Auf leisem Kriegsfuß
Der Mercedes EQ C verspricht Revolution
Als Dieter Zetsche vor einem guten halben Jahr das Concept EQ auf die Bühne geholt hat, war das für ihn nicht weniger als die Neuerfindung des Automobils. „Jetzt legen wir den Schalter um“, hat der Daimler-Chef versprochen und den Silberling als erstes designiertes Elektroauto beim Daimler ins Zentrum der neuen Unternehmensstrategie CASE gestellt. Die Abkürzung steht für Connected, Autonomous, Shared und Electric und fasst vier Trends zusammen, die jeder für sich das Auto revolutionieren werden.Von Thomas Geiger
Dass der Wagen bis zur Markteinführung in der besten und mit geschätzten 80.000 Euro auch teuersten Ausbaustufe mit 70 kWh Akkukapazität tatsächlich auf 500 Kilometer Reichweite kommen wird, glaubt man den Ingenieuren unbenommen. Schließlich können das Tesla & Co schon heute. Die zwei Motoren mit zusammen 300 kW und 700 Nm, den Sprintwert von weniger als fünf Sekunden und die Spitzengeschwindigkeit nimmt man ihnen auch dann ab, wenn sie ihrem handgeschnitzten Einzelstück kaum mehr als Schritttempo zumuten und selbst dabei noch alles knirscht und knarzt im vornehmen Gebälk unter der Alubeam-Hülle. Denn auch das sind Werte, die bereits heute Standard sind. Und dass Mercedes jetzt eine eigene, skalierbare Plattform für Elektrofahrzeuge entwickelt, die mit einem intelligenten Mix aus Stahl, Aluminium und Karbon die Schere zwischen Kosten und Gewicht eng geschlossen hält, ist angesichts von MEB & Co auch keine Überraschung mehr.
Deshalb liegt das Augenmerk bei dieser Fahrt weniger auf dem Antrieb, als dem Ambiente, mit dem die Schwaben an der Konkurrenz vorbeiziehen und Tesla in die Steinzeit zurückwerfen wollen. Denn selbst das zeichenblockgroße Tablet im Model X verblasst gegen die Multimedia-Show, die Mercedes im EQ inszeniert.
Genau wie in der gerade aktualisierten S-Klasse prangt hinter dem Lenkrad auch beim EQ C ein Cinemascope-Cockpit – nur dass der Screen hier tatsächlich mehr als einen halben Meter misst und die HD-Grafiken noch bunter über den Bildschirm flirren. Doch um Ordnung zu schaffen in der Flut der Informationen, haben die Designer die Darstellungsebenen aufgelöst und das gesamte Interieur zur Dialogfläche gemacht, die über Licht mit den Insassen spricht. Ein LED-Band unter der Fensterlinie zum Beispiel illustriert den Energiefluss, zeigt durch einen subtilen Farbwechsel den jeweiligen Fahrstil an oder warnt etwa vor Fußgängern. Und hinter den perforierten Türtafeln haben die Entwickler hunderte mikrofeiner LED installiert, die schemenhafte Bewegungen illustrieren und damit ebenfalls kommunizieren können. Pulsierendes Licht beim Laden, wandernde Wolken beim Fahren, ein alarmierendes Flackern – fast unterbewusst nimmt man wahr, was Sache ist.
Mit der neuen Dialogbereitschaft einher geht ein revolutionär entschlacktes Bedienkonzept: Die Sitzverstellung bleibt zwar in den Türtafeln, weil das für Mercedes fast ikonischen Charakter hat. Doch alle anderen Schalter und Knöpfe machen Platz für ein paar wenige Touchscreens und Sensor-Felder. Die zwei wichtigsten davon stecken im Lenkrad und wirken wie die Weiterentwicklung der Blackberry-Tasten aus der aktuellen E-Klasse und der Schönste wächst aus dem Mitteltunnel heraus. Auf diesem nach oben gebogenen Bildschirm kann man mit einem Fingerzeig das gesamte Ambiente im Auto modifizieren. Egal ob Luft, Licht oder Liedauswahl – wer mit dem Finger nach rechts oder links streicht, ändert die Temperatur, die Farbe oder den Song und mit einer Bewegung in Längsrichtung reguliert man die Intensität. Das ist so einfach und eingängig, dass man kaum verstehen kann, weshalb da nicht schon mal vorher jemand draufgekommen ist.
Zwar räumt Entwicklerin Vera Schmidt ein, dass sie bei dem ganzen LED-Zauber nirgendwo völlig neue Technik verwenden und das ganze Hightech kein Hexenwerk ist. Sondern das ganze Konzept mit der Ambientebeleuchtung als Dialogfläche ist einfach nur eine gute Idee, die bislang kein anderer Hersteller so konsequent umgesetzt hat. Doch schürt das die Hoffnung, dass um so mehr aus der Studie in die Serie gerettet werden kann.
Damit müssen sich Schmidt und ihre Kollegen allerdings beeilen. Erstens, weil der ohnehin schon große Rückstand auf Tesla & Co nicht noch größer werden soll und der Silberfisch spätestens in 24 Monaten als EQ C auf der Straße stehen muss. Und zweitens, weil Zetsche mit der Marke noch viel vorhat. Ein knappes Dutzend EQ-Modelle will Daimler in den nächsten Jahren auf den Markt bringen und kann sich vorstellen, schon bald ein Viertel seiner Sternen-Flotte mit Stecker auszuliefern. Viel Verzögerung können sich die Entwickler deshalb also nicht erlauben.