Ferrari F12 N-Largo
Keine Stangenware
TEXT: RAINER BEHOUNEKFOTOS: MAXIMILIAN LOTTMANN
Folgendes Szenario: Wir haben es dank Zielstrebigkeit und harter, harter Arbeit geschafft. Haben durch ständiges Strampeln die Milch zu Butter geschlagen und sind rausgekrochen aus dem Topf der Mittelmäßigkeit. Jetzt ernten wir die Früchte und zeigen jedem, dass wir es geschafft haben. Nicht mit irgendeinem Sportwagen und schon gar nicht mit einem von der Stange.
Was bedeutet es, einen Ferrari zu fahren? Und vor allem: Welche Probleme und Vorteile tauchen damit auf? Das lässt sich am besten rausfinden mit dem Extrem der Extreme. Der Ferrari F12 Berlinetta lässt sich ung’schaut zur Speerspitze der automobilen Fahrdynamik zählen, war er doch bis 2012 mit 740 PS der leistungsstärkste Ferrari. 340 km/h schnell. Von 0 auf 100 in 3,1 Sekunden, von 0 auf 200 in 8,5. Dennoch banal. Weil diese Art von Stangenware kann jeder fahren. Wir nehmen Platz in der extremsten Variante des F12, im von Novitec veredelten, nur 15-mal erhältlichen, knapp 500.000 Euro teuren und längst ausverkauften Ferrari F12 N-Largo. Genau den stellen wir nun erst mal vorm hiesigen Würschtler ab.
Ende des Schwanzvergleichs
Wenn man einen Raum betritt und die Visitenkarte in Form des Ferrari F12 N-Largo vor der Tür steht, werden Schwanzvergleich und Kräftemessen zur sinnlosen Energieverschwendung. Jeder soziale Kontakt wird automatisch hierarchisch abgestuft, sogar bei mir, dem man auf drei Kilometer ansieht, dass der Ferrari nicht seiner ist. 10 Uhr vormittags, der Herr vor mir an der Bar genießt gerade sein Bier. Er schaut durch mich durch auf das Mattrot:
„Boa. Und wie ist er? Bestimmt unfahrbar.“
„Eigentlich fährt er sich wie ein Mopedauto.“
„Sag‘ ich ja, unfahrbar.“ Wir lachen.
Randsteine, enge Baustellen, Tiefgaragen: Das letzte Mal so geschwitzt habe ich beim Chili meines Freundes Guido. Der etwas gesteigerte Ruhepuls von 190 schießt aber erst so richtig in die Höhe, wenn ein Geschwindigkeitsbrecher wie aus dem Nichts vor einem auftaucht.
Gestärkt ins Vergnügen, Rock’n’Rolla!
Die Bratwurst mit Senf ist Geschichte und ich gleite elegant geschneuzt und gekampelt in den roten Traum. Schlüssel umdrehen, Startknopf drücken und Schnappatmung aktivieren. Das Erdbeben, dessen Epizentrum im 6.262 Kubikzentimeter großen Zwölfzylindermotor liegt, breitet sich über die modifizierte Edelstahlabgasanlage beim Start nicht bloß bis zu den herumstehenden Passanten aus, sondern dringt in jeden Winkel der Stadt. Einen ernsthafteren und mehr Furcht einflößenden Ton kann ein Motor nicht erzeugen. Abschrecken tut das die Leute nicht, im Gegenteil. Kein anderes Auto sprengt die Blusen der Passantinnen so vom Körper wie dieses breite, rote, unfassbar laute Gerät. Männer werden zu Lämmern, Jungs kriegen den Mund nicht zu und Frauen jeden Alters (!) bewerfen einen mit Blicken, die für gewöhnlich in Filmen mit Altersfreigabe 18 zu sehen sind.
Wie die meisten Träume hat auch dieser ein Ende und der Schlüssel wandert aus meiner Tasche zurück in die des Besitzers, in diesem Fall speedacademy.at. Werde ich das Biest vermissen? Ja. Bin ich erleichtert, dass er wieder weg ist? Auch. Wie sagt doch Gerard Butler zu Thandie Newton in „RocknRolla“: „Good-bye sweetheart. You’re way too dangerous for me.“