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VW ID.4: Die zündende ID

Der VW ID.3 hat als elektrischer Golf der Zukunft bereits hohe Wellen geschlagen. Und dabei teils auch harte Kritik einstecken müssen. Mit dem ID.4 setzt VW die Elektro-Idee nochmals deutlich hochwertiger um und hofft, dass sie damit vollends zündet.

Hochwertig ist in diesem Sinne von zweierlei Bedeutung. Denn einerseits steigt das 4584 Millimeter lange SUV von vornherein in einem ganz anderen Segment ein als der Kompaktwagen ID.3 und andererseits liegt bei letzterem der Fokus zu großen Teilen darauf, Elektromobilität auch für die ganz breite Masse leistbar zu machen. Von plastikgeschwängertem Cockpit und Trommelbremsen ist beim ID.4 allerdings keine Rede, hier wird wieder auf gut Deutsch geklotzt statt gekleckert.

Klar, das hängt natürlich unterm Strich auch von der gewählten Ausstattung ab, doch unser getestetes Vorserienfahrzeug als 1st Edition lässt keine Wünsche offen. Von der komplett digitalen Bedienlandschaft mit Zierleisten, Lichtspielereien und Klavierlack bis zum Abwinken über die fein bezogenen Sitze bis hin zum auslandenden Panoramadach kommt hier zweifellos Premiumfeeling auf. Das dauert auch ein Weilchen an, denn als „Pro Performance“ bringt der ID.4 die große 77 kWh-Batterie und 204 E-Pferdchen mit. Außerdem befährt bald auch die“Pure“-Version den Markt, die mit 52 kWh und mindestens 150 PS noch einen Schritt sparsamer daherkommt – auch den Geldbeutel betreffend. Und wie ist das jetzt bei der Reichweite? Laut WLTP sind beim getesteten ID.4 Pro Performance etwas mehr als 500 Kilometer drin. Bei Inbetriebnahme des vollgeladenen Testwagens stehen 334 davon in der Reichweitenanzeige. Relationen, die bei allen Elektroautos ganz normal sind.

Aber immerhin: Nach einem Tag des Umherkurvens in Wien und einer Stadtautobahnetappe (will heißen maximal 80 km/h) haben wir mehr Kilometer zurückgelegt, als wir Reichweite verloren haben. Und das bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und einem beherzten Fahrstil. Ob man die 500 wirklich schafft, sei bis zu einem ausführlicheren Test dahingestellt. Aber der ID.4 kann schon eine ordentliche Strecke bewältigen und muss sich vor anderen Elektrikern in seiner Klasse definitiv nicht verstecken.

Designtechnisch hat VW den Spagat zwischen Zukunftsmusik und der nicht allzu abenteuerlustigen Stammkundschaft gut hingelegt. Der ID.4 präsentiert sich schon deutlich avantgardistischer als die üblichen Verdächtigen, wagt jetzt aber auch keine gar so wilden Experimente. Die Kreuzung aus SUV, Coupé, und Kombi passt ebenfalls zu einem Auto, mit dem VW eben neue Wege beschreiten will. Er will kein elektrischer Tiguan sein, sondern ist eigenständig unterwegs. Bis man zum Skoda Enyaq schaut – die nächste Generation im Konzern lässt ihre Verwandtschaft deutlich erkennen.

Aber gut, so ist es heutzutage mit den gemeinsamen Plattformen und so weiter und so fort. Um eineiige Zwillinge handelt es sich aber auch wieder nicht und dass die Formensprache des ID.4 unterm Strich gefällt, ist doch das Wichtigste. Gefällig ist auch das Fahrverhalten des elegant angelegten Stromers. Gelassen und in sich ruhend gleitet er durch die Stadt und entspannt seine Insassen auf Wunsch mit einer wohligen Massage. In diesem Auto existiert es sich vortrefflich, der ID.4 zählt in puncto Fortbewegung garantiert zu den gediegensten Volkswagen, egal ob elektrisch oder nicht.

Hinzu kommt noch eine schier endlose Liste an Assistenten und Helferleins, die die Fahrt und den Aufenthalt so gemütlich wie möglich gestalten wollen. Dazu zählt auch das Augmented Reality Head-up-Display, das beispielsweise Navianzeigen direkt auf den betreffenden Punkt auf der Straße „projiziert“. In der Realität beschränkt sich das allerdings auf ein paar schwebende Pfeile, die beim Näherkommen größer werden. Ganz nett, braucht aber niemand so ganz dringend. Der Abstandstempomat übernimmt etwa auch automatisch wechselnde Geschwindigkeitsbegrenzungen, leider hat er dabei auch mehrfach nur für Lkw geltende Zusatztafeln ignoriert – ein Vorserienmangel, der bei Marktstart beseitigt ist, wie man uns versichert. Bleibt zu hoffen, denn sonst würde dieses Feature mehr nerven als nützen.

Alles in allem wusste der VW ID.4 an unserem ersten gemeinsamen Tag durchwegs zu überzeugen. Der Einstieg in die ID.4-Welt startet für die Pro-Version bei 43.970 Euro, die Topausstattung Max beginnt bei 56.790 Euro. Kein Schnäppchen, aber dafür sind Elektroautos sowieso nicht bekannt, außerdem bietet der ID.4 auch einiges. So vehement VW in der jüngeren Vergangenheit schon an der Tür zum Premiumsegment angeklopft hat, spätestens jetzt mit dem zweiten Elektriker wird aus dem Anspruch auch eine Zugangsberechtigung. Ein Statement, das umso besser wirkt, da es auch den preisorientierteren ID.3 noch gibt. Denn so kann man wirklich eine breite Masse an E-Kunden ansprechen, sowohl die Sparer als auch die mit den Spendierhosen.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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