheinen die Yamaha-Designer einfach dem Prinzip ganz oder gar nicht gefolgt zu sein. Denn ein dreirädriges Motorrad hätte man durchaus etwas entschärft und unauffälliger gestalten können. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Man hat sich auf gut Deutsch überhaupt nichts mehr gepfiffen und ein atemberaubendes Designkonzept auf die Straße gebracht, das die zwei Räder an der Front perfekt und ohne Rücksicht auf Verluste in Szene setzt. Den umfassenden Unkenrufen aus diversen Motorrad-Medien, dass es sich hierbei um kein Motorrad mehr handelt und dass der (!) Niken hässlich sei, kann man beipflichten, muss man aber nicht. Denn aus meiner Sicht ist das Design des neuen Niken in Anbetracht des Gesamtkonzepts mehr als gelungen. Klar, sie polarisiert, aber das ist letztlich ja das, was man mit einem Design wie diesem erreichen möchte. Die Optik erinnert aufgrund der massiven Front, die ja die zwei Vorderräder beherbergen muss, irgendwie an einen großen Jet-Ski, die tiefen Furchen tragen zur Unverwechselbarkeit bei und der lockere Überhang des Vorderbaus samt Scheinwerfer und Ins­trumententafel gibt den Blick auf die zwei Vorderräder frei, die sich dank wirklich atemberaubendem Felgendesign perfekt in Szene setzen.

Viel wesentlicher als die Optik ist allerdings naturgemäß die Technik des neuen Niken. Als Basis dient dem großen Japan-­Dreiradler die MT-09 mit ihrem 850 ccm großen und wunderbar laufruhigen Dreizylinder, der einerseits durch saftigen Punch aus unterem Drehzahlbereich punktet, sich andererseits aber auch drehfreudig wie ein Vierzylinder gibt. Ohnehin einer der besten Motoren am Markt, wie ich meine. Mit 115 PS und 87,5 Nm Drehmoment ist man trotz 70 Kilogramm mehr Gewicht im Vergleich zur MT-09 in keiner Weise untermotorisiert. Doch die ganz große Stunde des Niken schlägt freilich im Fahrbetrieb, denn dank der zwei Vorderräder gibt sich der Niken schon beim simplen Geradeausfahren wesentlich souveräner als mit nur einem Rad an der Front. Noch viel ergreifender wird die Performance des Niken dann allerdings in der Kurve, denn dank doppeltem Grip an der Front sind mit dem Niken atemberaubende Kurvengeschwindigkeiten möglich, die mit einem Standard-Bike nicht mal ansatzweise zu schaffen sind. Und im Gegensatz zur Einspurigkeit kann man auf der doppelläufigen Japanerin auch vollkommen entspannt bleiben, wenn einen in der Kurve Split, Öl oder sonstige Überraschungen im Normalfall vom Sattel reißen, denn im Falle übernimmt einfach das zweite Rad die Führungsrolle. Selbst wenn die ganze Fuhre dann doch mal über die Vorderfront zu schieben beginnt, darf man gelassen bleiben, denn man hat vergleichsweise alle Zeit der Welt, darauf zu reagieren und das Werkl wieder unter Kontrolle zu bringen. Bei nasser Fahrbahn multipliziert sich dieses Sicherheitsangebot nochmals mehrfach, denn der feuchte Kanaldeckel oder der glitschige Zebrastreifen verlieren augenblicklich ihren Schrecken.

Reine Physik ist auch die Tatsache, das der Niken wesentlich besser bremst als ein Motorrad mit nur einem Vorderrad, denn – no na – man hat an der Front plötzlich die doppelte Bremsleistung und auch die doppelte Auf­lagefläche der Reifen. Keine Einschränkung gibt es in Sachen Schräglage, beide Vorderräder bleiben auch dann noch souverän am Boden, wenn sich die Fußrasten bereits in heftigem Funkenflug in den Asphalt reiben. Und dank wartungsfreier Lager ist der Serviceaufwand an der Doppelfront nicht größer als bei einem Standardmotorrad. Einzig der zweite Reifen fällt geldmäßig ins Gewicht, aber das sollte einem dieses Plus an Fahrdynamik und vor allem an Sicherheit wohl wert sein.

Wir fassen also wie folgt zusammen: Der Niken fährt sich vom Handling ganz gleich wie ein normales Motorrad, gibt sich aber wesentlich fahrstabiler. Man ist in sportlicher Ambition wesentlich schneller als mit einem Einspurer, es haut einen lange nicht so schnell aufs Maul wie sonst, man bremst wesentlich schneller und kann sich bei schlechtem Wetter das Fahren wie auf rohen Eiern ersparen. Somit bleibt am Ende wohl oder übel die Erkenntnis, dass der Niken nebst utopisch geiler Optik letztlich wohl auch das bessere Motorrad ist. Wer es nicht glaubt, muss es selbst erleben. Und an die Optik gewöhnt man sich, glaubt mir.

Yamaha Niken

Motor: 3-Zyl, 4-Takt, flüssigkeitsgekühlt, 4V
Hubraum: 847 ccm
Leistung: 115 PS /87,5 Nm Drehmoment
Antrieb: 6 Gang sequentiell, Kette
Bremsen: ABS, Doppelscheibe vorne 298 mm, hydraulisch, hinten 1 Scheibe
Sitzhöhe: 820 mm
Gewicht (vollgetankt): 263 kg
Tankinhalt: 18 Liter
Neigungswinkel: bis 45 Grad
Preis: ab 16.499 Euro

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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