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Ducati Scrambler 800 ABS – Ausreiten in Dalmatien

Motorblock fährt Ducati Scrambler 800 ABS

Ducati wird deutsch! Die italienische Seele ist dahin! So wehklagten die Borgo Panigale-Tifosi als die Bologneser unter die Vier-Ringe-Fittiche genommen wurden. Aber nix da! Aus der neuen Verwandtschaft ist heuer die Scrambler hervorgegangen. Vor Caffè-Bar und Gelateria macht sie, das war ja klar, duc-typisch eine bella figura. Aber sie tänzelt auch genauso gerne mit Tempo und con brio über holprige Asphalt-Bänder sowie löchrige Schotterpfade. Das hat sie uns in Kroatien so unkompliziert wie allürenfrei demonstriert.

Text: Beatrix Keckeis-Hiller, Fotos: Ducati Austria, MoT
Wer sich eine Ducati ins Haus holt, der bekennt sich zu Exklusivität. Daran ändert auch die neu eingeschlagene Richtung nichts, nämlich die Modellpalette um ein leistbares Mittelklasse-Eisen mit klassischer Ausrichtung (um nicht das Wort retro zu strapazieren) zu erweitern. In Borgo Panigale wird ja weiterhin spektakulär das obere Leistungs-Ende markiert, siehe 1299 Panigale.

Das neue untere Ende – die blutjunge Ducati Scrambler 800 ABS mit ungleich breitflächigerer Ausrichtung in Hubraum, Leistung, Preis und Basisausstattung – bedeutet dennoch keineswegs Mainstream, ob sie nun „Classic“, „Icon“, „Urban Enduro“ oder „Full Throttle“ heißt. Aber nicht nur mit ihrer vierfachen Familienaufstellung sticht sie aus der Menge heraus. Ihr Look ist unanzweifelbar eigenständig. Das wird hochprozentig freundlich quittiert. Selbst von Menschen, die mit Motorrädern wenig bis gar nichts am Hut haben und auch seitens von Schwer- und Schnelleisen-Treibern. Denen die kleine Italienerin im Stadt-Dschungel sowieso flott die lange Nase zeigt, ob ihrer Wendig- und Leichtfüßigkeit, für die ihre 75 PS aus dem luft-/ölgekühlten eine ausreichend kräftige und drehmomentstarke Leistungsansage sind. Zumal sie vor allem gegenüber ihren amerikanischen und englischen Klassik-Kolleginnen ihre Leichtgewichtigkeit – ab 170 Kilo trocken – voraus hat.
Damit hat sie ab dem Saisonstart, der temperaturmäßig weniger ein Frühling sondern eher ein verlängerter Winter war, in erster Linie urbane Fahr-Eindrücke geliefert. Im nachfolgenden, ebenso langen wie überdurchschnittlich heißen Sommer wurde sie tunlichst vornehmlich im Morgengrauen in die abwechslungsreiche nähere Umgebung von Wien ausgeführt. Tagsüber verbrachte sie viele Stunden auf schattigen Parkplätzen, im Nahbereich von kühlen Seen des nördlichen Waldviertels. Oder an der Donau.

Dem sommerlichen Hitzehoch folgte ein frühherbstliches Temperaturtief. Und gleich der erste Schnee auf den attraktivsten Gebirgspässen. Dem kann man nur mit Flucht begegnen. In den Süden. So etwas zahlt sich immer aus. Vor allem dann, wenn es nicht notwendig ist, ein Eisen über die Berge zu treiben. Weil es schon dort wartet, wo’s voraussichtlich sonnig und genau richtig warm ist. Zum Beispiel in Kroatien. Genauer gesagt in Dalmatien, das sich lang hin an der Mittelmeerküste erstreckt, garniert ist mit aufsuchenswerten Inseln – wie Pag oder Rab -, das durchzogen ist von sowohl asphaltierten als auch geschotterten Kurvenrevieren im Velebit-Gebirgszug – etwa von Karlobag nach Gospic. Gar nicht zu schweigen von jener abwechslungsreich trassierten Küstenstraße, die Rijeka mit Dubrovnik verbindet, die einst eine Rutschasphalt-Mutprobe war (besonders im Regen), die aber mittlerweile ordentlichen Grip offeriert (zumindest wenn das Wetter trocken bleibt). Nicht zu vergessen die unzähligen idyllisch am Meer gelegenen Dörfer – wie Vinjerac -, und ebenso die kultur-, markt-, kaffee- sowie eis-historisch interessanten Städte – wie zum Beispiel Zadar.
Als zentraler Ausgangspunkt für die erwähnten Inseln, Straßenreviere und Siedlungen hat sich Seline, ein Teil der Stadt Starigrad, bewährt. Speziell die familiäre Pansion Kiko, mit großem Parkplatz und direktem Zugang zum Meer. Dort wacht der gestrenge Patron darüber, dass kein Gast unversorgt bleibt, sei es morgens mit italienisch inspiriertem Frühstück, sei es mittags und abends entweder mit frisch gefangenem Fisch und Meeresfrüchten oder mit gut gereiftem Fleisch, Letzteres beides auf dem gekonnt angeheizten Grill zubereitet. Auch gehört zur pensionären Ausstattung ein druckvoll agierender Hochdruckreiniger.

Mit dem war die Schar der Scramblers – in allen vier Varianten – wohl behandelt gewesen, so frisch und strahlend wie sie da unter Palmen und Oleander am ersten Oktober-Wochenende parat standen. Dennoch galt es, am Abend vor dem Anwerfen der V2s Entscheidungen zu treffen: Will man das Gruppenerlebnis oder zieht man es vor, alleine die teilweise schon bekannte Gegend zu erkunden. Und: Welche der vier Typen soll es sein? Nachdem wir die „Classic“ mit ihrem hohen Geweih-Lenker schon kannten, musste es die „Full Throttle“ mit dem flacher geschnittenen Manual sein. Und sie sollte die Küstenstraße kennenlernen, das Café Zodiac in Gospic, den Hafen von Karlobag, die Fähre nach Pag und – zum Abschluss – ein Wirtshaus in Vinjerac – kurz: eine ausgiebige Paarlauf-Runde mit dem einen und anderen Abstecher auf nicht asphaltierten Pfaden.

Das war der Plan. Mit dem war aber das Wetter nicht einverstanden. Es regnete am Morgen in Strömen. Da half es auch nichts, dass ein besonders engagiertes Mitglied der Ausreit-Gruppe schon voll adjustiert beim Frühstück erschien. Nach dem Umziehen quetschte auch er sich in ein Auto und kam zwar grummelnd aber doch einsichtig mit nach Zadar. Dort scheuchte uns der Regen vom Markt in eine Konditorei und gleich weiter in ein Café. Viel trinken – Kaffee und Wasser natürlich – hilft offenbar. Der Regen hörte auf. Der Wind auch. Was die Hoffnung auf schnelle Straßentrocknung schwinden ließ. Um dem aufkommenden Unmut zu begegnen baute der ortskundige Reiseleiter noch schnell die Besichtigung einer Schinkenproduktion ins Programm ein. Dort lernten wir, wie das Salz in den Prsut kommt. Das macht nämlich, abgesehen von der ersten Einsalzung, die Bora, von der die Schinkenbeine monatelang mit meerwasser-schwangerem Umwehen gestreichelt werden.

Dass dann der Asphalt immer noch nicht trocken war, das war allen wurscht. Immerhin blinzelte die Sonne zwischen den blaugrauschwarzen Wolken hervor. So schnell war man wohl kaum noch zuvor mit dem Umziehen fertig und der Adjustierung wenigstens für eine kleine Zwei-, Drei-Stunden-Runde. Schließlich zogen die meisten unter Guide-Anleitung in Richtung Süden. Andere wählten die Solo-Version. Der Ruf der Küstenstraße ist einfach magnetisch. Und einmal Seline – Karlobag – Gospic – Karlobag – Seline sollte sich bis zum Sonnenuntergang ja wohl ausgehen. Ein Optimisimus, der sich rund zehn Kilometer später in Zweifel umkehrte. Nicht nur war die Fahrbahn noch nass, sie wurde mit jedem Meter nässer, weil noch nicht alle Wolken ausgeleert waren. Aber man gibt bekanntlich nur einen Brief auf…

Erstens ist der Asphalt, siehe oben, ohnehin schon viel griffiger als frührer, zweitens bauen die Dual Sport-Gummis der Scrambler wacker Grip auf. Kalt war’s ja nicht. Und ein paar Felsnasen später war’s sowieso wieder trocken. Weshalb der erste Caffè in Karlobag schon sehr gut, der zweite in Gospic noch besser geschmeckt hat. Dass auf dem Rückweg nicht nur der herannahende Abend sondern auch eine weitere Wolkenschwärzung für Dämmrigkeit sorgte, das war dann schon nicht mehr wichtig. Hauptsache, die kleine Italienerin konnte beweisen, dass sie nicht nur in der City flink um die Ecken wieseln kann, und dass sie mit weit fetteren Geräten – nicht nur gewichts- auch leistungsseitig – im winkeligen Geläuf locker mithalten kann.

So etwas ergibt genug Gesprächsbasis als Begleitung zum Sundowner und hernach zum Fisch, der frisch neben dem Grill auf Garung wartet. Ein prächtiger Sonnenuntergang verheißt trockenes Wetter für den nächsten Morgen. Der leitet zwar den Abreisetag ein, doch ein Vormittag ist lange genug, um über die Maslenica-Brücke nach Vinjerac zu reiten und im Zuge dessen die eine sowie andere Schotterpassage zu bestreiten. Welche die Scrambler, zum Beweis, dass sie ihrem Namen gerecht werden kann, ebenso wacker absolviert wie glatte oder holprige Asphaltbänder. Dabei mag sie sich durchaus auch dreckig machen, was manch eher wasserscheue Reiter mit stoischem Umfahren allzu dichter Lackenfolgen quittiert.

Am Ende der Reise sind sich die besonders klein und die besonders groß gewachsene Scrambler-Treiber einhellig einig: dass die kleine Italienerin eine echte Spielgefährtin und Spaßgesellin ist. Einzig ihre Tourentauglichkeit wird allgemein angezweifelt. Das ist aber bloß eine Frage der Tage, die man zur Verfügung hat. Schließlich hat man auch auf einer 33-PS-igen Zweiventil-XT 500 eine Reise durch die Dolomiten und die Seealpen bis in die südlichste Provence überlebt. Auf Achse. Hin und zurück.

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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