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Rimac Nevera: Der perfekte Sturm

Mate Rimac hat die PS-Welt im Sturm erobert. In nur zehn Jahren ist der Kroate vom Nobody zur europäischen Antwort auf Elon Musk aufgestiegen, der Giganten wie VW oder Hyundai als Entwicklungspartner fit machen soll für den Kampf gegen Tesla & Co. Doch jetzt müssen die Rettung der Welt und die Bewahrung des Klimas erst einmal warten und Autofahren darf wieder Spaß machen. Denn zur Krönung seiner bisherigen Laufbahn lässt Rimac in diesem Sommer als Serienfassung der bislang als C2 bekannten Studie den Nevera von der Leine und baut damit nicht weniger als einen der spektakulärsten Sportwagen aller Zeiten: 1.912 PS, 2.360 Nm, 412 km/h Höchstgeschwindigkeit und ein Sprintwert von weniger als zwei Sekunden stempeln selbst einen Bugatti Chiron zu einer lahmen Ende und in einem Porsche 911 Turbo fühlt man sich plötzlich so untermotorisiert wie sonst in einem Polo. Den Namen für sein Meisterstück hätte Rimac dabei nicht besser wählen können. Denn Nevera betont nicht nur die kroatische Herkunft, auf die der Firmenchef so stolz ist, weil seine Heimat auf der Weltkarte des Automobilbaus bislang ein weißer Fleck war. Sondern vor allem ist es der Name für einen perfekten Sturm vor der Küste, der aus dem Nichts heraufzieht und alles davon fegt, was dann noch auf dem Wasser ist. 

Jetzt allerdings herrscht noch die Ruhe vor dem Sturm und Nevera steht friedlich auf der Runway des Flughafens von Zadar – duckt sich tief, breit und lang auf den groben Asphalt wie jeder andere Supersportwagen, reckt einladend seine Scherentüren in den strahlend blauen Himmel und statt eines großvolumigen Motors im Leerlauf hört man nur ein ganz feines Flirren, wenn der Strom durch die Schaltkreise fließt.

Um so brachialer trifft einen die explosive Energie, die sich beim Kickdown in einer atemberaubenden Beschleunigung entlädt – ohne jeden Zeitversatz, ohne irgendeinen Traktionsverlust und vor allem ohne eine Vorwarnung trifft einen wie aus dem Nichts ein gewaltiger Hammer und zertrümmert alles, was man bis dato über Geschwindigkeit gespeichert hat: Schneller als der Blick die Anzeige erfassen, geschweige denn das Gehirn die Ziffern verarbeiten kann, zählt der Tacho nach oben und stellt dabei sogar den Grafikprozessor vor eine schwere Prüfung. Der Mund reißt auf, man ringt nach Atem und noch ehe der erste Schluck Luft in der Lunge ist, sind die ersten 100 km/h längst Geschichte; bei 150, 180, 200 hat man noch immer nicht begriffen, was hier gerade passiert, 220, 240, 260 – 300 km/h und noch immer lässt der Elan des elektrischen Extremisten kein bisschen nach. Dafür verschwimmt die Welt an den Seitenfenstern ins Unkenntliche, während sich vorn erschreckend schnell das Ende des Runways ins Blickfeld brennt und plötzlich doch Neid aufkommt gegenüber den Militärpiloten, die hier sonst über die Piste jagen. Die brauchen zwar ein bisschen mehr Anlauf als der Nevera und hätten beim Sprint-Duell keine Chance, müssen dafür aber nicht Bremsen, sondern heben einfach ab. 

Doch zum Ende der Startbahn hält der Nevera noch eine weitere Überraschung parat: Der immerhin 2,2 Tonnen schwere Tiefflieger bremst so gut wie er beschleunigt. Mit der vollen Rekuperationsleistung seines E-Antriebs, mit riesigen Keramikscheiben und einem Heckflügel, der sich fast senkrecht in den Wind stellt, flaut der Sturm so schnell ab, wie er aufgezogen ist und mühelos schafft der Wagen den U-Turn. Nur um auf dem Rückweg über den Runway gleich den nächsten Trumpf auszuspielen und einen Slalom hinzulegen, bei dem selbst Profis Hören und Sehen vergeht. Weil jedes Rad von einem eigenen Motor angetrieben wird und sich die Kräfte vom Supercomputer am Boden des kleinen Kofferraums im Heck nahezu frei regulieren lassen, tänzelt der Nevera zwischen den Pylonen so leichtfüßig wie eine Ballerina und jeder Porsche wirkt dagegen sperrig, schwerfällig und steif. 

Der Aufwand dafür ist freilich gewaltig, erzählt Mate Rimac nach der Raserei auf dem Rollfeld, während die Knie des Fahrers weich sind wie Pudding und der Nevera wieder still und unschuldig in der Sonne funkelt und nur die tausenden toten Fliegen auf der Scheibe von dem perfekten Sturm künden, den der Wagen eben noch entfesselt hat: Je zwei Motoren pro Achse, vorne mit jeweils 200 kW und 280 Nm und hinten mit zwei Mal 500 kW und 900 Nm reißen an den riesigen Rädern und werden dabei versorgt von der mit 120 kWh größten Batterie, die bislang in einem Elektroauto montiert wurde. Aufwändig klimatisiert, steckt sie T-förmig zwischen und hinter den Sitzen und wird zum elementaren Bestandteil einer Karbonstruktur, die – natürlich – ebenfalls die größte ist, die bislang für ein Straßenauto am Stück gebacken wurde. Damit die Freude am Fahren nicht im Frust beim Laden mündet, kann der Nevera – ein weiteres Superlativ – mit bis zu 500 kW laden. Oder besser: könnte. Denn auch in dieser Disziplin ist er seiner Zeit voraus und bis dato hält da noch keine Ladesäule mit. 

Und weil Rimac nicht nur bei Antrieb und Akku Maßstäbe setzen will, sondern auch bei der Ausstattung, hat er gleich auch noch ein eigenes Infotainmentsystem mit sechs Bildschirmen entwickelt und den Nevera fit gemacht fürs autonome Fahren: Spätestens im nächsten Jahr soll es – natürlich over the air – ein Update mit dem „Drive Coach“ geben, der Laien am Lenkrad so lange chauffiert und trainiert und ihnen wie ein Instruktor ins Lenkrad greift, bis sie jede Rennstrecke meistern wie ein Profi. Da erscheinen dann selbst die netto zwei Millionen Euro, die Rimac für jeden Nevera verlangt, der nach einer Woche Bauzeit aus der Fabrik vor den Toren Zagrebs rollt, noch wie ein Schnäppchen. 

Aber natürlich geht es dem Kroaten dabei nicht nur um die 150 reichen Raser, die er mit dem Nevera beglücken will. Und auch nicht um die noch einmal so vielen Kunden des Pininfarina Battista, der der gleiche Basis nutzt. Sondern für Mate Rimac ist der Nevera auch ein Schaufenster dessen, was seine junge Company als Zulieferer und Entwicklungspartner für die Großserienhersteller leisten kann – und natürlich hofft er, dass sie sich bei VW, Porsche oder Hyundai daraus großzügig bedienen werden.

So spannend die Technik ist und so fesselnd der Firmenchef davon erzählt, so laut ist der Lockruf des leisen Renners, der auf den zweiten Teil der Ausfahrt wartet. Schließlich haben die paar Sprints auf der Startbahn kaum zehn Prozent der Reichweite gekostet. Und jetzt, wo die Knie den Beinen so langsam wieder festen Halt auf dem Boden bieten, geht es auf die zweite Etappe, auf der dieser Spitzensportler sein zweites Gesicht zeigt.

Zwar beschleunigt der Nevera besser als die allermeisten Rennwagen, erreicht dank seines spektakulären Torque-Vecotorings und dem freien Spiel der Kräfte an allen vier Rädern irrwitzige Kurvengeschwindigkeiten und Rundenzeiten, und weil Firmenchef Rimac seine Karriere als Drif-Racer begonnen hat, gibt es sogar ein eigenes Set-Up für die perfekte Querfahrt mit qualmenden Reifen. Doch hat der Nevera auch eine andere Seite – und taugt als gelassener Cruiser. Wo andere Supersportwagen dieses Kalibers gerne zickige Diven sind, die sich permanent in Szene setzen und dem Fahrer bisweilen mit ihrem heißeren Gebrüll arg an den Nerven zehren, surrt der Elektriker ganz entspannt über die kroatischen Küstenstraßen. Wozu hat er schließlich den weltweit größten Akku und mit ihm mehr als 500 Kilometer WLTP-Reichweite. 

Dabei sind nicht die Kurven ein Kampf und auch nicht die paar Bodenwellen, die noch nicht mit EU-Fördergeldern plattgebügelt wurden. Denn egal wie eng oder wellig die Straße wird, lässt sich der Nevera mit dem kleinen Finger führen und fühlt sich erstaunlich leicht und handlich an. Sondern das einzig Anstrengende bei der Landpartie mit dem elektrischen Tiefflieger ist der stete Kampf mit dem Tempolimit, weil bei all der Mühelosigkeit und Stille das Gefühl für Geschwindigkeit vollkommen verloren und man ständig seinen Führerschein riskiert.

Dafür allerdings nimmt einem der Nevera ein anderes Risiko: Überholen wird mit diesem Auto zum Kinderspiel. Denn noch bevor der Blinker wieder in die Ausgangsstellung rastet, ist die Flunder vorbei und der Hintermann nur noch ein kleiner Punkt im Rückspiegel. Und trotzdem meint man dabei jedes Mal das gleiche Gesicht zu sehen, das irritiert und fasziniert ist zugleich von dieser energiegeladenen Erscheinung, die sich das gerade aus dem Nichts materialisiert hat – wie der perfekte Sturm. 

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