Wenn in diesen Tagen vom neuen 7er die Rede ist, dann schimpfen die einen über das Design und die anderen über das Übermaß. Denn bei aller Liebe zur Technologie und bei allem Faible für die Freude am Fahren lässt kaum einer ein gutes Haar an der vielleicht wichtigsten Neuheit des Jahres. Außer Kurt Hoffmann. Aber der spricht ja auch nicht vom neuen BMW-Flaggschiff, dass kurz vor dem Jahresende zu Preisen ab 122.800 Euro an den Start geht und dabei zwar mit bis zu 571 PS lockt, im Gegenzug aber auch mit maximal 2,7 Tonnen Leergewicht und einer Länge von 5,39 Metern schockt. Sondern der Westerwälder ist Deutschland-Importeur des Kleinserienherstellers Caterham und bedient genau das andere Extrem. Sein neuer Siebener heißt streng genommen Seven 340, mit 54.383 Euro (D) kostet er nicht einmal halb so viel und über die läppische Leistung von 170 PS lacht man nur so lange, bis man im Fahrzeugschein bei der Spalte mit dem Gewicht angekommen ist. Denn mit 585 Kilo zählt dieser Siebener im Gegensatz zu seinem barocken Namensvetter aus Bayern zu den Fliegengewichten am Markt und tut sich entsprechend leicht mit der Fahrerei.
Während die Bayern bei ihrem Siebener den Überfluss predigen, macht es Caterham genau umgekehrt und macht die Reduktion aufs Wesentliche zur Maxime: Wer für knapp 1.800 Euro Aufpreis statt der halbwegs zivil abgestimmten und in Maßen komfortabel ausgestatteten S-Version das R-Modell bestellt, der kauert deshalb in ebenso engen wie dünnen Karbonschalen statt auf einem Lederthron zu schwelgen. Wo im anderen Siebener eine zugfreie Klimaanlage fächelt, bläst hier gnadenlos der Fahrtwind um die im schlimmsten Fall zum Visier geschrumpfte Frontscheibe, und statt digitaler Bildschirm-Orgien gibt’s zwei Rundinstrumente wie aus dem Baumarkt und drum herum noch ein paar antiquierte Kippschalter. Mehr Infotainment ist nicht nötig, wenn der Thrill auf der Straße liegt.
Überhaupt: Mehr Auto braucht kein Mensch. Zumindest nicht, wenn er damit sportlich und schnell um die Kurven fliegen will. Keiner hat das besser verstanden als Colin Chapman, der Gründer von Lotus. Lange bevor seine Ingenieure die Elise auf die Räder gestellt haben, hat er 1957 nach diesem Prinzip den Seven entwickelt – eine rasende Zigarre für Straße und Rennstrecke, die es mit Blick auf ein paar Schlupflöcher in der britischen Steuergesetzgebung auch als Bausatz zu kaufen gab. Zwar hatte Chapman schon bald die Lust am Siebener verloren, und bei Lotus wurde die Produktion in den Siebzigern eingestellt. Doch Firmen wie Caterham sei dank, lebt die Legende weiter: Obwohl das Auto aussieht wie von gestern und sich bis auf ständig modernisierte Motoren an der Grundkonstruktion nur wenig geändert hat, fährt man im Seven auch heute noch mit Vollgas in den siebten Himmel.
In der Theorie mag man zwar über den 2,0 Liter großen Vierzylinder lachen, den Caterham sich bei Ford ausgeborgt hat und jetzt im 340er zum Modell für die Mitte macht. Und wenn man atemlos von einem Spitzentempo um die 200 km/h zu schwärmen beginnt, kommt bei den Fahrern des anderen Siebeners nur das große Gähnen. Doch sobald man sich einmal in die enge Röhre gezwängt, sieht die Welt schon ganz anders aus. Erst recht, wenn man sie von so tief unten betrachtet, dass man zu den Kunden der Bayern förmlich aufschauen muss.
Plötzlich brüllt der Motor laut und vergnüglich durch die riesige Sidepipe neben dem Beifahrer, als könne er es mit jenem Achtzylinder aufnehmen, den BMW zumindest für alle Märkte außerhalb Europas noch immer im Programm hat. Die Semislicks auf den niedlichen 13-Zöllern an der Hinterachse verbeißen sich in den Asphalt, die maximal 174 Nm fühlen sich an wie Bärenkräfte und wenn man den wohl kürzesten Schaltknauf der Welt geschickt genug durchs enge Getriebe knüppelt, fühlen sich die gut fünf Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 an, als hätte jemand auf „fast forward“ gedrückt. Auch wenn der BMW es trotz seines Gewichts deutlich schneller schafft, wirkt er dagegen wie eine Schnecke. Noch nie hat so wenig Leistung so viel Spaß gemacht wie in diesem Auto. Und selten hatte man bei der Raserei ein so gutes Gewissen. Denn ganz ohne Hybrid und anderen Schnickschnack kommt der Seven auf einen Normverbrauch von rund sechs Litern und lässt sich auch in der Praxis beim besten Willen nicht in zweistellige Regionen treiben.
Was dem Seven dabei an Speed fehlt, macht er mit der Intensität des Fahrens wieder wett: Wenn Mensch und Maschine förmlich miteinander verwachsen, kann man die Straße besser fühlen als sehen. Mit den freistehenden Rädern und einem Lenkrad kaum größer als eine Single aus dem Vinyl-Antiquariat platziert man den Wagen auf den Millimeter genau am Brems- und am Scheitelpunkt, und wenn schon bei 60 Sachen ein Orkan durchs enge Cockpit fegt, weiß man wie sich Formel 1-Fahrer in ihrem offenen Auto jenseits der 300 fühlen.
Natürlich kann man mit dem Caterham über die Autobahn blasen, auch wenn man sich schon zwischen den üblichen Limousinen ziemlich verloren fühlt und gar nicht daran denken möchte, wie es wohl zwischen zwei Lastwagen wäre. Und erst recht kann man mit dem Briten durch die Stadt flanieren, weil man mit ihm erstens mehr Aufsehen erregt als mit jedem anderen Sportwagen und zweitens überall einen Parkplatz findet. Doch am besten genießt man mit dem Seven den Rausch der engen Radien: Mit einem brettharten Fahrwerk, das die Markierungen auf dem Teer überträgt wie andere massive Bodenwellen und einen fast schon jeden Schatten spüren lässt, schneidet der kleine Brite die Kurven ohne jede Mühe: Wo es andere Autos nach den Gesetzen der Schwerkraft nach außen trägt, haftet das fliegende Federgewicht beinahe magnetisch auf der Ideallinie und lieferten den fahrenden Beweis, dass die schönste Verbindung zwischen zwei Punkten eben doch eine Kurve ist.
Immer und immer wieder will man diesen Rausch erleben und je länger man durch die Kurven sticht, desto länger werden die Umwege. Nein, ich will noch nicht ankommen und lieber nochmal fahren. Und nochmal. Und nochmal. Doch dass die Raserei kein Ende nehmen soll hat noch einen anderen Grund. Die Angst vor dem Aussteigen. Denn so eng und unbequem wie die Zigarre auf Rädern ist, möchte man an die Verrenkungen am liebsten gar nicht denken – und dreht gleich nochmal eine Runde. Aber selbst wenn der Fahrtwind die Mundwinkel noch so weit nach hinten zerrt und die Endorphine auf der Hirnschale bei Vollgas Rumba tanzen, sollte man sich zumindest das breite Grinsen schnell verkneifen. Erstens sieht es einfach dämlich aus. Und zweitens hat man sonst selbst hinter der kleinen Frontscheibe viele Fliegen zwischen den Zähnen.
Klar ist das ein gestriges Vergnügen und natürlich ist es politisch nicht korrekt. Aber erstens ist der Einfluss aufs Weltklima vergleichsweise gering, wenn Importeur Hoffmann als einziger Händler im Land keine 50 Autos pro Jahr zulässt. Und zweitens weht natürlich auch bei Caterham der Geist der neuen Zeit nicht spurlos durch die heiligen Hallen in Dartford. Tatsächlich arbeiten sie dort längst auch an einer Elektroversion, sagt Hoffmann mit einem lachenden und einem weinenden Auge, weil es ihn freut, dass die Briten in die Zukunft denken und es ihn zugleich sorgt, dass schwere Batterien nicht zum leichten Lotterleben des Seven passen. Doch mit ein bisschen Glück und genügend neuen Zweizylindern am Lager wird es den Seven auch dann noch als Verbrenner geben, wenn die auf der Straße längst verboten sind. Weil kaum ein anderer Sportwagen so viel Spaß für so wenig Geld bietet, ist der Brite das perfekte Spielzeug für die Strecke und pfeift im Zweifel auf die Zulassung. Womit wir bei einem weiteren großen Unterschied zum anderen Siebener sind – denn so eine Denke würden sie sich in München nie erlauben.