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Jaguar XF P300: Anders als die anderen

Bis 2030 will sich Jaguar zur ausnahmslosen Elektromarke transformieren. Davor aber noch: 300 Benziner-PS für ein Halleluja!

Dass Jaguar Ende dieser Dekade vollumfänglich auf Elektro setzen möchte, ist eigentlich nur konsequent. Mit dem I-Pace waren sie 2018 immerhin vergleichsweise früh dran, da lagen Mercedes, Audi und BMW noch im Dornröschenkoma, bevor sie die Europäische Union dann via Defibrillator aus den süßen V12-Träumen geweckt und zurückgebracht hat in die Realität, nämlich die der Flottenverbrauchs-Grenzwerte. Was sich im ersten vollen Verkaufsjahr auch ausgezahlt hat, zumindest in Österreich: 2019 hatte man bei den Elektroautos einen Marktanteil von 2,2 Prozent. Immerhin. Im Gesamtmarkt waren es nur 0,2 Prozent.

Mittlerweile, sprich im ersten Halbjahr 2021, steht man dort wieder bei 0,4 Prozent. Was sicherlich auch auf das Facelift-Feuerwerk zurückzuführen ist, das Jaguar vor mehr als einem Jahr gezündet und das sich jetzt mittlerweile ausgeknallt hat. Vom F-Type über den I-Pace bis hin zum XE wurde allen Raubkatzen im Gehege eine ordentliche Pflege gegönnt. Die Krallen sind wieder scharf – auch die des XF.

Doppeltes J-Blade-Desing nennt Jaguar die neue Lichtsignatur.

Freilich gibt es neue Lichtleins. „LED-Tagfahrleuchten im markentypischen J-Blade-Design …“, so die Pressemeldung von Jaguar, „… leuchten nun pro Seite gleich doppelt auf.“ Also quasi: JJ-Blade. Oder Double-J-Blade. Oder 5er BMW. Ist aber okay, sieht ja auch klasse aus, und Verwechslungsgefahr besteht dank des Kühlergrills auch nicht. Beim Heck sowieso nicht: Das wunderhübsche Leuchtendesign dort ist erhalten geblieben, sprich immer noch jeweils zwei nach unten verlaufende Halbkreise, nur jetzt noch ein Stück eleganter, graziler gezeichnet.

Die Heckleuchten sind jetzt graziler.

Noch weniger als beim Exterieur hat sich in Sachen Fortbewegung getan: Das Fahrwerk blieb weitgehend unangetastet, der Jaguar XF ist immer noch – letzter Vergleich, versprochen – mehr BMW denn Mercedes. Mehr Sport denn Komfort, zumindest für das Segment. Freilich gibt er einen hervorragenden, bequemen Begleiter für die Langstrecke ab, aber er lässt sich halt auch gut ums Eck schmeißen. Die Lenkung ist angenehm direkt, wenngleich auch ein wenig rückmeldefaul, aber weil sie dann doch eher schwergängiger ist, wirkt sie trotzdem nicht entkoppelt oder lose.

Sieht auch im Spiegel großartig aus.

Obwohl es einen neuen Sechszylinder-Diesel im Regal geben würde, setzt man weiterhin ausschließlich auf Vierzylinder. Das könnte den ein oder anderen potentiellen Kunden verschrecken, aber auch nicht mehr lange. Der Trend bewegt sich sowieso in diese Richtung, die neue C-Klasse etwa – zwar ein Segment darunter angeordnet – kommt auch nur noch mit vier Töpfen.

Am Vierzylinder gibt es nichts zu beanstanden. Außer, dass er kein Sechszylinder ist.

Außerdem macht der Spitzen-Benziner in „unserem“ XF, ein 2-Liter-Vierzylinderturbo, seine Sache äußerst souverän. Klar, sind ja auch 300 PS und 400 Nm, die hier attackieren und via Allradantrieb für einen Paradesprint von 6,1 Sekunden sorgen. Und damit keine Bildungslücken am Stammtisch aufkommen: 250 km/h Spitze. Vollends über die Tatsache hinwegtäuschen, dass er eben kein seidenweich laufender Reihensechser ist, kann er aber freilich nicht. Da wirkt er zu schnell angestrengt. Und zu den genügsamsten Triebwerken gehört er eben nicht, was bei den Eckdaten aber nicht überrascht. Neun bis 9,7 Liter sind’s offiziell. Bei wenig zurückhaltender Fahrweise, die in diesem Auto halt leider Spaß macht, landet man in den unteren Bereichen der Zweistelligkeit.

Hochwertige Materialien, gute Verarbeitung – der Innenraum des gelifteten XF.

Großartig arbeitet das Getriebe, an das der Benziner gekoppelt ist: eine gedankenlesende Achtgang-Automatik von ZF. Gesteuert wird diese jetzt nicht mehr über einen Drehregler, sondern über einen klassischen, mit Leder überzogenem Hebel – oder über die Schaltwippen. Die machen einen genauso wertigen Eindruck, sind aus einer Aluminum-Legierung gefertigt und geben beim Ziehen haptisch richtig was her.

Womit wir auch eigentlich da angekommen sind, wo die britische Revolution stattgefunden hat. Der Innenraum wurde komplett umgekrempelt und besticht mit einer tollen Verarbeitung und edlen Materialien: Da schmiegt sich feinstes Leder an den Körper, da gibt’s viel Softtouch und viel Metall. Plastik findet man in der unmittelbaren Umgebung eigentlich nur bei der Abdeckung des Ablagefaches am Mitteltunnel.

Das Leder ist wirklich von allerhöchster Güte.

Natürlich hat sich auch digital viel getan, der Touchscreen ist jetzt freistehend, sehr viel größer und beheimatet die neuste Generation des Infotainmentsystems. So ganz auf Zack ist das zwar immer noch nicht, und mehr Eingewöhnungszeit als bei der überwiegend deutschen Konkurrenz braucht man auch noch, aber ein Schritt in die richtige Richtung ist das allemal.

Das neue Infotainmentsystem: Nicht das schnellste, nicht das am intuitivsten zu bedienende, aber ein Schritt nach vorne.

Immer noch ziemlich cool, weil irgendwie halt was Anderes, finden wir die halb-digitale Bedieneinheit für klimatische Angelegenheiten. Überhaupt, der größte Trumpf im Ärmel der Raubkatze: das Anderssein. Speziell, individuell. Keine graue Masse, selbst in „Yulong White“. Und doch noch auf qualitativ ähnlicher Höhe mit dem Einheitsbrei. Auf der preislichen übrigens auch: Bei 72.270 Euro startet der Top-Benziner, wer sich beim Ausstatten völlig vergisst, der schafft’s auf knapp über 100.000 Euro. Aber auch unser Testwagen, der bei knapp 95.600 Euro dotiert ist, lässt keine Wünsche offen.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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