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BYD Seal: Angriff aus Fernost

Es gab schon einfachere Zeiten für Elon Musk. Denn während sich der Wirbel um die – nun ja – eher halbgare Übernehme von Twitter, pardon, X, so langsam legt und sein Raumfahrtprogramm in halbwegs geordneten Bahnen läuft, wächst gerade der Druck im Kerngeschäft: In der imageträchtigen Oberklasse bedrängen ihn Lucid und Nio und Mercedes und BMW sind auch langsam aufgewacht, lange vor dem Cybertruck fischen Rivian und der Ford F-150 Lightning den Markt für elektrische Pick-Ups leer, und jetzt knabbert auch noch BYD mit einem Konkurrenten für das Model 3 hungrig an Teslas größtem Kuchen. In China schon seit ein paar Monaten auf dem Markt, kommt der Seehund aus dem Gelben Meer im Herbst nun endlich auch zu uns und lässt zu Preisen ab 47.990 Euro neben dem Model 3 gleich auch noch europäische Neuheiten wie den VW ID.7 erschreckend alt aussehen.

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Dabei steht der Seal mit seinen 4,80 Metern Länge nicht nur schick da und bietet bei 2,92 Metern Radstand reichlich Platz auf allen Plätzen, 400 Liter Kofferraum und mit 53 Litern auch einen Frunk, der diesen Namen verdient. Sondern zudem haben ihm die Chinesen unter der Führung des ehemaligen Audi-Designers Wolfgang Egger einen schmucken Innenraum von erfreulich hoher Wertanmutung bis hin zum Kristallglas-Imitat auf dem, was früher mal der Schalthebel war, gezeichnet. Natürlich gibt es ein wie immer in China etwas verspieltes Infotainment mit drehbarem XXL-Tablet, Selfie-Kamera und Karaoke-App.

Und vor allem fährt der Seehund aus Shenzhen auch noch vergleichsweise souverän. Ja, wie so oft bei den Chinesen sind die Assistenzsysteme eher defensiv ausgelegt und mit all den Warnhinweisen bimmelt es wie in einer Spielothek um Mitternacht. Doch die Lenkung ist präzise, das Fahrwerk ist stramm und die Spur stabil – da steht er dem Model 3 in nichts nach und auch nicht den Prototypen des ID.7, mit denen VW bislang hausieren war. 

Was ihn aber aus dem elektrischen Einerlei der gehobenen Mittelklasse heraus hebt, das ist seine konkurrenzlose Blade-Batterie. Aus Lithium-Eisen-Phosphat laminiert statt auf Lithium-Ionen-Basis und zu klingenförmigen Zellen von fast einem Meter Länge gepackt, gilt sie als haltbarer, sicherer und günstiger als herkömmliche Akkus, benötigt obendrein weniger Bauraum und leistet einen größeren Beitrag zur Stabilität im Fahrzeug: Auch das ist ein Grund, weshalb der Seal bocksteif wirkt und sich auch von üblen Fahrbahnverwerfungen nicht aus der Ruhe bringen lässt. Und ganz nebenbei sitzt man tiefer als üblich bei E-Autos und fühlt sich einer Limousine deshalb näher als einem SUV. Ach ja, und mit 2,2 Tonnen ist der Fünfsitzer zudem leichter als die meisten seiner Konkurrenten.

Den Antrieb übernimmt schon in der Basisversion ein Heckmotor mit 313 PS und wer das Top-Modell bestellt, bekommt eine zweite Maschine und fährt mit Allrad und großzügigen 530 PS. Damit gelingt der Spurt von 0 auf 100 in sportlichen 3,8 Sekunden und so solide der Seal auf der Straße liegt, fragt man sich unweigerlich, warum bei BYD schon bei 180 km/h wieder den Stecker zieht.  

Der Akku dagegen ist immer gleich und hat eine Kapazität von 82,5 KWh, die im besten Fall für 570 Norm-Kilometer reicht. Danach muss der Seal an die Steckdose und die Blade-Batterie wirkt zum ersten Mal ein bisschen stumpf und schartig: 11 kW am Wechselstrom und 150 kW am Schnelllader – das reicht dem Chinesen allenfalls fürs Mittelfeld.

Während es bei den Akkus offenbar erstmal keine Aussicht auf Besserung gibt, hat BYD den Lademeistern in anderer Hinsicht durchaus noch etwas zu bieten: Schon in ein paar Wochen bringen die Chinesen als Seal U das SUV zum Fließheck und stellen neben der Option 72 oder 87 KWh für bis zu 500 Kilometer vor allem mehr Raum und Variabilität in Aussicht. Zu einem Ambiente, das ähnlich edel ist wie beim Seal, kommen hier bei 4,79 Metern Länge und 2,77 Metern Radstand noch einmal großzügigere Platzverhältnisse, eine Rückbank mit verstellbarer Neigung und 570 bis 1.449 Liter Kofferraum. Da tut es auch nicht ganz so weh, dass der Seal U keinen Frunk bietet, weil sein chinesischer Vetter daheim auch als Plug-In-Hybrid angeboten wird und im Bug deshalb Platz bleiben muss für einen Verbrenner. 

Er sieht besser aus als das Model 3 und fährt mindestens genauso gut, bietet mehr Platz, hat das attraktivere Ambiente und bei vergleichbarer Reichweite den besseren Preis – so könnte BYD mit dem Seal tatsächlich zur ernsthaften Bedrohung für Tesla werden und Elon Musk ein paar weitere Kopfschmerzen bereiten. Doch hat sich der Elektropionier mit dem Emporkömmling offenbar bereits abgefunden und aus der Situation zumindest seinen Profit gezogen. Für die Chinesen ist er nämlich nicht mehr nur Konkurrent, sondern auch Kunde – und kauft für seine Fabrik bei Berlin bei BYD die Bladezellen ein.

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