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Ferrari Purosangue: Vollblut mit Verspätung

Ist es der endgültige Verrat an Enzos Idealen oder der Beginn einer glorreichen Zukunft? Als einer der letzten unter den schnellen Luxusherstellern surft jetzt auch Ferrari auf der SUV-Welle und schickt gegen Lamborghini Urus, Aston Martin DBX und in gewisser Weise auch gegen Bentley Bentayga und Rolls Royce Cullinan für Schätzpreise um 300.000 Euro den Purosangue ins Rennen. Damit beugt sich Maranello doch noch einem Trend, gegen den sich die Italiener lange wehren konnten. Schließlich hat sich schon Firmengründer Enzo Ferrari nur widerwillig auf den Bau von Serienfahrzeugen eingelassen, weil er irgendwie seine Rennwagen finanzieren musste. Und später wollte sich Sergio Marchionne noch lieber erschließen lassen, als so ein Auto durchzuwinken. Doch Enzo Ferrari ist genau wie Marchionne Geschichte und der Kampf gegen ein SUV mit dem Cavallino Rampante verloren. Schließlich ist die Gier nach Geländewagen weltweit ungebrochen und vor allem in China sehnen sich die Neureichen nach dem Status eines Ferrari, ohne sich gleich in einen kompromisslosen Sportwagen quetschen zu müssen.

Doch keine Sorge: Weil der mahnende Geist Marchionnes vielleicht doch noch so ein bisschen über dem Projekt schwebt, verspricht die Vollgas-Marke skeptischen Kunden schon dem Namen nach ein Auto ohne Kompromisse: Purosangue soll der Tabubruch heißen – reines Blut.

Und nachdem die Italiener jetzt endlich das Tuch von ihrem vermeintlichen Tabubruch gezogen haben, gibt es daran kaum mehr einen Zweifel. Denn tatsächlich sieht das mit seinen 4,97 Metern fast noch kurze SUV aus wie ein Sportwagen auf Stelzen, zitiert im Gesicht den Roma, in den Flanken den 812 und von hinten den GTC Lusso und ist mit kaum mehr als zwei Tonnen für diese Klasse beinahe ein Leichtgewicht.

Zwar ist Ferrari nicht der erste, sondern einer der letzten Reiter auf dieser Welle. Doch statt die Konkurrenz nur nachzuahmen, haben sich die Italiener etwas Neues einfallen lassen und gegenläufige Türen eingebaut, wie es die sonst nur im Cullinan gibt – mit versenkten Griffen und voll elektrisch. Sie geben den Weg frei zum großzügigsten Innenraum, den Ferrari je gebaut hat. Vorn wird der dominiert von Hutzen im Cockpit für Fahrer und Beifahrer, hinten gibt es immer zwei Einzelsitze und der Kofferraum ist nicht nur groß, sondern lässt sich erstmals auch durch Umklappen der Rücklehnen erweitern. 

Weil das SUV schon schwere Kost genug ist für die gusseisernen Ferraristi, gehen sie in Maranello den Weg allerdings nicht ganz zu Ende. Während Lotus – bislang in einer andren Liga, aber ähnlich fokussiert auf die reine Lehre – gerade ebenfalls sein erstens SUV vorgestellt hat und dabei gleich auch noch den Schritt in die E-Mobilität wagt, fährt der Ferrari deshalb mit dem typischsten Motor vor, den man sich aus Maranello denken kann: Einem V12-Saugmotor. Damit setzt sich der Nachzügler an die Spitze des Feldes. Denn Hauptkonkurrent Lamborghini muss der Konzernplanung folgen und bekommt seinen Zwölfzylinder nicht unter die Haube des Urus, Bentley nimmt zumindest für Europa so langsam Abschied vom W12, und so ein richtiger Konkurrent ist der aufgebockte Rolls-Royce vielleicht doch nicht. 

Und damit nur ja keine Zweifel aufkommen, geht Ferrari auch bei der Leistung in die Vollen und kitzelt aus dem 6,5 Liter großen Triebwerk mit dem an der Hinterachse angeschlagenen Doppelkupplungsgetriebe 725 PS und 716 Nm – das ist mehr, als jedes andere SUV in dieser Liga zu bieten hat. Entsprechend einzigartig sind dann auch die Fahrleistungen: Bei einem Sprintwert von 3,3 Sekunden und einem Spitzentempo von mehr als 310 km/h stiehlt dem Spätberufenen keiner die Schau. Dabei mag die Performance wie bei den Supersportwagen sein, doch fahren soll der Purosangue so leicht wie ein Fiat Punto. Nicht umsonst gibt es Allradantrieb und sogar eine Allradlenkung. 

Zwar dehnt Ferrari seine Marke mit dem SUV gewaltig, nicht umsonst ist der Purosangue der erste Viertürer aus Maranello und das erste Auto, das den Fahrern bis zur Schulter gehen wird. Doch Angst um den Erfolg müssen sich die Italiener kaum machen. Denn egal ob Porsche vor 20 Jahren mit dem Cayenne, Bentley, Lamborghini, Aston Martin oder Rolls-Royce – nach welchem Sportwagen- oder Luxushersteller man auch schaut: Überall war das Gezeter bei der Premiere groß – und der Erfolg noch größer. Deshalb ist es nicht auszuschließen, dass nach Ferrari bald auch die allerletzte Bastion fällt und womöglich auch McLaren noch ein SUV baut. Erst recht, seitdem die Briten einen ehemaligen Ferraristi als Chef haben.

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