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VW ID. Buzz: Warten auf den Bus

Fünf Jahre sind eine lange Zeit – erst recht, wenn man auf den Bus wartet. Aber genau so lange mussten sich die VW-Fans jetzt in Geduld fassen. Denn es war tatsächlich schon 2017, als die Niedersachsen auf der Motorshow in Detroit den ersten Entwurf für den ID. Buzz enthüllt – und die Kunden danach zappeln lassen haben. Doch jetzt geht die Geduldsprobe so langsam zu Ende. Denn in Hamburg und pandemiebedingt natürlich auch im Internet hat VW jetzt die Serienfassung des ersten dezidierten Elektro-Transporters in Europa enthüllt. 

Fotos: VW

Mit diesem elektrischen Erstling zwischen all den Umrüstungen von Stellantis oder Mercedes wollen die Niedersachen aber nicht einfach nur die bemannte Raumfahrt in die Zukunft fortschreiben und nebenbei mit einer Cargo-Version auch noch der Gewerbekundschaft einen Weg ins Grüne weisen. Sondern zugleich schlagen sie mit dem Maxi-Modell ihres Modularen Elektrifizierungsbaukastens MEB den Bogen zurück zum Bulli, der 1950 seinen Einstand gab und binnen 70 Jahren zum Traumwagen ganzer Generationen geworden ist. Erst Motor des Wirtschaftswunders, dann Ikone der Hippies und bis heute blech gewordenes Fernweh für Camper, Studienräte und Familienväter – es gibt neben dem Käfer kaum ein anderes VW-Modell, an das so viele unterschiedliche Generationen so viele positive rundweg positive Erinnerungen haben. Und spätestens nachdem uns VW immer und immer wieder die Studie vor Augen gehalten hat, sind die auch alle wieder frisch und lebendig.

„Sympathisch, ikonisch, einzigartig – es gibt viele Elektroautos, aber nur einen ID. Buzz“, sagt Markenchef Ralf Brandstätter und freut sich an der Begeisterung, die dem elektrischen Bulli seit dem ersten Tag entgegen schlägt. „Das ist wichtig für uns, das tut der Marke gut.“ Dass der ID. Buzz so gut ankommt, liegt für Brandstätter an seinem starken Erbe: „Vor 70 Jahren war der Bus der Inbegriff von Freiheit und Unabhängigkeit, einfach eine große Liebe. Und dieses Lebensgefühl bringen wir jetzt ins hier und heute – elektrisch und digital.“ 

Dumm nur, dass auf dem Weg vom Wunsch zur Wirklichkeit die Studie einiges auf der Strecke geblieben ist. Denn wie immer war die Studie viel charmanter und detailverliebter, als es in der Serie je durch die Kostenkontrolle gegangen wäre. Von Gimmicks wie dem versenkbaren Lenkrad oder dem Sofa im Fond ganz zu schweigen. Von außen mag der sentimentale Gedankensprung dabei noch klappen, weil der ID. Buzz wie der originale Bulli ein extra großes VW-Logo trägt, weil das Serienmodell genau wie die Studie eine süße Stupsnase hat und weil die Proportionen einfach passen.  Nicht umsonst ermöglicht die Elektro-Architektur viel kürzere Überhänge als jede Verbrenner-Plattform und damit Proportionen nahe am heckgetriebenen und luftgekühlten Boxer-Bulli aus den 1950ern. 

Doch drinnen gibt es weder Retro-Charme, noch Augenzwinkern und den schwebenden Buddha aus dem Showcar sucht man genauso vergebens wie das riesige Tablet im Cockpit. Stattdessen blickt man auf die bekannte Bedienlandschaft aus ID.3 und ID.4 und freut sich fast schon daran, dass zumindest der Wählhebel fürs Getriebe jetzt vom Bildschirmrand ans Lenkrad gewandert ist. Gleichzeitig ärgert man sich allerdings auch über die schier endlose Platte, die sich bis zur Frontscheibe erstreckt wie die Norddeutsche Tiefebene zwischen Wolfsburg und Hamburg: Weil es keinen Vorbau mehr gibt, muss darunter die gesamte Klimatechnik und Steuerungselektronik verschwinden, rechtfertigen die Ingenieure das mächtige Tableau, und Platz fürs Head-Up-Display mit Augmented Reality Technik brauchten sie schließlich auch noch. 

Aber Achtung: Was dem ID. Buzz an Augenzwinkern zur Studie fehlen mag, macht er mit Alltagstauglichkeit wieder wett: Anders als beim handgeschnitzten Einzelstück gibt’s für die Serie Ablagen wohin das Auge blickt und reichlich smarte Ladetechnik. Nicht nur, dass man im ID. Buzz mehr Handys gleichzeitig bestromen kann, als er Sitzplätze hat. Sondern mit der Premiere des smarten Riesen führt VW zudem Plug & Charge ohne leidige Authentifizierung an der Ladesäule und bidirektionales Laden ein, mit dem der Bus zum Pufferspeicher etwa für das heimische Solardach wird. 

ID-Cockpit hin, Sprachsteuerung her: Zumindest der Fahrer fühlt sich schnell zu Hause in der neuen alten Bulliwelt. Schließlich ist schon die Sitzposition näher am Bus als in jedem anderen VW-Modell, die Rundumsicht ist besser als bei allen anderen ID und wie bei den Verbrennern schon seit über 30 Jahren nicht mehr, hat der Neuzeit-Bulli sogar wieder Heckantrieb. Und auch das Tempo erinnert bei der ersten Ausfahrt in einem der letzten Prototypen an die Jugendjahre des Dauerbrenners. Denn mit Rücksicht auf die Reichweite, die dem Borddisplay zufolge bei gut 400 Kilometern liegen wird, zieht die Elektronik bei 145 km/h den Stecker. Bis dahin aber beschleunigt der ID. Buzz so schneidig und seidig wie jeder andere Stromer. 

Während man sich am Steuer tatsächlich noch fühlt wie ein Busfahrer, selbst wenn es jetzt natürlich flüsterleise ist an Bord, der E-Motor besser antritt als jeder Diesel und der ID. Buzz mit einem Wendekreis von gerade mal elf Metern plötzlich so handlich ist wie sonst allenfalls ein Golf, müssen sich die Hinterbänkler erstmal umstellen.

Ja, sie haben dem großen Radstand sei Dank jede Menge Beinfreiheit. Denn obwohl der ID. Buzz mit 4,70 Metern rund 20 Zentimeter kürzer ist als der Multivan, stehen die Achsen ebenfalls fast drei Meter weit auseinander. Und bei genauem Hinschauen entdecken auch sie ein paar liebevolle Details wie die Halteschlaufen anstelle der Griffe über den Schiebetüren, die seit 70 Jahren zum Bulli gehören wie der Golfball auf dem Schaltknauf zum GTI. Doch sitzt man im Fond auf einer konventionellen Bank wie sonst im Touran und mit der Variabilität ist es nicht allzu weit her. Ja, das Sofa ist geteilt und man kann es um zwei handbreit verschieben, und natürlich lässt sich die Lehne umklappen. Doch weder verschwindet die Bank für maximalen Stauraum im Boden, noch kann man sie umdrehen oder gar ausbauen.

„Geduld, Geduld“ sagen da die Niedersachsen. Schließlich kommt im nächsten Jahr nicht nur ein XL-Buzz mit nochmal 25 Zentimetern mehr Radstand und dann auch Platz für eine dritte Sitzreihe. Sondern bis dahin soll es für den Fond auch vier Captain-Chairs geben, mit denen man dann wie eh und je Stühlerücken spielen kann. 

Auch beim Antrieb ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Im Gegenteil. Während es zum Start erst mal nur den 77 kWh-Akku mit einem 150 kW- oder 204 PS-Motor im Heck gibt, kommen später noch mindestens zwei weitere Varianten: Der „Pure“ mit etwas mehr als 50 kWh für runde 300 Kilometer und das Top-Modell mit einer zweiten E-Maschine für Allradantrieb und sportliche 300 kW oder knapp 400 PS. Und wahrscheinlich werden die Ingenieure den größeren Bauraum des XL-Modells auch mit mehr Batteriezellen zu füllen wissen, so dass dann auch die 500 Kilometer-Marke zu knacken ist. 

All das spreizt natürlich auch das Preisband. Die beginnen erst einmal bei etwa 63.000 Euro (D) für die erste Auflage und sollen später mit einem Einstiegsmodell auf 55.000 (D) und dem Cargo auf 45.000 (D) Euro sinken. Auch darin steht der ID. Buzz ganz in der Tradition des Bulli, der zumindest in den letzten Generationen nie ein günstiges Auto war. Und die Elektromobilität macht ihn sicher nicht erschwinglicher. Aber andererseits bringt der ID. Buzz seine Insassen nicht nur von A nach B, sondern schickt sie auch auf eine Zeitreise – und die führt sogar in beide Richtungen – und zwar gleichzeitig. Während die Erinnerungen in der Vergangenheit schwelgen, ist die Phantasie auf dem Weg in die Zukunft. 

Dumm nur, dass diese Reise jetzt noch immer nicht beginnt. Denn auch wenn VW nun endlich das Tuch gelüftet und das finale Auto enthüllt hat, läuft die Produktion in Hannover erst in wenigen Wochen an, die Bestellbücher werden nicht vor dem Sommer geöffnet und die Auslieferung beginnt kaum vor Ende des Jahres. Aber hey, jetzt mal ehrlich: Nach fünf Jahren Warten kommt es auf die paar Monate nun auch nicht mehr an.

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