
Volkswagen ID.7: Der große Blonde mit dem E-Antrieb
Ein Erfahrungsbericht mit dem großen, elektrischen Volkswagen von jemandem, der auf einem ähnlichen Auto sozialisiert wurde. In einer Zeit, als es im Fernsehen noch einen Sendeschluss gab, waren Features, die ein er wie der Volkswagen ID.7 an Bord hat, noch im Reich der Science Fiction zu finden.
Es war ein Passat, mit dem ich meine ersten Schritte mit Führerschein auf der Straße wagte, damals nach dem Führerschein. Es war ein Erbstück, das Auto meines verstorbenen Vaters. Dessen Sparsamkeit angepasst mit wenig bis kaum einer Ausstattung. Und das bedeutet bei der Zeit, von der wir sprechen: keine Servolenkung, keine E-Fenster, nichtmal elektrisch verstellbare Aussenspiegel. Ein zusätzlicher, rechter solcher war anno 1992 noch Luxus (und etwa bei Mercedes keineswegs selbstverständlich). Und 1,3 Tonnen Auto – so viel wog der gute Passat CL der Baureihe 35j, mit dem alten, braven wie massentauglichen, und daher verlässlichen 1,8 Liter Benziner mit 90 PS – ohne Servo im Stand einzuparken, das war damals ein guter Ersatz für die Kraftkammer. Nicht umsonst nannte man derlei in Fachkreisen „Blutdruck-Lenkung“.
Nun hat freilich auch ein aktueller Passat (wir sprachen da ja letzthin darüber) nicht viel mit dem damaligen gemein. Aber der ID.7 wirkt verglichen mit dem damaligen Volkswagen-Topmodell (von einem Phaeton war da noch lange keine Rede) wie die Enterprise im Vergleich zur ersten Mondfähre der Amis von 1969.

Wenn man den ID.7 das erste Mal sieht, denkt man, an noch vor kurzem gültigen Maßstäben, nicht unbedingt gleich an Volkswagen. Zu glatt, zu windschnittig, zu wenig markante C-Säule. Und doch: Ein VW-Logo vorne und hinten, viel Stolz seiner Erbauer auf die dezidierte Elektro-Optik. Aufgespannt auf das Wesen einer elektrische Businesslimousine, die irgendwo zwischen Phaeton-Erbe, Passat-Ablöse und Zukunftsversion des Flottenfahrzeugs tanzt. Ohne dabei völlig aus dem Takt zu geraten allerdings. Eine Übung, die beim ID.3 als potentiellem Golf-Nachfolger nicht ganz so gut gelang.
Auftritt mit Understatement
Optisch wirkt der ID.7 wie ein Filialleiter im Casual Friday-Modus. Business, klar – aber mit ein bisschen Laune in der Linienführung. Die Front schnörkellos, das Heck langgezogen wie eine aufwändige Steuererklärung. Dazwischen 4,96 Meter Wohlstand. Kein Aufreißer, kein Protz – mehr ein souveräner Hinweis darauf, dass man’s nicht mehr nötig hat, irgendwem etwas zu beweisen. Obwohl man, bleiben wir in der Familie, noch, oder besser, noch immer keinen Audi fährt. Angabe? Kaum. Davor schützt auch heute noch das VW-Logo. Das auf der anderen Seite wiederum klar zum Skoda abgrenzt. Obwohl der natürlich zumindest alles gleich gut kann.


Drinnen: Eine Lounge mit Touchbedienung
Innen angekommen, fühlt man sich – nun ja – elektronisch umarmt. Das neue große Infotainment-Display ist ein echter Fortschritt (endlich!). Schnell, logisch, hell – und nicht mehr so frickelig wie beim ID.3 oder ID.4 der ersten Stunde. Die Klima-Steuerung reagiert! Ja, man staunt. Vor allem weil die konzernweit fälschlicherweise für das nächste Jahrzehnt aufgegleisten Schieberegler (sie wurden für die Präsentation vorm Vorstand angeblich auf einem soliden Holztisch montiert, was natürlich jedweder automobilen Dynamik widerspricht: ein Auto hält nienienie still, auch nicht bei Schrittgeschwindigkeit!) hier gefühlt besser funktionieren als anderswo. Auch die Sitze sind ein Gedicht: weich, aber nicht nachgiebig, elektrisch verstellbar wie die Laune eines gut abgehangenen Lebensberater – und mit Massage, wenn man’s braucht. Alles fühlt sich nach „Fahren 2.0“ an. Klingt nach Marketing, ist aber in diesem Fall positiv gemeint.
Fahren: Gleitzeit deluxe
Der ID.7 fährt wie ein ICE im Premiummodus. Still, linear, souverän. Die getestete Business Pro-Version mit 77-kWh-Akku hat 286 PS und 550 Kilometer Reichweite (real: etwa 450, mit Klimaanlage, Musik und einem leichten Bleifuß). Aufs Gewicht des guten, alten Passat von damals legt der große Elektriker ganz entspannt eine knappe Tonne drauf: 2.218 kg „Tatsächliche Masse“. Trotzdem sorgt hier das neue Antriebskonzept (und der Elektriker in der Nicht-Allradversion treibt hinterwärts an!) für unaufgeregten, aber allzeit bereiten Vortrieb, wenn man’s wissen will. 6,5 Sekunden auf 100, flüsterleise. Allerdings kommt man, wenn mans alleweil so eilig hat, dann nicht ganz so weit, wies im Prospekt steht.
Das Fahrwerk ist auf Komfort gebürstet, ohne in Wankbewegungen zu verfallen. Federung? Sanft. Lenkung? Eher gemütlich als direkt, aber passend zum Wesen dieser Elektrosänfte. Auf der Autobahn zieht der ID.7 gelassen seine Bahn, selbst bei Tempo 160 noch stabil wie ein Bürgermeister vor der Wiederwahl. Vorausgesetzt, die zahlreichen Assistenten, die sich ständig dazu befugt verstehen, die Welt um einen herum auf Gefahren zu scannen, die noch gar nicht real zugegen sind, haben nichts dagegen.
Kritik? Natürlich. Aber elegant verpackt.
Klar gibt’s was zu meckern. Die Rückfahrkamera könnte schärfer sein. Die Materialwahl innen: viel soft touch, aber auch ein paar Hartplastik-Zonen, die in einem 60.000-Euro-Auto nicht sein müssten, allerdings auch nicht wirklich ungut auffallen. Und dann das Software-Update-Dilemma – Over-the-Air ist zwar schön, aber manchmal fühlt man sich als Beta-Tester in einem rollenden USB-Stick. Nicht immer gleich versteht das üppige, elektronische Hilfsuniversum, was man will, sicherheitshalber verbietet es einem allerdings die nachdrückliche Klarstellung, wenn es der Meinung ist, man sollte wieder ein bisserl mehr auf die Straße schauen. Das nervt den liberalen Individualisten in einem, ehrlich wahr.

Fazit: Der feine Herr Strom
Der VW ID.7 ist kein Auto für Poser. Er ist ein Auto für Menschen, die jeden Tag 80 Kilometer pendeln, gelegentlich nach Südtirol oder, wie in meinem Fall des öfteren, nach Kroatien fahren und dabei nicht Ladesäulen-Roulette spielen möchten. Er ist kein Sportler, kein Showstar – aber ein sehr gut erzogener, zukunftsorientierter Begleiter mit Langstreckenkompetenz. Und viel Laderaum, womit wir die Brücke wiederum zum Passat meiner Jugend schlagen. Denn darin war auch diesem damals wahrlich unschlagbar.
Der VW ID.7 kostet in Österreich in der getesteten Version ab 61.290 Euro.
