Mercedes präsentiert den AMG GT und ersetzt vorsorglich das -Benz im Namen durch -AMG. Mit gutem Grund! Denn deutlicher an den Stern-Markenkern hat sich noch selten ein AMG-Modell herangezoomt.
von Franz J. Sauer
Zunächst sei klargestellt: Natürlich ist der AMG GT ein echter Stern. Derlei stellt schon mal die Optik klar: selten war eine Mercedes-Schnauze deutlicher. Reminiszenzen an alte Rennsporttiere sind gewollt und wunderschön, der Zentral-Stern (immer schon ein beliebtes Totem bei Sport-Benzen) prangt schön formatfüllend in fremden Rückspiegeln. Aber Mercedes frönt neuerdings neuen Nomenklaturen. Ganz abgesehen davon, dass die Zeiten, als die Marke AMG nicht wirklich mit Mercedes verbunden war, sowieso lange vorbei (1998 wurde AMG einverleibt) sind. Mehr noch: so eng wie derzeit rückte das Fitnesstudio aus Affalterbach allerdings noch nie an den Markenkern von Daimler – in Sachen Auftritt, Message und Fahrgefühl.
Lange Schnauze, keine Flügeltüren. Das Ziel heißt 911 – Stuttgart gegen Stuttgart, sozusagen.
Die ersten Modelle des GTS Edition One nehmen wir uns auf der legendären Rennstrecke Laguna Seca, östlich von Monterrey, im üblicherweise sonnigen Kalifornien zur Brust. Tieffrequentes Gebratzel macht in der Pit-Lane derart massiv auf sich aufmerksam, dass man kaum den Instruktor aus dem Funkgerät versteht.
Während man derlei Lärm beim guten, alten SLR noch gern Kooperationspartner McLaren unterschob, bekennt man sich beim neuen GT recht stolz auf engagiertes Lautgeben des „heißen Innen-V8“ (dazu später). Tätsächlich darf der Achttöpfer seine Väter stolz machen – selten hat man derlei Drehfreude und erquicklichen Ungestüm bei einem Mercedes-Triebwerk erfahren. Der AMG GT hat fast immer Lust und Laune, selbst wenn ihn der Drehschalter namens AMG Dynamic Select (so werden hier die Fahrmodi umgeswitcht) im Comfort-Modus fesselt.
Comfort, Sport, Sport+ und Race – so lauten die vier vorwählbaren Dynamik-Stufen. Ihre Charakteristik ließe sich am ehesten mit Deutschlehrer, alter Turnlehrer, junger Turnlehrer und Hamilton umschreiben. Letzterer vertraut schließlich ebenfalls im be-sternten Dienstwagen auf eine Art Traktionskontrolle, die zwar Wheelspin zulässt, aber das schlimmste zu verhindern sucht. Bei den während unterer Testfahrt herrschenden Verhältnissen – Regen, Regen und nochmals Regen – war an „Race“-Betrieb nie zu denken. Wir wetzten auf „Sport+“ schön Instruktor-geführt um die legendäre Piste. Und man kann durchaus sagen, dass der AMG GT erstaunlich viel Kompetenz darin besitzt, ein gerüttelt Maß an Leistungsüberschuss recht souverän auf jede Art von Fahrbahn zu transferieren.
Basiswissen
Zunächst aber mal die Basics. Vor dem neuen GT (462 PS, 600 Nm, 4s auf 100, 304 km/h Spitze) wird der etwa bösere GTS (510 PS, 650 Nm, 3,8s auf 100, 310 km/h Spitze) auf unsere Straßen finden, als Edition One um einige Kleinode wie einen fixen Plastik-Spoiler hinten und ein paar Karbonteile extra im Inneren veredelt gar schon ab März. Angetrieben wird der neue GT von einem V8-Biturbomotor, dessen Turbinen sich im inneren des Zylinder-Vs finden, woraus auch der Kosename „Heißes Innen-V“ abgeleitet wird. Angeordnet finden sich Biturbo, Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe und Antrieb im Transaxle (also Motor vorne, Getriebe und Antrieb hinten), was eine vorteilhafte Gewichtsverteilung von 47 zu 53 Prozent zwischen Vorder- und Hinterhufen zur Folge hat. Dies wurde noch durch eine aufwändige Magnesium-Vorderachskonstruktion verstärkt, insgesamt frönt der neue GT damit einem höchst klassischen Sportwagenlayout, das sich Handling und Fahrverhalten auf physikalischem Wege erarbeitet und nicht durch billige Tricks erkauft. Dass gleichzeitig auf hohe Wirtschaftlichkeit geachtet werden muss, also ein Durchschnittsverbrauch von unter 10 Litern auf 100 km angestrebt wurde, liegt anno 2015 auf der Hand. Umso anachronistischer mutet es an, wenn das durchaus mitteilungsbedürftige Triebwerk jedesmal kräftig schüttelig abmurgelt, wenn man zur Kreuzung hinrollt – um nur wenig später, wenn irgendeinem, der vielen Aggregate der Strom ausgeht, wieder hektisch zum Leben zu erwachen.
Gran Turismo
Aber Kreuzungen gehören sowieso nicht zur unmittelbaren Lebensplanung eines Autos wie diesem. GT steht wie wir wissen für Gran Turismo, der AMG GT soll also ein Reiseauto sein, dafür spricht auch ein wahrlich anständiges Kofferabteil, beladbar über eine wirklich große Klappe hinterwärts. Puncto Komfort sind die Alcantara-Sitzschalen allerdings etwas zu puristisch ausgelegt (wenn man hier mal davon ausgehen darf, dass Ihr geneigter Rezensent hinterwärts nicht zu ausladend ausgelegt ist). Zwar findet man Halt ohne Ende, ein bisschen weniger hart würde aber auch nicht viel Sportsflair kosten. Die Größenverhältnisse gehen schließlich in Ordnung; nichts zwackt oder drückt unanständig, dass ein Glasdach etwas weniger hoch baut als keines, entschädigt mit wunderbarstem Lichteinfall von oben.
Jenes rückt eine durchaus sophitische Kommandozentrale ins rechte Licht, wenn draußen die Sonne scheint. Die meisten Taster (schön groß gehalten, für Rennfahrerhandschuhe betastbar) dienen zum Feintuning der primären Fahrfunktionen, hier wird gestartet, werden Auspuffklappen geöffnet, Federn härter gestellt, Traktionskontrollen und Start-Stoppsysteme weggeknipst oder aber Schaltgeschwindigkeiten adjustiert. Die beiden Drehregler – ebenfalls mehr Duplo als Lego – vorne dran dienen beide zumindest indirekt der Adjustierung von Klang-Angelegenheiten: Jener in Fahrernähe ist der bereits beschriebene Dynmik-Modus-Drehschalter, jener auf der rechten Seite regelt das Volume der (Burmeester-)Soundanlage.
Touch-Dings
Mittig platziert findet sich ein Ungetüm von Touch-Dings, das sich über den (bereits bekannten) Drehregler zur Einstellung von eh fast allem beugt und erst nach vorsichtigem Ausprobieren seinen Sinn preisgibt (und überdies den Automatik-Wählhebel derart in den Wagenrücken schiebt, das man sich fast verrenken muss, um den Gang einzulegen). Es lassen sich darauf Zahlen wie Buchstaben krakeln, zum schnelleren Finden von Destinationen etwa. Idealerweise finden sich auf dieser Kommandobrücke mehrere „Retour“-Knöpfe, falls man ins falsche Menü abbiegt (was leicht passiert). Fakt ist: schon der Drehregler hat die Infotainment-Angelegenheit komplizierter als nötig gemacht. Warum wir nun ein weiteres Bedienteil a la Computermaus unserer Autofahr-Intuition aneignen müssen, bleibt vorerst schleierhaft. Andererseits: die Kunden scheinen es zu mögen. Also passts.
Was gar nicht zum GT-Wesen des GT passt ist das Fehlen der formidablen Mercedes-Distronic, die in anderen Fahrzeugen der Marke ernsthaft vorzeigt, wie so ein System funktionieren sollte. Laut Produktmanagement ist sie ab nächsten Sommer optional bestellbar.
Zauberwort Transaxle. Der AMG GT frönt dem klassischen Sportwagenlayout.
So fährt er sich
Womit wir endlich doch noch beim Fahrgefühl ankommen. Objektiv perfekt ausbalanciert hinterlässt das kultivierte Transaxle-Wesen bei Fahrern wie mir, die gerne kopflastige Fahrzeuge im Grenzbereich pilotieren, leichtes Unwohlsein. Soll heißen: die leichte Vorderachse (wir erinnern uns: 47:53) zelebriert ihre Konfiguration und fühlt sich in zu schnell angegangenen Ecken noch viel weiter weg an, als sie es eh schon vom Fahrersitz aus ist. Prinzipiell haben wir es beim AMG GT mit einem höchst neutral ausgelegten Fahrzeug zu tun, das sich be Bedarf und entsprechendem Mumm herrlich ungestüm via Gaspedal steuern lässt, aber auch völlig unprätentiös im Comfort-Modus gen Italien schunkeln lässt, wenn einem nach gemütlich Reisen ist. Der GT zwingt einen nicht laufend zum Anstoffen – ein Asset, dass aus dem Supersportler auf wohltuende Art und Weise den Mercedes herausdestiliert. Das können zwar andere Stuttgarter Sportautos auch sehr gut, dem Stern unter ihnen nimmt man es aber ein Alzerl mehr ab, kommts mir vor.
Fazit
Formidable Optik trifft auf einen wunderbaren Motor und ein wahrhaft sportliches Fahrverhalten. All das gereicht dem ambitionierten Angreifer ebenso zur Freude wie dem Gernreisenden, der Wert auf Formen legt. In der Tat haben wir mit dem Mercedes-AMG GT eines der schönsten Autos der letzten Jahre präsentiert bekommen. Alle Proportionen passen, dass sie auch in puncto Handling eine so erfolgreiche Rolle spielen dürfen, ist hier als tolles Extra-Feature zu verbuchen.
Die Preise
Wohlfeil ist der AMG GT in Österreich ab 140.490 Euro, für die S-Version sind knapp 25.000 Scheine (164.680 Euro) mehr zu berappen. Ob sich diese im Infight letztlich auszahlen, werden diverse Vergleichstests zu berichten haben.