Messerundgang Shanghai Motor Show

Messerundgang Shanghai Motor Show

Der Markt hat sich zwar etwas abgekühlt und die Wachstumsprognosen sind nicht mehr ganz so rosig. Doch was China als größter Autonation der Welt an Kaufkraft fehlt, das machen Maos Erben mittlerweile mit ihrem Innovationsgeist locker wett. Denn die Zeiten, in denen sie nur westliche Modelle kopiert oder in offiziellen Kooperationen nachgebaut haben, sind längst vorbei. Sondern neue Marken wie Nio oder Byton und ältere Konzerne wie Geely, Great Wall oder Changan fahren auf der Messe in Shanghai gerade so groß auf, dass die Besucher sich zurecht am Nabel einer neuen Autowelt fühlen – und die früher ach so bewunderten Importeure werden allem Ruhm und aller Ehre zum Trotz plötzlich zu Nebendarstellern. Und das gilt diesmal nicht nur für den Messebau und die imposanten Stände, sondern auch für das, was darauf ausgestellt ist.

Von Thomas Geiger
Während Messen wie der Pariser Salon und die Motorshow in Detroit und sogar die IAA in Frankfurt den Bedeutungsverlust fürchten müssen , platzt das riesige Exhibition Center im Nordwesten der Stadt aus allen Nähten: Denn mit 27 Prozent aller verkauften Pkw-Neuwagen ist China der mit Abstand weltgrößte Markt und damit schlicht zu wichtig, als dass hier jemand fehlen könnte, sagt der Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer und schreibt den Chinesen mittlerweile eine führende Rolle zu:  „China ist dabei, Technologieführer in der Autoindustrie zu werden und zugleich für alle anderen die Regeln vorzugeben.“
Und der imposante Auftritt der Heimspieler gibt ihn recht. Denn die Zeiten, in denen die Chinesen vor allem mit Lachnummern aus dem Copyshop für Aufsehen gesorgt haben, sind lange vorbei. Ja, manche SUV-Gesichter kommen einem noch immer seltsam vertraut vor und nicht jedes Design trifft den europäischen Geschmack. Doch die Autos von Marken wie Chery oder Geely, Wey oder Roewe haben deutlich an Substanz und Selbstbewusstsein gewonnen und sind vor allem technisch vorn dabei. Während Audi & Co gerade erst so langsam auf große Touchscreens umstellen, haben hier selbst billige Kleinwagen riesige Bildschirmlandschaften und ohne Online-Infotainment fährt kaum einer mehr vom Hof. Kein Wunder, schließlich ist den Chinesen die Größe der Monitore mittlerweile wichtiger als die Zahl der Zylinder, sagt Jan Burgard vom Beratungsunternehmen Berylls.
Was aber am meisten beiendruckt, das ist der Grad der Elektrifizierung. Während Akku-Autos bei den Importeuren noch die Stars sind und sich die Gäste mit den Ankündigungen für die VW ID-Modelle, den Audi e-tron oder den Mercedes EQ C überbieten, sind die Stromer bei den chinesischen Marken beinahe schon Standard. Und gefühlt jede zweite Marke hat gar keine Verbrenner mehr im Angebot, sondern eifert wie Weltmeister oder Quantum gleich dem großen Vorbild Tesla nach.
Die Gäste aus dem Westen verblassen dagegen immer weiter. BMW zum Beispiel hat in China außer den M-Varianten von X3 und X4, einem gelifteten Mini und dem neuen Dreier mit elf Zentimetern mehr Radstand gar nichts Neues zu bieten, Porsche wiederholt die Premiere des Cayenne Coupé und Mercedes zieht das Tuch von einem beinahe serienreifen GLB. Als SUV mit sieben Sitzen sieht der zwar viel besser aus als die Tourer der BMW Zweier-Reihe oder der Touran und hat als größter der Kompakten das Zeug zum meistverkauften Mercedes, lässt aber abgesehen vom Infotainmentsystem MB UX jede Innovation vermissen – und das kennt man mittlerweile auch schon seit einem guten Jahr. Das ändert sich erst in zwei Jahren, wenn er als EQ B auch zum Elektroauto wird.
VW und Audi stellen sich da zumindest ein bisschen geschickter an. Denn sie zeigen nicht nur einen eigens für China elektrifizierten Q2 mit gut 200 Kilometern Reichweite, ein halbes Dutzend VW-SUV ausschließlich für China und eine ganze Jetta-Familie als neue Einstiegsmarke. Sondern sie machen mit dem Studien ID Roomzz und Audi Ai:Me auch Lust auf die Zukunft. Bei VW beginnt die für den elektrischen Siebensitzer im Format des Tuareg bereits in zwei Jahren – allerdings noch ohne den Autopiloten und das variable Lounge Concept, dafür aber mit Allradantrieb und bis zu 450 Kilometern Reichweite. Bei Audi dauert es dagegen noch ein bisschen länger. Schließlich ist der wie ein A2 der übernächsten Generation gezeichnete Ai:Me ein autonomes Shuttle für die Metropolen von morgen, durch die er die meiste Zeit wie von Geisterhand surren soll. Doch so entspannend das Interieur mit Wellnessprogramm und Loungeliegen unter einer von Efeu umrankten Pergola gestatelt ist, könnte sich das Warten durchaus lohnen.
Der mit Abstand größte Star unter den Modellen mit europäischem Einfluss ist allerdings gerade mal gute drei Meter lang und auf den ersten Blick ein ganz gewöhnlicher Kleinwagen. Auf den zweiten allerdings entpuppt sich der Renault es als pfiffiges Akkuauto, mit dem die Franzosen ganz vorne mitfahren wollen auf der Electric Avenue. Schließlich wird ihm eine Reichweite von rund 250 Kilometern nachgesagt und der Preis soll trotz der europäischen Qualität auf einem Niveau liegen mit den lokalen Konkurrenten, die nach Abzug der Subventionen bereits für umgerechnet rund 10.000 Euro zu haben sind. Damit liefert der Wagen, den die Franzosen als Globales Projekt mit guten Exportchancen bezeichnen, das perfekte Vorbild für geplante Neuerscheinungen wie den Mini E aus der Kooperation mit Great Wall und die nächste Generation des Smart, für die Geely verantwortlich zeichnet. Und er hat zudem das Zeug, den europäischen Massenmarkt zu erobern – das zumindest war der Plan, als bei Renault noch Carlos Ghosn das Sagen hatte. Wenn dieser Plan auch nach dessen unrühmlichen Abgang besteht, dann könnte Automobilwirtschaftler Dudenhöffer noch mit einer weiteren Prognose recht haben: „Das Auto der Zukunft kommt aus China“.

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