
Am Rande der „Icons of Porsche“ in Dubai bot sich eine seltene Gelegenheit: ein ausführliches Gespräch mit Dr. Michael Steiner, dem Entwicklungsvorstand von Porsche und einer der prägenden Stimmen hinter der technologischen Zukunft der Marke. Zwischen Publikumspremiere des neuen Cayenne Electric, Einblicken in die kommenden Modellstrategien und der Präsentation modernster Entwicklungsprozesse nahm sich Steiner Zeit, um mit Motorblock offen über Elektrifizierung, virtuelle Prototypen, KI, den Mythos 911, E-Fuels und die globalen Herausforderungen der Sportwagenmarke zu sprechen. Ein Gespräch, das tiefer geht als typische Launch-Floskeln – und zeigt, wie Porsche seine DNA in die Zukunft überführt.

motorblock: Sie haben bei Porsche – insbesondere beim neuen Cayenne Electric – bereits stark auf virtuelle Prototypen, Simulationen und KI gesetzt. Wie sehr lassen sich dadurch Ressourcen reduzieren? Und wo steht die Technologie heute?
Steiner: Beim neuen Cayenne Electric haben wir tatsächlich keine klassischen Prototypen oder Baustufen mehr gebaut. Wir sind direkt in die Vorserie gegangen, mit Serien-Werkzeugen. Das spart enorm viel Zeit im Gesamtprozess – vom Beginn der Entwicklung bis zur Serienproduktion. Das ist der größte Hebel, um den Produktentstehungsprozess auf etwa 36 Monate zu verkürzen. Das ist mittlerweile unser Standard.
Dies spart Zeit, Kapazitäten und damit natürlich auch Geld, weil man keine eigenen Prototypen-Werkszeuge mehr macht. Wobei die zeitlichen Einsparungen nicht eins zu eins in Geld zu übersetzen sind, weil neben Personal- auch Materialkosten eine Rolle spielen. Aber: Eine um rund ein Viertel kürzere Entwicklungszeit bedeutet tatsächlich etwa 20 Prozent geringere Kosten.
Möglich wird das durch leistungsfähige Simulationswerkzeuge. Wir arbeiten inzwischen mit deutlich zweistelligen Zahlen virtueller Prototypen pro Fahrzeug. Zusätzlich profitieren wir immer stärker vom Einsatz von KI – etwa in der automatisierten Analyse großer Datenmengen in der Zellperformance, der Zellentwicklung und beim State-of-Health von Batterien. KI beschleunigt vor allem die Fehleranalyse und die datengestützte Entwicklung.
motorblock: Sehen Sie Potenzial, die Entwicklungszeiten künftig noch weiter zu minimieren? Oder gibt es Grenzen?Steiner: Es gibt Hersteller, vor allem in China, die noch schneller sind. Sie verzichten dafür aber auf Feinschliff. Wir tun dies bewusst nicht. Wir absolvieren weiterhin zwei volle Winter und zwei volle Sommer in der Fahrzeugentwicklung und Applikation – weil wir wollen, dass sich unsere Fahrzeuge präzise und performant fahren.
Andere Hersteller machen ein Fahrzeug nach einem einzigen Winter „fertig“. Es fährt dann natürlich auch, aber eben nicht so, wie wir uns das vorstellen. Wir stimmen unsere Fahrzeuge, so z. B. auch den Cayenne, anfangs komplett ohne elektronische Regelsysteme ab, um das mechanische Fundament perfekt hinzubekommen. Danach verfeinern wir das Zusammenspiel mit der Elektronik und Software. Das braucht Zeit, aber Perfektion geht bei uns vor maximaler Entwicklungsgeschwindigkeit.
motorblock: Porsche kämpft in China im Premiumsegment mit sinkenden Absätzen. Ist der neue Cayenne Electric ein Gamechanger?
Steiner: Er wird im Segment der Maßstab sein. Ein SUV dieser Größe mit dieser Performance gibt es derzeit nicht am Markt. Allerdings sind diese Eigenschaften in China nicht das wichtigste Kaufkriterium – einfach, weil man dort selten sportlich fahren kann. Dazu kommt ein starker Preisdruck auch im sehr hochpreisigen Segment, dem wir bewusst nicht nachgeben.
Der Markt für Importfahrzeuge steht zusätzlich unter Druck, weil die Luxussteuer zuletzt weiter verschärft wurde. Der Export aus Europa nach China ist daher wirtschaftlich schwieriger geworden. Wir sind realistisch: Wir erwarten keinen riesigen Marktanteil, aber einen stabilen Kundenkreis, der genau so ein Fahrzeug sucht – ähnlich wie beim Taycan.
motorblock: Wie sieht die aktualisierte Elektrifizierungsstrategie von Porsche aus? Die ursprünglichen Pläne wurden zeitlich deutlich gestreckt.
Steiner: Wir haben die Strategie zeitlich gestreckt. Grundsätzlich halten wir an unserem Drei-Säulen-Ansatz fest: In jedem Segment bieten wir künftig Verbrenner, Hybride und vollelektrische Modelle. Die Geschwindigkeit der Transformation zur Elektrifizierung haben wir jedoch reduziert.
Mit dem Cayenne Electric bringen wir unser zweites E-SUV. Der Taycan ist weiterhin sehr erfolgreich im Limousinenmarkt, und es folgt ein elektrischer Zweitürer als Cabrio und als Coupé. Gleichzeitig legen wir im Verbrennerbereich nach – zum Beispiel mit einem zusätzlichen Modell unterhalb des aktuellen Cayenne und einem größeren SUV oberhalb, jeweils als Verbrenner und Hybrid.
Der Hauptunterschied im Zeitplan liegt darin, dass wir nicht alle Modellreihen sofort vollständig elektrifizieren, sondern länger parallel Plug-in-Hybride und Verbrenner anbieten. Das ist wichtig, weil die Märkte weltweit extrem unterschiedlich ticken.
motorblock: Porsche ist untrennbar mit dem 911er verbunden. Wie lässt sich diese DNA langfristig sichern, wenn das Verbrenner-Aus irgendwann kommt?
Steiner: Der 911 ist das Herz der Marke. Wir werden ihn so lange als Verbrenner anbieten, wie es technisch und regulatorisch möglich ist. Für den Rennstreckenbereich gelten andere Regeln – dort ist der Verbrenner, abhängig vom Reglement auch als Hybrid, weiterhin gesetzt.
Natürlich haben wir über vollelektrische oder Plug-in-Konzepte nachgedacht und auch Prototypen erprobt. Aber wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Der 911 hat keinen Platz für große Batterien – der Motor sitzt hinter der Achse, nicht wie beim Boxster oder Cayman mittig. Dort sollte man aber keine großen Traktionsbatterien unterbringen. Sie müssten also zwischen die Achsen wandern und dann den Platz der Rücksitze einnehmen. Aber ein Elfer mit nur zwei Sitzen, ohne die typische 2+2-Konfiguration wäre kein 911er mehr.
Deshalb verfolgen wir beim 911 eine andere Strategie: ein sehr kleines Hochleistungsbatterie-Pack, das Energie puffert und elektrisch unterstützt –ohne den Ballast einer schweren Hochvolt-Batterie. Das Ergebnis: Die Spontanität eines Elektroautos kombiniert mit der Emotionalität eines Verbrenners.
Ob irgendwann neue Speichermedien den 911er elektrifizieren könnten? Vielleicht in der nächsten Dekade – heute sehe ich keine Lösung, die leicht, kompakt und leistungsfähig genug ist.










motorblock: Wie sieht Porsche das Potenzial von E-Fuels?
Steiner: Wir sind überzeugt, dass E-Fuels ein wertvoller Energieträger und als solcher sinnvoll und notwendig sind – nicht als vollständiger Ersatz für fossile Kraftstoffe, aber als Ergänzung. Technisch ist die Herstellung möglich, das zeigt die Pilotanlage unseres Partners HIF in Chile. Wirtschaftlich wird es jedoch erst sinnvoll, wenn sehr große Anlagen in Milliardenhöhe entstehen.
E-Fuels eignen sich hervorragend, um regenerative Energie global transportierbar zu machen. Wasserstoff ist dafür ungeeignet, weil er sicher nur unter extremem Druck oder bei –250°C transportierbar ist. IMethanol als Grundstoff hingegen ist bei gewöhnlichen Temperaturen flüssig, leicht lager- und transportierbar und die sinnvollste Basis für E-Fuels.
Mit Beimischungsquoten könnte man die gesamte Bestandsflotte klimafreundlicher machen. Das braucht allerdings politische Stimuli – etwa eine entsprechende CO₂-Regulatorik oder Quotenmodelle. Über Zeit könnte man auch einen reinen E-Fuel anbieten.
motorblock: Thema induktives Laden: Wird die Technologie mit dem Cayenne Electric breiter ausgerollt?
Steiner: Das wird maßgeblich von den Kunden abhängen. Wir erwarten, dass sich viele für das induktive Laden entscheiden, weil der Komfort enorm ist: Man stellt das Auto abends ab, und morgens ist es voll – ohne Kabel, ohne Aufwand. Die Technik kostet den Kunden in Deutschland derzeit knapp unter 7.000 Euro brutto. Wenn sie sich stärker verbreitet, sinken die Kosten.
motorblock: Denkt Porsche über eine Produktion außerhalb Europas nach, etwa in den USA?
Steiner: Wir evaluieren das regelmäßig, kommen aber immer zum selben Ergebnis. Mit unseren relativ kleinen Stückzahlen lohnt sich eine Aufsplittung nicht. Eine Teilverlagerung nach Nordamerika würde zwar Zollvorteile bieten, aber an anderer Stelle – etwa in China – neue Nachteile schaffen. Zudem müsste man Lieferketten und Werkzeuge duplizieren. Aktuell sind wir mit einem zentralen Werk je Baureihe wirtschaftlich besser aufgestellt.
motorblock: Porsche erweitert seine Modellpalette laufend. Wie viel Diversifizierung ist sinnvoll?
Steiner: Wir brauchen mehr Fokussierung. Die Varianz ist zu groß geworden. Wir müssen entscheiden, an welchen Stellen wir vereinfachen können – weniger Varianten innerhalb der Modellreihen, weniger Antriebs- und Ausstattungsvielfalt, vielleicht auch weniger Derivate.
Gleichzeitig wollen wir weiterhin Verbrenner, Hybride und Elektrofahrzeuge anbieten. Deshalb müssen wir innerhalb der Modellreihen verschlanken. Die nahezu beliebige Individualisierung wird es aber weiterhin geben – bis hin zur „Porsche Sonderwunsch“-Fertigung.
motorblock: Was wäre Ihr Wunsch an die Politik?
Steiner: Einen haben wir schon diskutiert: E-Fuels wirklich eine Chance zu geben. Der Zweite: Keine Technologiebevormundung. Die Politik soll Rahmenbedingungen vorgeben – etwa CO₂-Ziele – aber nicht vorschreiben, wie wir sie erreichen. Kunden kaufen Fahrzeuge, die sie begeistern. Sie wollen wählen können. Und genau diese Freiheit müssen wir bieten: Verbrenner, Hybride, Elektro – je nach Wunsch und Markt.





