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Der Bulle von Benz
Mercedes X-Klasse: Sanfter Riese
Mit der X-Klasse wagt sich die Marke mit dem Stern in eher unbekanntes Gebiet vor und versucht Luxus und Nützlichkeit zu kombinieren.
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Die Staubschleppe ist viele Meter lang, vom Bodenblech hört man das Poltern der aufgewirbelten Schottersteine, aus den Pfützen spritzt der Matsch bis hoch ans Fenster und die Schlaglöcher sind so tief, dass ein Smart fast darin versinken würde. Doch der Entwicklungsfahrer bleibt auf dem Gas und pflügt wie Indiana Jones durch die Pampa. Schließlich sitzt er nicht am Steuer irgendeines neuen Mercedes, sondern bittet – parallel zur Weltpremiere – zur ersten Mitfahrt in der neuen X-Klasse, mit der die Schwaben einen schwierigen Spagat wagen. Denn als erster Pick-Up eines europäischen Premium-Herstellers soll der Pritschenwagen so etwas wie den Schaffer im Smoking geben und deshalb hart zu sich selbst aber sanft zu den Passagieren sein.
Auch wenn in den Reden zur Premiere der X-Klasse immer wieder das Wort „premium“ fällt und Mercedes die X-Klasse mit reichlich Lack und Leder dekoriert, um den Grundpreis von 37 294 Euro zu rechtfertigen, will der Pritschenwagen trotzdem ein robuster Praktiker sein. Nicht umsonst baut er wie alle Konkurrenten auf einem schier unverwüstlichen Leiterrahmen auf, kann auf seiner Ladefläche locker eine Euro-Palette schultern, bietet eine Nutzlast von mehr als einer Tonne, kann bis zu 3,5 Tonnen an den Haken nehmen und kommt dank hoher Bodenfreiheit und solidem Allradantrieb im Gelände fast so weit wie eine G-Klasse, versprechen die Entwickler und treten bei ihren Demofahrten umso fester aufs Gas.
So ganz neu ist X-Klasse dabei natürlich nicht. Erstens, weil sich das Serienmodell überraschend treu und detailverliebt an die Studien aus dem letzten Herbst hält und zweitens, weil unter dem Blech der Navarra von Kooperationspartner Nissan steckt. Doch Mercedes hat sich viel Arbeit gemacht, die Verwandtschaftsbeziehungen zu verwischen. Das gilt für das Karosseriedesign des ausschließlich mit Doppelkabine und fünf Sitzen lieferbaren Bullen von Benz mit seinem riesigen Grill, dem breiten Bug und der kantigen Pritsche genauso wie die das Cockpit. Denn mit Instrumenten aus den aktuellen Pkw-Baureihen, dem großen, freistehenden Navi-Bildschirm über der Mittelkonsole und dem Touchcontroller zwischen den Sitzen haben es die Designer geschafft, den Nissan auf nobel zu trimmen.
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In der Theorie mag das Setup verdächtig nach Nissan klingen, doch in der Praxis spürt man sehr wohl einen Unterschied. Denn die Entwickler haben in den letzten zwei Jahren nicht umsonst ein Marterprogramm in allen Winkeln der Welt abgespult. Auf Schotterpisten und in Eiswüsten, auf Geröllhalden und Dschungelpfaden haben sie den Laster auf Luxus getrimmt und ihm die Manieren eines Mercedes beigebracht. Er federt deshalb komfortabler als die Konkurrenten, selbst auf der rabiatesten Rüttelstrecke hört man kein Knistern und kein Klappern und wenn der Testfahrer mit über 150 Sachen in eine scharfe Kurve fährt, verzieht er dabei keine Miene. Das möchte man ihm in einem Nissan oder einem Toyota Hilux lieber nicht nachmachen.
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