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Das neue E-Klasse Cabriolet: Open Ehr‘

Open Ehr´

Das neue E-Klasse Cabriolet

Exakt ein Vierteljahrhundert nach dem ersten großen viersitzigen Cabriolet auf Basis des W124, genauer gesagt des Coupébruders C124, übersetzt Mercedes-Benz diesen prestigeträchtigen Topos in die Neuzeit. Vorbei sind die Zeiten als E-Cabrio Kunden, salopp gesagt, eine hübsche Hülle über eine C-Klasse gestülpt bekamen, aber E-Klasse Preise dafür bezahlten. Das hier ist die Rückkehr zu guten, alten Mustern, die auf den Markenclaim – Das Beste oder nichts – einzahlen wollen.

Von Bosko Andjelic

Die Entschlüsselung der wahren Größe.
Oberklasse setzt no na net große Erwartungen voraus. Von aussen ist das Rezept richtig gut abgeschmeckt. Gordon Wageners Formensprache ist angekommen – nicht nur bei der Marke mit dem Stern, sondern auch in der allgemeinen Wahrnehmung und deren Wertschätzung. Die breite Zustimmung, nicht zuletzt in bemerkenswerten Stückzahlen quer über die Modellreihen, gibt dem Chefzeichner recht und die mit der aktuellen A-Klasse begonnene Neuausrichtung der Marke trägt einträgliche Früchte. Mercedes-Benz ist breitenwirksamer und aktueller denn je, nimmt dabei die eigene Historie elegant und ungekünstelt mit.

Das große, offene S-Cabrio gibt selbstredend die Linie vor, die jedoch hier um mehr als das berühmte Alzerl Wucht erleichtert wurde und sich derart auf seinen knapp 4,83m Außenlänge harmonischer präsentiert. Man könnte sogar greifbarer sagen, solange die Preisliste nonchalant übergangen wird. Guter Geschmack war seit jeher teuer und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Positiv ist die Tatsache, dass mit dem – absolut gesehen – stolzen Preis auch ein gefühlter Wertzuwachs einhergeht, der länger Freude bereiten wird als der Scheck bei der Übernahme schmerzt.

Dieser Eindruck setzt sich im Inneren nahtlos fort – nur wenige Hersteller diesseits von Royce oder Bentley verstehen es, die Insassen schon beim Einsteigen willkommen zu heißen und ein Gefühl des comfy cocoonings, des zuhause seins, zu vermitteln. Großzügigere Platzverhältnisse im Innenraum – speziell vorne, herausragende Sitze in Integral-Optik und die aktuelle Gestaltung des Dashboards, bereits aus der Limousine bekannt, das bis in die hintersten Ecken beledert, luxuriös geschäumt und mit präzisen Abnähungen versehen ist, geben dem Stammhirn die Bestätigung, das Geld nicht ausgegeben sondern investiert zu haben. Optisch abfallend – und das ist das wirklich Jammern auf hohem Niveau – wirken einzig der nicht-rahmenlose Rückspiegel und die Tatsache, dass man den Tankdeckel noch angreifen muss und hierfür keine integrierte Lösung dargereicht bekommt. Im Überfluss vorhanden ist dafür ein wahres Disneyland an digitalen Helferleins und Fahrassistenzsystemen, die in den Cinemascope-iPad Armaturen und dem sauber umgesetzten Head-up Display überraschend klar und unaufdringlich über Ihre Aktivitäten Bescheid geben.
„Sachen, Sachen, Sachen…
…es gibt so viel zu machen“ möge der erste Eindruck sein, angesichts des bis obenhin vollgepackten Techno-Alphabets – alles state-of-the-art wie der Hersteller unterstreicht. Der Erfinder des Automobils ist ja schließlich kein Patzer nicht, wie das Wienerische so schön festhält. Von AIRCAP (Scheibenrahmen-Spoiler) und AIRSCARF (Nackenfön), dem magischen Fahrwerksteppich Agility Control über den Wank-/Nick-/Hubverhinderer Air Body Control bis hin zu Magic Vision Control, dem cabriofunktionellen Scheibenwaschsystem, merkt man schnell, dass Kontrolle an sich eine deutsche Eigenschaft sein muss, präziser gesagt eine schwäbische.
Die Angst, das Fahrerlebnis per se käme ob des prallen, digitalen Arsenals zu kurz, ist bereits nach wenigen Kilometern am knackwurstdicken, griffgünstigen Volant unbegründet. Der Batzen an Elektronik ist von der dienstvollen Art und unterstützt Sternfahrer subtil beim Lustwandeln. Wenn elektronische Kontroll- und Steuersysteme dermaßen fluid in die driving experience integriert sind und nicht dem vielerorts populären Feigenblatt-Bingo dienen, dürfen sie bleiben. Echt jetzt.
Fahren.

Der zuerst ausgefasste E400 4MATIC in designo Diamantweiß bright startet dank V6-Motorisierung angenehm wahrnehmbar aber unprollig, das Dach – Stoff! Sweet! – legt sich wattig auf das Paket aus Wucht und Entspanntheit drauf. Vollautomatisches Akustik-Verdeck, mehrschichtig gedämmt und bis 50km/h auch während der Fahrt operabel. Dass das Ganze in 20 Sekunden unaufgeregt hurtig vonstatten geht, passt ins Gesamtkonzept. Das Auge erfreut sich an den beiden Powerdomes auf der konturierten Motorhaube – ein schönes Zitat der eigenen Rennsportvergangenheit und seit dem W198, dem legendären Flügeltürer, gerne genutzt.

Die 190 Kilometer vom französischen Crozet zum Fuße des Mont Blanc, ins italienische Courmayeur, bieten auf selektiven Passagen ausgiebig Gelegenheit, den Charakter dieses Modells zu ergründen und belegen, dass sich gediegenes Fahrerlebnis und Sportlichkeit on demand nicht ausschließen. Der E400 4MATIC gleitet potent, wenn Du es willst, und amüsiert sich gemeinsam mit Dir, wenn der Hafer dann auf dem bergigen Winkelwerk zwischen St. Gervais und Chamonix sticht. Der im Vergleich zum Vorgänger deutlich gewachsene footprint – 113mm mehr Radstand, 74mm breitere Spur – tun das seine zu diesem Fahrgefühl. Die dargebotene Dynamik ist keine direkte Ableitung von Verzicht und das passt so – wer will sich schließlich bei einem Basispreis von €88.250,- hernach in Bescheidenheit üben? Zehntelsekunden hie und da verlieren ob des eleganten Konzepts an Bedeutung, die Souveränität ist jedoch omnipräsent, wenn 333 Pferde auf ihren Auslauf warten. Der – erstmals in einem E-Cabriolet – unauffällig arbeitende Allrad entschärft Kehren wie Spitzen und macht in Kombination mit dem formidablen 9G-TRONIC Automatikgetriebe die Wahrnehmung gediegener Fortbewegung wahrlich perfekt. Druckvoll, nicht gewaltig, sure-footed. Rund.
Zeitkapsel.
Europaexklusiv durfte der Motorblock – gemeinsam mit Freundin des Hauses und Grande Dame des österreichischen Motorjournalismus, Beatrix Keckeis-Hiller – noch den Großvater des neuen Modells verkosten. Der eigens aus dem Werksmuseum angereiste 300CE-24 aus 1992 – in absoluter mint condition und lediglich 45k Kilometern auf der Uhr – führte auf den Straßen um Courmayeur unmittelbar zum ureigensten Mercedes-Gefühl zurück: gebaut für die Ewigkeit, ein Auto wie eine Burg. Von Youngtimer-Enthusiasten wird der W124 nicht grundlos als bester Benz aller Zeiten tituliert und war als Cabrio seinerzeit die stilvollere Alternative zum expressiveren R129-SL Modell. Was seinerzeit eine Ansage an die Welt war, ist heute der greifbare Beleg der Evolution des Viersitzer-Cabrio Konzepts und hat sich völlig zu Recht seinen Platz in der respektierten Ahnengalerie verdient. Die Lenkung mit der Direktheit eines Kreuzfahrtschiffs und das von der Fahrbahnbeschaffenheit entkoppelte Komfort-Fahrwerk werden auf den Federkern-Lederfauteuils nicht nur sentimental, eingedenk längst vergangener Tage, bewusst wahrgenommen, sondern mit verträumtem Blick goutiert. So muss Klassik. So muss Ursprung. Weniger ist mehr.
Aber zurück zum Enkerl – erst im direkten Vergleich mit dem E300-Modell, das nach diesem exklusiven Erlebnis vorm Grand Hotel Courmayeur fast schon ungeduldig am Einser-Sattel – eh klar: Fluchtposition, direkt an der Ausfahrt in Fahrtrichtung – für den Weg retour nach Genf wartet, wird klar, dass Verzicht auf hohem Niveau durchaus Freude bereiten kann. Die bereits im größeren E400 zart gefühlte Heckantriebscharakteristik des 4MATIC-Konzepts schlägt nun ohne angetriebene, vordere Halbachsen deutlich spürbarer durch und der kleinere, leichtere 4-Zylinder unterstützt die Lenkung bei jeder Richtungsänderung. Spannend, wie wenig einem knapp 90 PS abgehen können, wenn Leichtfüßigkeit in den Vorderwagen einkehrt und das smoothe Wedeln über Pässe noch mehr Spaß macht, wenn Du das Gefühl hast, jede Kurve noch präziser und homogener anzirkeln zu können. Nein, Sportwagen ist das E-Cabriolet keiner, will und soll er auch nicht sein. Und nein, behäbig ist auch der E400 4MATIC beileibe nicht. Vielmehr ist er ein Säbel mit Nachdruck und der E300 gefällt im direkten Vergleich mit seiner behenden Art als handlicherer Degen.

In a nutshell – um die elegante und in sich stimmige Fortbewegung der angestrebten Kunden muss man sich keine Sorgen machen. Der Stern strahlt heller denn je und Mercedes-Benz gibt sich mit dem E-Klasse Cabriolet die Ehr`… Open Ehr´.

Die österreichische Markteinführung der neuen Generation des E-Klasse Cabriolets erfolgt im September 2017 mit folgenden Modellen:

E220 d 143kW 400Nm 9G-TRONIC €63.200,-
E350 d 4MATIC 190kW 620Nm 9G-TRONIC €81.600,-
E200 135kW 300Nm 9G-TRONIC €65.400,-
E300 180kW 370Nm 9G-TRONIC €73.930,-
E400 4MATIC 245kW 480Nm 9G-TRONIC €88.250,-

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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