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Mercedes-AMG C 63 S – Gebruder Grimm

Motorblock fährt Mercedes-AMG C63 S … und seine stubenreinen Cousins.

Mit dem Coupé komplettiert Mercedes-Benz die Neuauflage der C-Klasse. Die eleganten Zweitürer kommen mit zwei diesel- und vier benzinbetriebenen Reihenvierzylindern. Und dann gibt’s da noch die zwei AMG-Varianten mit Achtzylinder-Biturbomotor: C 63 und C63 S.

Von Bernhard Katzinger
Stell‘ dir vor, du sitzt als Rookie in der Boxengasse. Am Steuer eines noch leise grummelnd in sich ruhenden Autos, von dem du ahnst, dass es auf der Rennstrecke deutlich mehr zu suchen hat als du. Biturbo, 510 PS aus acht Zylindern mit insgesamt vier Liter Hubraum. Auf der Windschutzscheibe stehen Regentropfen, auf deiner Stirn sieht’s vermutlich ähnlich aus. Vor ein paar Minuten hast du ein Formular unterschrieben, auf dem die volle Verantwortung für alles übernimmst, was dir selbst da draußen auf dem Kurs widerfährt, und fragst dich, ob das eine deiner besseren Ideen war. Die Strecke sei noch nass, aber am Auftrocknen, und der Grip an sich recht gut, hat man dir erzählt. Du fühlst dich, als hättest du soeben erfahren, dass du deine erste Reitstunde auf einem Pferd namens Beelzebub absolvieren sollst.

Der Ort des Geschehens ist der Circuito Ascari in Ronda. Ein exklusiver Rennsportclub in den andalusischen Bergen, in dem sich mit Ambition und entsprechenden Stundenlöhnen gesegnete Besitzer von Supercars ein schönes Wochenende mit ihren Spielzeugen machen können – oder Hersteller laden Medienvertreter ein, dort in der Abgeschiedenheit ein paar Runden mit Neuerscheinungen zu drehen. Die Planer des Circuits haben einige spektakuläre Kurven der bekanntesten Rennstrecken der Welt nachempfunden, etwa (eine entschärfte Version der) Eau Rouge aus Spa-Franchorchamps oder Copse Corner aus Silverstone. Manch Kundiger hat dich gewarnt, diese etwas willkürliche Aneinanderreihung von Kurven störe ein wenig den race-flow. Aber so etwas wie ein race-flow stellt sich auf deinen vier Runden hinter dem Instruktor-Auto so oder so nicht ein. Dafür jede Menge sweat-flow.

Auf Krawall gebürstet

In die ersten Kurven fährst du noch wie ein übermütiger Schulbub, freust dich am Abfeuern des V8 Biturbo, am Erlebnis der Be- und Entschleunigung. Gar nichts dabei! Das Auto liegt in der Kurve wie das sprichwörtliche Brett, dein Vertrauen wächst und wird innerhalb weniger Kurven zu Übermut. Schon steigst du leichtfertig ein bisschen zu forsch und zu früh aufs Gas, und, huhu, weg ist das Heck. Zwar keine Affäre, du hast dir ja den „Sport“-Modus mit früh eingreifendem ESP eingestellt: Wie Lehrer Lempel mit dem Rohrstaberl greift die Traktionskontrolle ein und richtet dich forsch wieder gerade. Aber erschrocken bist du schon und lässt es ein wenig respektvoller angehen.

Im neuen C63-Coupé hat AMG zum ersten Mal einem der beiden erhältlichen Modelle das Kürzel „S“ hintangestellt. Ob die nun für „Sport“, „Spitze“ oder „Sonderklasse“ steht: Sein Träger sprintet noch ein Zehntel schneller auf Hundert (3,9 statt 4,0), verfügt über 510 gegenüber 476 PS und profitiert folglich von einem noch besseren Leistungsgewicht (3,4 kg/PS statt 3,6). Mit seinen zivilisierteren Cousins, den neuen C-Klasse Coupés, haben die Gebrüder Grimm bis auf optische Ähnlichkeiten wenig gemeinsam – genau genommen, lediglich den Kofferraumdeckel, das Dach und die Türen. Der Rest ist auf Krawall gebürstet: breitere Spur, weit ausgestellte Kotflügel, längere Motorhaube mit zwei markanten Powerdomes, mit deren Hilfe du gierig die nächste Kurve anvisierst.

… Du fühlst dich, als hättest du soeben erfahren, dass du deine erste Reitstunde auf einem Pferd namens Beelzebub absolvieren sollst …

… Die AMG Speedshift schaltet schneller als ihr Schatten …

Die längste Gerade am Circuito Ascari ist über 1 Kilometer lang, mit einem leichten Rechtsknick, der mit Vollgas genommen werden kann, wenn man’s richtig macht. Auslauf für den C63S. Die Beschleunigung ist in Ermangelung eines besseren Ausdrucks brachial. Die „AMG Speedshift“ getaufte Siebengangautomatik schaltet schneller als ihr Schatten, was dir das Gefühl gibt, beim Durchtreten des Gaspedals von einem meterdicken Gummiband nach vorne gerissen zu werden. In den Genuss, diese Beschleunigungsorgie an ihr Ende zu führen – bei 250 bzw. (mit AMG Driver’s Package) 290 km/h wird abgeriegelt -, kommst du nicht. Nach mehrmaligen Eingriffen des ESP, das dich vor dem Abflug bewahrt, ist der Respekt zu groß. Und der Gedanke, diese herrliche, über 100.000 Euro teure Maschine zu beschädigen, ist auch kein schöner.  Als du nach vier Runden Temporausches, durchsetzt mit einigen Schrecksekunden, zurück an die Box fährst, hast du nicht viel gelernt. Aber du fühlst, dass eine Saat gepflanzt ist. Hat irgendwer die Rundenzeiten mitgestoppt? (Besser nicht.)

Fluchtfahrzeug

Auf der Straße fährt sich das C63-Coupé wie seine zivilisierteren Cousins, die Mercedes-Benz diesen Herbst in die Verkaufsräume stellt. Durch malerische andalusische Bergdörfer mit recht engen, schmalen Ecken, holprigen Sträßchen und speedbumps rollst du entspannt, lässt das Seitenfenster herunter und lauschst dem Konzert für acht Zylinder. Auf engen Gebirgsstraßen, in Nebel und auf Nässe hast du nie das Gefühl, unsicher unterwegs zu sein. Rasch gewöhnst du dich daran, dass zwanzig Prozent des Pedalwegs für flottes Vorankommen völlig ausreichen. Sechzig Prozent sind Überholreserve, und die restlichen zwanzig kannst du dir getrost für ein Science-Fiction-Szenario aufsparen, in dem du vor angreifenden Außerirdischen in ihren mit Strahlenkanonen ausgerüsteten Spacefightern durch eine apokalyptisch zerstörte Landschaft fliehen musst.

Bei all dem Spaß an der puren Kraft wirft der Mercedes-AMG C 63 S die blasphemische Frage auf, ob es so etwas wie ein Zuviel an Leistung gibt. Selbst gebändigt durch die Vielzahl an elektronischen Assistenten, bewegt sich der AMG wie selbstverständlich in Tempobereiche vor, in denen der Gesetzgeber keinen Spaß mehr versteht. Nach jedem der herrlich spielerischen Überholvorgänge tut, sobald man wieder auf der rechten Seite ist, ein Kontrollblick auf den Tacho not.

Wem es mehr um entspanntes Reisen, Dahingleiten auf schönen Straßen in einem schönen Auto, mit ausreichend, aber nicht überbordender Leistung geht, ist in den zivilisierteren Cousins der Gebrüder Grimm wohl besser aufgehoben: So wie im C 250d mit der – klassisch via Lenkstock bedienten – feinen 9-Gang-Automatik: sportliches, aber nicht fragiles Design, edle Materialien, aber eben alles eine Stufe weniger grimmig, kompromissbereiter. Die Automatik am gelernten Scheibenwischerhebel zu bedienen ist schnell angewöhnt, die Sitzposition ist tief aber angenehm, die Bedienelemente sind da wo man sie vermutet. Auch das zivile Fahrwerk vermittelt von der ersten Kurve weg Vertrauen.

Zum Verreisen zu zweit taugt das neue Coupé allemal. Gepäck für zwei hat Platz, wenn man nicht prinzipiell nur für alle Eventualitäten gerüstet aufbricht. Der Kofferraum hat für Neubesitzer noch eine Überraschung in Form eines kleinen Rätsels parat: Wo ist der Griff, mit dem sich die Klappe manuell öffnen lässt? Antwort: Gibt’s nicht. Das Gepäckabteil lässt sich nur noch per Schlüssel oder Kick-Geste öffnen. Wer zwischen 37.990 Euro für den C 180 mit Schaltgetriebe und 49.150 Euro für den C 300 mit 245 PS und 7G-Tronic (der C 400 soll noch im Sommer 2016 nach Österreich kommen) ausgeben kann, braucht sich die Finger nicht mehr schmutzig zu machen.

Bernhard Katzinger

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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