Neuer Audi R8 – Eine Runde für die Ewigkeit
Für den neuen Audi R8 wird es jetzt endlich ernst. Nicht mehr im Tarnkleid des Prototypen und nicht im Kriechgang auf die Messebühne, sondern im vollen Ornat und mit der gesamten Macht von zehn Zylindern und 610 PS startet die zweite Generation des Spitzensportlers nun zur Jungenfernfahrt.
Text: Thomas Geiger
Die Jungfernfahrt führt nicht über irgend eine Strecke, sondern über den Rundkurs von Le Mans, wo die Idee für einen Supersportwagen im Zeichen der Ringe nach drei Siegen in Serie zu Beginn dieses Jahrtausends überhaupt erst geboren wurde. Kein Wunder also, dass der neue Chef der Quattro GmbH, Heinz Hollerweger, sich freut wie ein kleines Kind – selbst wenn nur seine Autos und nicht er selbst auf die legendäre Runde an der Sarthe dürfen. Denn den Platz hinter dem Lenkrad überlässt er ausnahmsweise einer kleinen Schar ausgewählter Journalisten, die zwischen Training und Qualifying des 24-Stunden-Rennens eine eilige Ehrenrunde absolvieren.
Und die beginnt schneller, als man denkt. Eben noch war die Strecke gelb geflaggt und in der Boxengasse tatsächlich ein Stau. Doch als hätte jemand den Korken aus einer Champagnerflasche geschüttelt, löst sich der Pulk in Wohlgefallen auf und die Strecke gehört schneller mir, als ich mich in dem überraschend wohnlichen Innenraum des Supersportwagens eingerichtet habe. Näher am Boden als je zuvor und um die Schultern spürbar breiter, kauere ich der dunklen Lederhöhle und spiele mit den Klimareglern, die über dem Mittetunnel wie Tannenzapfen aus dem Cockpit hängen, wundere mich über das mechanisch verstellbare Lenkrad und lasse den Sitz so in Position surren, dass der R8 passt wie ein maßgeschneiderter Handschuh. Und dann sind plötzlich alle Autos weg und ehe ich mich umschauen kann, habe ich 13,6 Kilometer Asphalt vor mir, gesäumt von vielen Tausend Zuschauern und nur eine Aufgabe – so schnell zu fahren, wie es irgend geht, und danach natürlich bitte mein Auto genauso heil zurück zu bringen, wie ich es übernommen habe: Ein Sprung ins kalte Wasser ist Wellness gegen dieses Erlebnis. Und was nutzt einem „Mister Le Mans“ Tom Kirstensen als Pfadfinder und Führungsfahrzeug, wenn der Seriensieger im Flügelmonster R8 LMS nach der ersten Kurve außer Sicht ist?
Doch so fremd das für einen LeMans-Novizen alles ist und so viele Eindrücke hier auf einen einstürmen, so schnell fühlt man sich im R8 zu Hause. Die Umgebung draußen ist neu und auch drinnen im Auto ist kaum ein Teil wie früher. Doch der Wagen wirkt schon nach wenigen Metern ungeheuer vertraut und vermittelt einem ein beruhigendes Gefühl. Selbst wenn man im fünften Gang aus der Tertre Rouge geschossen kommt und zu Beginn der legendären Hunaudières-Geraden voll aufs Gas hämmert, damit der R8 davon schießt als gäbe es kein Morgen mehr. Die 350 Sachen, mit denen Kristensen hier sonst im Rennwagen durchjagt, würde der R8 zwar selbst dann nicht schaffen, wenn man die beiden Schikanen streichen und die vollen 5,8 Kilometer geradeaus fahren würde. Doch bei 3,2 Sekunden von 0 auf 100 wird einem unter dem Helm schon heiß genug. Und wenn im digitalen Cockpit plötzlich 270, 280 km/h flimmern und das Gaspedal noch immer nicht ganz am Boden haftet, dann glaubt man dem R8 seine maximal 330 km/h unbesehen. Und vor allem ist man froh, dass man die Hände nicht mehr vom Lenkrad nehmen muss. Wie im Rennwagen hat es vier Bediensatelliten, mit denen man den Drive Mode genauso ändern kann wie die Anzeige im Digitaldisplay, mit denen man die Schallklappen im Auspuff öffnet und mit denen man in den verschärften Rennmodus wechselt.
Dass nichts anderes die Aufmerksamkeit des Fahrers fordert als der Asphalt vor ihm, das ist bei dieser eiligen Ehrenrunde so etwas wie eine Lebensversicherung. Denn die Strecke ist schon fordernd genug, wenn sich der Asphalt vor einem durch die Arnage-Kurve schlängelt und hinter einem direkt im Nacken ein V10-Motor mit 610 PS und 560 Nm tobt. So viel Power haben die Bayern mittlerweile aus dem 5,2 Liter gekitzelt, der im Topmodell V10plus zum Einsatz kommt.
… Näher am Boden als je zuvor und um die Schultern spürbar breiter, kauere ich der dunklen Lederhöhle und spiele mit den Klimareglern …
Die kompromisslose Fokussierung auf den Fahrer und die Kraftkur im Maschinenraum sind aber nur die halbe Miete. Was den Wagen wirklich schnell und sicher macht bei diesem Höllenritt, das sind die noch einmal 50 Kilo Gewicht, die Audi durch mehr Karbon in der Alukarosse geholt hat, der geringere Luftwiderstand und der größere Anpressdruck und vor allem der weiterentwickelte Allradantrieb. Wie bereits im TT baut Audi jetzt auch im R8 eine elektrohydraulische Lamellenkupplung ein, die den komplette Durchtrieb erlaubt: War bislang maximal ein Kräfteverhältnis von 70:30 möglich, kann die Kraft jetzt jeweils zu 100 Prozent an eine Achse geleitet werden. Dazu noch ein variables Fahrwerk, der Abschied vom Schaltgetriebe und dafür eine neue Doppelkupplung mit sieben Gängen und eine Lenkung mit zunehmender Übersetzung – fertig ist der Tiefflieger, der kunstvoll und kontrolliert wie ein Kampfjet um den Kurs rast und selbst einem Neuling in LeMans das Gefühl gibt, er müsse hier nicht nur hinterher fahren.
Messerscharf und bitterböse und trotzdem kinderleicht zu beherrschen – so spreizt Audi den Spagat zwischen Autobahn und Rennstrecke noch ein bisschen weiter und treibt den R8 mit Macht in die Zukunft. Nur beim Antrieb haben sich die Bayern dem Fortschritt verschlossen. Wo alle Welt mittlerweile auf Downsizing schwört und Hubraum durch Lader ersetzt, röhrt im Heck des Tieffliegers auch weiterhin ein sündiger Sauger. Der spricht nicht nur schneller an und packt aggressiver zu, rechtfertigt Hollerweger das konservative Kraftpaket. Sondern er klingt einfach auch besser, wenn man die Drehzahl bis ans Limit hochzieht und erst jenseits von 8 5000 Touren die Warnleuchten durchs virtuelle Cockpit flackern. Da wird der Motor zum Musikinstrument und Heavy Metall plötzlich salonfähig. Und für die Ökos gibt es ja bald doch noch einen R8 e-tron, der dann mit New Age-Sound durch die Boxengasse surrt.
13,6 Kilometer, zwei Dutzend Kurven und eine Ewigkeit über der Vorjahres-Bestzeit Bestzeit von 3 Minuten und 22 Sekunden – wenn der R8 nach der Jungfernfahrt zurück in die Boxengasse rollt, qualmen nicht nur die Reifen und über dem wie ein Juwel unter Glas drapierten V10-Motor flirrt die Luft. Sondern vor allem der Fahrer ist gezeichnet. Die Knie sind weich, das Hemd klebt am Rücken, die Augen brennen und in den Adern ist nichts als Adrenalin. Nur LeMans-Profis Kristensen ist die Ruhe selbst und hat gut Lachen. Denn genau wie für den R8 ist so ein Ehrenrunde für einen echten Rennfahrer nur ein müder Aufgalopp – denn bis am Sonntag die Zielflagge weht, liegen noch fast 400 weitere Runden vor ihm.