Mercedes geht auf Nummer sicher
Mercedes ESF
Mercedes geht auf Nummer sicher
Rodolfo Schöneburg klingt ein wenig geknickt: „Durch die Fülle der Sicherheitsfeatures, die wir heute in unseren Serienfahrzeugen haben, ist der Eindruck entstanden, hier sei nicht mehr viel Neues zu erwarten“, klagt der Mercedes-Forscher. Knautschzone und Airbags sind seit Jahrzehnten Standard, das ESP ist mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben, und dass unsere Autos, der Elektronik sei Dank, besser fahren und mehr sehen als die Menschen am Steuer, daran haben wir uns auch so langsam gewöhnt. Also was soll da noch kommen?Von Thomas Geiger
„Eine ganze Menge“, entgegnet der Stuttgarter Sicherheitspapst und lenkt den Blick auf das jüngste Experimental Sicherheitsfahrzeug ESF, dass prall gefüllt ist mit neuen Ideen für besseren Unfall- und Insassenschutz. Dabei basiert der Technologieträger zwar auf dem GLE, doch braucht es nicht viel Phantasie, sich die ersten Lösungen aus dem bunt beklebten Geländewagen schon in der neuen Auflage der S-Klasse vorzustellen, die im nächsten Jahr in den Handel kommt und schließlich einen Ruf zu verteidigen hat. Nicht umsonst rühmt Mercedes sein Flaggschiff traditionell als das sicherste Auto der Welt.
Damit die S-Klasse das auch in Zeiten des autonomen Fahrens bleibt, haben sich Schöneburg und seine Mitarbeiter viele Gedanken über neue Rückhaltesysteme gemacht, die den Insassen mehr Bewegungsfreiheit lassen: „Wie schützt man die Passagiere, wenn vielleicht das Lenkrad eingefahren ist oder sich die Sitze drehen lassen“, fragt Schöneburg und antwortet mit Gurten, die im Sitz integriert sind, mit Airbags, die aus beiden Seiten der Lehne schießen und sich wie die Schwingen eines Engels um die Insassen legen, oder einem Fahrerairbag, der nicht mehr aus dem Lenkrad, sondern dem Armaturenbrett geschossen kommt. Selbst hinten fallen die Insassen jetzt weich, nachdem Mercedes einen neuen Frontgurt für den Fond entwickelt hat, der groß genug für alle Eventualitäten ist und sich trotzdem sanft genug entfaltet, um nicht zur Gefahr zu werden.
Damit man hinten überhaupt den Gurt anlegt, gibt es für mehr Komfort beheizte Gurtbänder und zur einfacheren Bedienung endlich beleuchtete Gutschlösser sowie Elektromotoren, die einem den Gurt anreichen. Und auch an die Kleinsten haben die Schwaben gedacht und für sie einen Kindersitz entwickelt, der nicht nur in das Presafe-System integriert ist und deshalb vor einem Crash die Gurte spannt. Sondern in der neuen Schale wird der Nachwuchs auch mit Sensoren und einer Kamera überwacht, so das der Fahrer stets informiert ist, ohne sich ständig umdrehen zu müssen.
Mit dem Fokus auf das autonome Fahren rücken auch die anderen Verkehrsteilnehmer stärker in den Blickpunkt. Denn erstens müssen sie Vertrauen in den Autopiloten bekommen und zweitens kann ihnen die Elektronik im Sinne des Partnerschutzes sogar helfen. Deshalb leuchtet der GLE nicht nur Türkis, wenn er ohne Fahrer fährt, sondern er kommuniziert auch mit den anderen: Der Grill und die Heckscheibe werden zum Display, auf dem Warnhinweise angezeigt werden können, an den Flanken gibt es selbstleuchtende Lacke und wenn Fußgänger vors Auto treten, warnt der GLE vor fließendem Verkehr.
Zwar denkt Mercedes schon relativ konkret über das autonome Auto nach. Doch weil der Fahrer auf absehbare Zeit zumindest gelegentlich noch selbst ins Lenkrad greifen wird, haben die Schwaben auch für diesen Fall noch einmal nachgelegt. So gibt es gegen Müdigkeit am Steuer eine Art Lichtdusche, vor zu schnell angefahrenen Kurven zupft der Gurt kurz zur Warnung und wenn ein Auffahrunfall droht und die Straße vor dem Wagen frei ist, macht Presafe jetzt automatisch einen kleinen Hüpfer nach vorn.
Die vielleicht witzigste und zugleich trivialste Innovation des ESF2019 ist das Warndreieck: Weil es sicherheitstechnischer Wahnsinn ist, zu Fuß und ungeschützt dem fließenden Verkehr entgegen zu laufen, um das Reflektorschild aufzustellen, haben es die Schwaben kurzerhand auf eine Art Staubsaugerroboter montiert und lassen es nun autonom und automatisch aus dem Wagenboden surren. Eigentlich eine schöne Idee und vergleichsweise leicht umzusetzen, aber zumindest in den Augen der Entwickler natürlich auch ein bisschen überflüssig: Ein Mercedes hat schließlich keine Panne.