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Audi Aicon: Das Wohnzimmer auf Rädern

Luxus-Lounge

Der Audi Aicon

Audi biegt auf der road to the future auf die Überholspur. Denn nachdem die Bayern im neuen A8 schon mal das autonome Fahren im Stau propagieren, geben sie mit einem neuen Showcar für die IAA ihren Gedanken für das komplett fahrerlose Auto Gestalt. Aicon heißt die Vision für den Luxusliner von Übermorgen, der mit künstlicher Intelligenz (AI) zur Ikone dieser neuen Zeit werden soll.

Von Thomas Geiger

Der 5,44 Meter lange Luxusliner sieht mit seinem glatten Bug, dem knackigen Heck, dem hohen Dach und dem eigenwilligen Knick auf Augenhöhe nicht nur ungewöhnlich aus, sondern hat auch eine eigenwillige Entstehungsgeschichte, die mit einer Idee von der „Long Distance Lounge“ vor zwei Jahren begonnen hat. „Denn wir haben das Auto zum ersten mal von innen nach außen gedacht“, sagt Designchef Mark Lichte und lässt zum Beweis die beiden gegenläufig angeschlagenen Türen ohne störende B-Säule aufschwingen.
Zwar hat der Aicon trotzdem eine ebenso seltene wie spektakuläre Form, die noch immer Begehrlichkeit weckt und vor allem kaschiert, dass man hier eigentlich vor dem ersten Van von Audi steht. Doch viel spannender ist die Luxuslounge, in die Lichte schon vor dem Messedebüt zur Sitzprobe eingeladen hat. Denn zum ersten Mal hat Audi nicht nur auf das gesamte Bediensystem verzichtet und stattdessen einen virtuellen Assistenten eingebaut, über den man mit Sprache, Blickkontakt und Gesten auf einem Touchscreen kommuniziert, der den Passagieren durch das ganze Auto hinterher wandert. Sondern vor allem haben die Bayern erstmals auf Pedale und Lenkrad verzichtet und den Wagen so gar vollends zum Wohnzimmer gemacht. Die Sitze haben deshalb Stehkragen statt Kopfstützen, Gurte braucht es beim unfallfreien Autopiloten nicht mehr und anders als im A8 ist die First Class jetzt wieder in der ersten Reihe. Nicht umsonst kann man die Sessel mit Beinauflage, Massagefunktion und Fußbodenheizung dort um mehr als einen halben Meter verschieben und um etwa 20 Grad in jeder Richtung drehen. „Das reicht, um bequem miteinander zu plaudern, ohne dass man sich mit die Füßen in die Quere kommt oder gegen die Fahrtrichtung sitzen muss,“ sagt Lichte, der sich auch im Zug nicht gerne rückwärts chauffieren lässt.
Nicht zuletzt, weil der Radstand gegenüber dem langen A8 noch einmal um 24 Zentimeter gestreckt wurde, wirkt der Aicon von innen mehr denn je eine Wohnung und ist deshalb auch bei der Materialauswahl einer Immobilie näher als einem Automobil. Doch so ein bisschen bewegen muss sich auch das Auto der Zukunft schon noch – selbst wenn dann Kollege Computer das Steuer übernimmt. Während Lichte und sein Team innen die wohnlichste Audi-Atmosphäre aller Zeiten geschaffen und darum trotzdem noch eine begehrliche Hülle mit attraktivem Bug, sexy flanken und sportlichem Heck gespannt haben, hat sich ein Heer von Technikern den Antrieb vorgenommen. Das war allerdings eine vergleichsweise leichte Übung – denn im Sandwich unter dem feinen Teppichboden aus recyceltem Meeresmülll steckt der Powerpack aus dem kommenden e-Tron. Vier e-Motoren leisten bis zu 260 kW und die Lithium-Akkus sollen für bis zu 800 Kilometer reichen. Nur ganz so schnell will und muss der Aicon nicht mehr fahren. Weil der Verkehr in der Ära des autonomen Autos wieder besser fließt, weil rasante Beschleunigung genau wie im Zug oder im Flugzeug als eher unangenehm empfunden wird, wenn man nicht angeschnalt ist und sich nicht aufs Fahren konzentriert, und weil man ohnehin am liebsten gar nicht mehr aussteigen möchte aus dem A8 von übermorgen, haben die Ingenieure den Wagen auf eine Reisegeschwindigkeit von 130 km/h ausgelegt. Dafür allerdings haben sie das Einsatzgebiet deutlich erweitert: Während der Chauffeur im langen A8 heute mittlerweile in der engen Innenstadt ganz schön schwitzen muss, ist Aicon dank Hinterachslenkung mit einem Wendekreis von 8,50 Metern handlicher als ein Kleinwagen. „So können wir tatsächlich einen Tür- zu Tür-Fahrdienst anbieten“, sagt Lichte.
Zwar weiß Lichte selbst am allerbesten, dass er mit dem Aicon weiter springt als je zuvor. Und dass er nicht nur seine Entwickler mitnehmen muss auf diesem Weg, sondern auch die Gesellschaft, die Behörden und die Politik dabei ein Wörtchen mitzureden haben. Deshalb tut er sich auch so schwer, einen konkreten Zeithorizont für den Aicon zu nennen. „Wird es 2030, 2040 oder noch später? Diese Frage kann im Augenblick niemand seriös beantworten“, sagt Lichte. Doch im Grunde ist das dem Audi-Designchef auch egal. Denn er will auf die Freigabe für den Autopiloten gar nicht erst warten. „Sondern alle Details, die wir in dieser Studie andeuten, von der neuen Seitenlinie bis zum Bedienkonzept mit einem persönlichen Assistenten werden mit oder ohne Autopilot schon sehr viel früher in Serie gehen“, verspricht der Designchef. „Und das Lenkrad lassen wir zur Not halt einfach weiter drin.“

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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