Gentleman, Start Your Engines: Selbst wenn ihr Familienväter oder Firmenfahrer seid, gibt’s demnächst für Euch ein bisschen mehr Aufregung auf der Autobahn.
von Thomas Geiger
Das zumindest ist das Versprechen, mit dem Jaguar jetzt den XE an den Start bringt und sich nach sechs Jahren Pause wieder in der Mittelklasse zurückmeldet. Denn auch wenn die Briten mit der handlichen Limousine die Aufnahmegebühr in den Auto-Adel mal eben um 10 000 Euro senken und sich plötzlich ziemlich bürgerlich geben, wollen sie sich noch lange nicht mit den biederen Bestsellern des Bürgertums gemein machen: „Sondern wir wollen unseren Kunden die dynamischste Alternative bieten“, sagt Projektleiter Jonathan Darlington. Deshalb vergleicht der Ingenieur den XE nicht so gerne mit Konkurrenten wie dem Dreier BMW, der Mercedes C-Klasse oder dem Audi A4, sondern viel lieber mit Sportwagen wie dem F-Type: „Nur dass man im XE zum Fahrspaß eben auch noch eine Rückbank und einen großen Kofferraum bekommt“, sagt er mit einem verschmitzten Lachen.
Dynamik, Agilität und Fahrfreude ab dem ersten Meter: Zwar kann er das alles prima begründen, nicht zuletzt mit der ersten Aluminium-Karosserie in diesem Segment, mit der das Gewicht unter die Werte der Konkurrenz sinkt und gleichzeitig die Steifigkeit besser ist als bei den Dominatoren aus Deutschland. Oder mit dem Einsatz einer Integral-Hinterachse, mit der Kraftübertragung und Spurführung verbessert werden sollen. Doch nachdem Jaguar diese Geschichte jetzt schon seit zwei Jahren erzählt, macht Darlington lieber nicht mehr so viele Worte. Stattdessen gibt er einfach die Schlüssel für die ersten Prototypen heraus, die jetzt, ein halbes Jahr vor Verkaufsbeginn, mit den Serienwerkzeugen in der aufgerüsteten Fabrik Solihull vom Band gelaufen sind: „Denn viel mehr als 500 Meter braucht man gar nicht, um den Charakter dieses Autos zu entschlüsseln“, verspricht Darlington, der aber sicherheitshalber gleich mal mehr als 300 Kilometer ins Navi programmiert hat.
Die erste Ausfahrt mit dem Jaguar XE
Also rein in die überraschend tief montierten und eng ausgeschnittenen Sitze, das griffige Lenkrad eingestellt und auf den Starknopf gedrückt, der leuchtend rot in der Mittelkonsole pulsiert, bis endlich jemand den Motor zum Leben erweckt. Der brüllt kurz auf, als hätte man einer Katze auf den Schwanz getreten, und fällt dann in einen leisen Leerlauf, der aber nur von kurzer Dauer ist. Denn Darlington hat recht und der XE hat genau den Zunder, der beim Fahrer ein Feuer der Leidenschaft entfacht. Klar, so lange die Fahrt über eine volle Autobahn im morgendlichen Berufsverkehr führt, lässt man es locker angehen, freut sich am wolkenweichen Fahrwerk und am niedrigen Geräuschniveau. Der Arbeitsalltag, der die meisten XE-Kunden später im Büro erwarten wird, ist schließlich hektisch, laut und ungemütlich genug. Doch sobald der Verkehr lichter, die Straße schmaler und die Linienführung enger wird, züngeln kleine Flammen an der Seele: Der rechte Fuß wird wie von selbst ein bisschen schwerer, die Hände schließen sich fester ums Lenkrad und man rasiert durch die Kurven, dass es eine wahre Freude ist. Erst recht, wenn man mit der Schalterleiste auf dem Mitteltunnel vom Komfort- ins Sportprogramm wechselt und der XE spürbar seine Sinne schärft. Die neue, elektrische Lenkung ist dann ein wenig direkter, das Fahrwerk etwas bestimmter und die eben noch so seidig, samtene Achtgang-Automatik leistet sich plötzlich ein paar spürbare Schaltrucke. Nur die peinlichen Zwischengasstöße und den protzigen Klappenauspuff aus dem F-Type haben sich die Briten in der Business-Class dankenswerter weise gespart. Das passt zu einem Sportwagen, aber nicht zu einer Firmen- und Familienkutsche
Schon im Herbst auf der IAA in Frankfurt zeigen die Briten auf Basis des XE ihren ersten Geländewagen – und mischen damit gleich das nächste Segment auf.
Der Jaguar XE und die Motoren
Dass es ordentlich vorwärts geht in diesem Prototypen, ist allerdings kein Wunder. Unter der Haube steckt schließlich auch ein V6-Kompressor mit 340 PS und 450 Nm. Mit einem soliden Sprintwert von 5,1 Sekunden und dem üblichen Limit von 250 km/h markiert der 3,0-Liter-Motor trotzdem nur vorübergehend die Spitze. Denn später wollen die Briten auch M3, C63 und RS4 ans Leder und versprechen schon ein Sportmodell mit mindestens 300 km/h. Fürs Image mag das wichtig sein. Für Business allerdings spielen zumindest bei uns weder der V6-Motor noch die beiden 2,0-Liter-Benziner mit 200 und 240 PS eine nennenswerte Rolle. Sondern in dieser Klasse dreht sich alles um die Diesel. Deshalb gibt mit dem XE eine komplett neue Familie von Selbstzündern ihren Einstand, aus der zum Start erst mal ein ebenfalls zwei Liter großer Vierzylinder mit 163 oder 180 PS bereit stehen. Der stärkere überzeugt bei der ersten Ausfahrt mit dem ordentlichen Nachdruck von 380 Nm, kommt in 8,2 Sekunden auf Tempo 100 und schafft 227 km/h. Aber er ist mit seinem präsenten Knurren eine große Herausforderung für den Schallschutz der Karosseriebauer und Aerodynamiker . Und der andere soll die Mär vom ewig durstigen Engländer widerlegen und ist auf dem Prüfstand deshalb mit 3,8 Litern zufrieden. Zwar stehen die Briten mit ihrem Spardiesel und einem CO2-Ausstoß von 99 g/km nicht schlecht da. Doch wenn BMW und Mercedes in diesem Jahr fast zeitgleich mit einem Plug-In-Hybriden starten, sieht das neueste Auto in dieser Klasse plötzlich wieder ganz schön alt aus. Da wird Mr. Darlington noch ein bisschen nachsitzen müssen.
Das Fahrwerk des Jaguar XE
Präzise zu lenken, leichtfüßig in Kurven und entspannt auf der Autobahn – hinter dem Lenkrad macht der XE bei der ersten Ausfahrt tatsächlich eine gute Figur. Den mittlerweile hoffnungslos veralteten und ohnehin falsch herum angetriebenen A4 steckt er locker in die Tasche. Und mit der C-Klasse ist er fahrdynamisch auf Augenhöhe. Nur an den Dreier kommt er nicht heran, weil die Münchner den Fahrer noch ein bisschen mehr anmachen, ihn stärker einbinden und ihm ein noch besseres Gefühl für die Straße geben. In allen anderen Disziplinen reicht es den Briten bei der Rückkehr in die Mittelklasse allerdings erst einmal nur zu einem Platz im Mittelfeld. Zwar haben sie ein nagelneues und rundherum gelungenes Infotainment-System eingebaut mit gestochen scharfem Touchscreen, ordentlicher Navigation, guter Smartphone-Anbindung und ein paar pfiffigen Apps. Und neben den üblichen Assistenten wie einem Abstandstempomaten und einer Spurführung gibt es auch ein Head-Up-Display. Doch beim Ambiente fehlt zum Beispiel im Cockpit und rund um die Türen ein wenig Liebe zum Detail, auf der Ausstattungsliste vermisst man Extras wie LED-Scheinwerfer und je weiter man nach hinten blickt, desto enger geht es zu. Natürlich sind auch die deutschen Mittelklässler keine Raumwunder. Doch im 4,67 Meter langen XE müssen sich Hinterbänkler bei 2,84 Metern Radstand schon ziemlich klein machen und die Füße arg verdrehen, wenn sie sich hinter die bequemen Vordersitze falten wollen. Und auch die 450 Liter Kofferraumvolumen sind nicht gerade rekordverdächtig.
Jaguar XE: With a little Help from Friends …
Zumindest an diesem Punkt ist aber bereits Abhilfe in Sicht – selbst wenn Darlington die Sehnsucht nach einem Kombi als vor allem deutsches Phänomen beschreibt und einen Sportbrake deshalb angeblich erst mal nicht auf dem Zettel hat. Stattdessen gibt eine andere Modellvariante mit mehr Platz, mehr Möglichkeiten und globalen Vermarktungschancen: Schon im Herbst auf der IAA in Frankfurt zeigen die Briten auf Basis des XE ihren ersten Geländewagen – und mischen damit gleich das nächste Segment auf.