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Mercedes-AMG EQS 53: High Voltage

Mit dem elektrischen SLS waren sie die ersten. Doch so faszinierend und futuristisch der Batterie-Bolide vor mehr als zehn Jahren auch gewesen sein mag, kam der Flügeltürer nie über eine Kleinserie hinaus. Stattdessen hat AMG nicht nur Tesla ziehen lassen, sondern auch Porsche und die Sport-Truppe aus Ingolstadt, die allesamt schon nachgeschärfte Varianten ihrer Stromer am Start haben. Doch jetzt biegen auch die schnellen Schwaben aus Affalterbach auf die Electric Avenue und legen dafür Hand an den EQS: Ab dem Frühjahr liefern die Schwaben ihre Antwort auf das Tesla Model S und den Porsche Taycan auch als 53er und locken geltungsbedürftige und von einem schlechten Gewissen geplagte Besser-Verdiener mit bis zu 761 PS. Dass die dafür etwas tiefer in die Tasche greifen müssen, versteht sich von selbst: Mit 159.730 Euro ist der EQS 53 rund 20.000 Euro teurer als das bisherige Top-Modell 580.

Dafür gibt es noch einmal rund 20 Prozent mehr Leistung für die beiden Motoren: Wo bislang bei 523 PS Schluss war, bringt es der EQS 53 nun schon standardmäßig auf 658 PS, und wer für rund 5.000 Euro mehr das Kreuzchen beim Dynamic Plus-Paket macht, kann mit 761 PS punkten. Außerdem stehen dann maximal 1.020 Nm im Datenblatt – ein Wert, den sonst nur der selige V12 erreicht. 

EQS 53 Heck

Zwar rühmt der technische AMG-Geschäftsführer Jochen Hermann den EQS als wichtiges Motivationsprojekt, mit dem er bei seinem Team die Erinnerungen an den SLS e-Cell wecken und der Mannschaft Lust auf Sportler für die Ladesäule machen konnte. Und natürlich hat AMG die ganze Tuning-Klaviatur gespielt. Doch auch mit neuem Grill und größeren Rädern, Heckspoiler und Diffusor, mit etwas direkter Lenkung und einem strammeren Fahrwerk will so recht kein Sportsgeist aufkommen. Und die zwei eigens komponierten Soundwelten, die das akustische AMG-Erlebnis mit einem durch Brabbeln angereicherten Raumschiffrauschen in die Sprache der Generation E übersetzen sollen, klingen so fremd und synthetisch, dass man sie am besten gleich wieder abschaltet. Immerhin sind sie genauso präsent (und in den Augen der Kritiker aufdringlich) wie das Bollern der Achtzylinder. Aber Elektromobilität und Emotionen, dass will auch bei AMG einfach noch nicht so recht zusammengehen. Und für ein Angeber-Auto, das zumindest auf dem Boulevard der Eitelkeiten auffällt, braucht es mehr als die senkrechten Streben im Bug und ein paar Sportabzeichen am Blech. 

EQS 53 bei Nacht

Dabei ist der EQS nüchtern betrachtet durchaus ein Athlet unter den Akku-Autos – immerhin katapultieren die beiden Motoren die 2,7 Tonnen in bestenfalls 3,4 Sekunden auf Tempo 100 und wo sonst bei Tempo 210 km/h Schluss ist, stehen jetzt 220 oder mit Performance-Paket sogar 240 km/h im Fahrzeugschein. Außerdem lässt sich der EQS mit Sportabzeichen tatsächlich ein wenig verbindlicher entlang der Ideallinie führen, die Lenkung wirkt direkter und die spürbar mit einschlagenden Hinterräder lassen den EQS gefühlt auf das Format eines Kleinwagens schrumpfen. Die Bremsen haben mehr Biss und selbst die Rekuperation erscheint etwas stärker als im Serienmodell, wenn man am linken Hebel hinter dem Lenkrad zieht und danach den rechten Fuß lupft. 

EQS 53 Interieur

Dumm nur, dass man AMG-Modelle eben selten nüchtern betrachtet. Und dass kaum je ein E-Fahrer tatsächlich mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs ist. Viel zu groß ist bei jedem Kickdown der Raubbau an der Reichweite, und je schneller man fährt, desto früher muss man an die Box. Oder sind Sie schon mal von einem Tesla mit Höchstgeschwindigkeit überholt worden? 

Dabei könnte sich der AMG-Fahrer solche Extravaganzen durchaus leisten. Schließlich hat der Akku des EQS eine Nettokapazität von beinahe 108 kWh und verspricht so eine Normreichweite von bis zu 585 Kilometern. Das sind zwar 200 Kilometer weniger als beim Grundmodell. Doch reicht die Reserve für ein bisschen Raserei.

EQS 53 Front

Zwar rühmt AMG-Boss Hermann den EQS 53 als echten AMG. Denn „auch bei der Elektrifizierung stellen wir sicher, dass unsere auf der EVA2-Konzernplattform basierenden Modelle unser Markenversprechen einhalten. Unsere Kunden können sich auch in diesem Bereich auf ein dynamisches und emotionales Fahrerlebnis freuen.“ Doch die höchsten Weihen aus Affalterbach bleiben dem elektrischen Erstling verwehrt: Eine 63 wollte Hermann der S-Klasse unter Strom dann noch nicht auf den Heckdeckel pappen. Aber Besserung ist ja in Sicht. Denn hinter den Kulissen arbeitet AMG mit Hochdruck an einer eigenen Elektroplattform, die bis zur Mitte der Dekade fertig sein soll. Dann gibt es auch eigenständige und authentische Performance-Modelle aus Affalterbach – und der SLS e-Cell bekommt vielleicht doch noch einen würdigen Nachfolger.

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