Speed Limiter 2022: Die Wahrheit hinter dem Aufreger
Jakob Stantejsky
Die Wahrheit hinter dem Aufreger
Speed Limiter ab 2022?
Die Berichte und damit auch die Aufregung über das Thema häufen sich in den letzten Tagen enorm: Die EU arbeitet auf Hochtouren daran, ab 2022 gesetzlich verpflichtend alle Autos mit einigen neuen Assistenzsystem auszustatten. Die meiste Aufmerksamkeit gilt dabei dem Speed Limiter, der das Überschreiten des Tempolimits verhindern soll. Nachdem nun schon viel geschrieben wurde, haben wir bei den zuständigen Stellen nachgefragt und präsentieren nun die Wahrheit hinter den Stories.
Text: Maximilian Barcelli/Jakob Stantejsky
Geht es nach den Headlines diverser Automobil-Fachportale, können wir 2022 alle kein km/h mehr schneller fahren, als es das Tempolimit vorschreibt. Ein spezielles Assistenzsystem wird dank GPS-Daten und Verkehrszeichenerkennung jederzeit wissen, wie flott gerade gefahren werden darf. So weit, so dramatisch und emotional. Irgendwo weiter unten in den Artikeln findet sich dann die Information, dass man sich mit einem entschiedenen Druck aufs Gaspedal sehr wohl über die Intelligent Speed Assistance, so der Name des Systems, hinwegsetzen kann. Aber auch solange man das nicht tut, bremst einen das Fahrzeug nicht etwa brutal ein, bis man eben beispielsweise 100 fährt, sondern drosselt vielmehr die Motorleistung, damit man die vorgeschriebene Maximalgeschwindigkeit einhält. Zusätzlich ist von akustischen und optischen Warnsignalen die Rede. Wir haben beim Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur nachgehakt und erfahren, dass man ISA auch gänzlich deaktivieren können soll. Das nimmt der Klickzahlen-in-die-Höhe-treibenden Aufregung gleich sehr viel von ihrem Schrecken.
So beruhigend diese Meldung aus dem Ministerium auch ist, alle Fragen sind damit nicht beantwortet, beziehungsweise werden neue aufgeworfen. Denn wenn man ISA tatsächlich völlig ausschalten kann, wieso zwingt man dann überhaupt die Hersteller dazu, das System in jedes Auto einzubauen? Schließlich kostet das doch eine Stange Geld. Die Hersteller werden sicher nicht die Spendierhosen anlegen (wieso auch, es ist ja nicht ihre Entscheidung), also bleibt der Aufpreis entweder am Kunden oder an einer entsprechenden Subvention der EU hängen. Aus dem Bundesministerium heißt es, dass es sich nicht um teure Hochtechnologie handelt – wenn schon so argumentiert wird, klingt das eher nach Mehrbelastung für den Endverbraucher. Doch wie hoch ist diese?
Zugegeben, ISA selbst ist wirklich keine Hexerei. Der neue Ford Focus beispielsweise und alle neuen Volvos verfügen schon über die nötige Technologie und auch bei vielen anderen Fahrzeugen kann man – aufpreispflichtig! – ein System bestellen, das den Tempomaten per GPS-Daten und Verkehrszeichenerkennung steuert. Volvo bietet den Speed Limiter schon jetzt in allen Modellen serienmäßig an, wo entweder der Fahrer eine Höchstgeschwindigkeit wählt, oder eben auch die Verkehrszeichenerkennung als Hilfsmittel nimmt. Die Schweden werden ab 2021 außerdem alle Modelle bei 180 km/h abriegeln und mit dem Care Key-System wird man sogar selbst individuell einstellen können, wie schnell das Auto bewegt werden darf – etwa wenn der Nachwuchs damit unterwegs ist. So wahnsinnig neu ist das ISA-Prinzip also nicht, aber der Unterschied zwischen Verpflichtung und Option ist natürlich ein wesentlicher. Und zwischen 180 und 130 km/h besteht doch auch ein Unterschied. Außerdem muss erwähnt sein, dass das angedachte EU-Paket nicht nur die Intelligent Speed Assistance umfasst, sondern eine ganze Reihe an Assistenzsystemen. Beim BMW 3er kostet das den Geschwindigkeitshelfer beinhaltende Paket beispielsweise satte 2.127 Euro. Die Europäische Kommission prognostiziert hingegen Mehrkosten von 516 Euro pro Auto. Und: Aufgrund aus der „Vergangenheit vorliegenden Daten ist es
unwahrscheinlich, dass diese Kosten in voller Höhe an den Endverbraucher weitergegeben werden können,“ so die Kommission. Dass die Reparaturkosten höher werden, scheint aber wahrscheinlich. Dem Manager mit dem sechsstelligen Gehalt ist der Aufpreis beim neuen S-Klasse Cabrio wahrscheinlich wurscht, aber für den Otto Normalverbraucher geht günstig anders.
Des weiteren wird beispielsweise auch ein Datenspeicher dabei sein, der laut einiger Fachmagazine jede Tempoüberschreitung aufzeichnet. Beim Bundesministerium gibt man hier Entwarnung: Das System speichert keinerlei Daten, die etwa später zu Strafzetteln führen, nur bei einem Unfall werden die Sekunden vor und nach dem Unglück abgespeichert – doch auch diese Daten werden nicht an die Versicherung übergeben. Sie werden lediglich völlig anonym (die letzten vier Ziffern der Fahrgestellnummer werden unkenntlich gemacht) gespeichert und dienen der Unfallforschung und -analyse. Datenschützer können sich also entspannen. Zusätzlich gehören auch Spurhalte- und Notbremsassistent zum Paket, die beide eindeutig zu den besten Sicherheitsfeatures überhaupt zählen – man denke nur an das Einschlafen am Steuer.
Wie sieht nun der konkrete Zeitplan für die ganz Geschichte aus? Ab November 2021 müssen alle neuen Fahrzeugtypen über den Abbremsassistenten verfügen, ab November 2023 muss das System in jedem Neuwagen vorhanden sein. Eine Aufrüstung älterer Fahrzeuge ist nicht geplant. Ganz böse gesagt: Wenn ich mir im Oktober 2023 also einen Porsche 911 (wohlgemerkt muss der Typ älter als 2021 sein) kaufe, und mein Nachbar kauft sich den Klassiker einen Monat später, fetze ich völlig ungebremst und ungewarnt durch die Gegend, während er schon das ganze Paket mit an Bord hat. Klingt blöd, aber über das System hinwegsetzen oder es deaktivieren kann er ja auch – zumindest soweit wir wissen. Außerdem muss die Sinnhaftigkeit eines 200 km/h-fahrenden Sportwagens auf den österreichischen Straßen sowieso bestritten werden. Aber wir Autofahrer wissen halt so gern, dass wir könnten, wenn wir wollten, stimmt’s? Da stößt es halt sauer auf, wenn plötzlich jemand an diesem Bild herumsägt.
Doch so wild, wie in den letzten Tagen vielerorts getan wird, ist die Sache ja eigentlich doch nicht, wenn man sich erst ernsthaft damit beschäftigt hat. Der Sicherheit würde das System zweifellos gut tun, wobei die Sinnhaftigkeit wieder etwas in Frage zu stellen ist, wenn man es tatsächlich jederzeit einfach abdrehen kann. So ganz genau wissen wir also auch nach unserer Recherche nicht, was wir von all dem halten sollen. Die totale Entmündigung, die manche an die Wand malen, und die auch wirklich eine bedenkliche Entwicklung darstellen würde, kommt 2022 allerdings definitiv nicht. Die Frage ist nur: Wenn Höchstgeschwindigkeiten doch irgendwann mal unabhängig vom Speedlimit (also auch auf der deutschen Autobahn) in den Autos verankert werden, auch wenn es „nur“ beispielsweise 180 km/h sind – was machen dann die Sportwagenhersteller? Denn egal ob das 2030 oder 2100 passiert, einen Ferrari mit solchen Fahrleistung will wohl niemand kaufen.
Werden wir im kommenden Jahrzehnt also alle nur noch monoton gleichschnell fahren? Nein, immerhin hat das Gesetz noch einen langen Weg vor sich. Auch wenn Beobachter stark davon ausgehen, dass die Verordnung verabschiedet wird, so ist sie momentan lediglich eine informelle Vereinbarung von Rat und Parlament. Und bevor diese es tatsächlich durchwinken, müssen die Botschafter der Mitgliedsstaaten sowie der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz das Gesetz bestätigen. Die große Aufregung um ISA ist deshalb aber nicht unberechtigt. Denn erstens, wie bereits erwähnt: Wer weiß schon, was noch kommen wird? Und zweitens untermauert das Gesetz ein großes Argument vieler EU-Kritiker: Die Union nähme Bürgern und Bürgerinnen jedwede Eigenverantwortung ab, sie bevormunde. Nicht jeder will auf knusprige Pommes verzichten.