Im Autokino Wien prallen zwei Welten aufeinander. Besonders dann, wenn sich der junge John Travolta und Olivia Newton-John mit „You’re the one that I want!“ endlich ihre Liebe gestehen. Und du im Porsche Taycan sitzt.
Von Maximilian Barcelli
Und dann ist es fast so wie damals, Sommer 78: Die Frisur sitzt, dein Girl sitzt – nämlich am Beifahrerplatz neben dir – und würden nicht Abermillionen von lästigen Coronaviren die Welt in Atem halten, könntest du sogar das Fenster runterkurbeln und das Ärmchen lässig baumeln lassen. Beinahe wirst du ein bisserl nervös und die Handflächen beginnen zu schwitzen, weshalb du zur Zweifinger-Lenktechnik übergehst – sieht sowieso cooler aus. Klappt es heute vielleicht? Wird der hinreißende John Travolta mit „seiner“ engelsgleichen Stimme deine Herzensdame so sehr in Wallungen bringen, dass du den Job zu Ende bringen darfst – vulgo deine Unschuld verlieren wirst? In deinem Golf 1 – so wie du dir es schon immer erträumt hast? „Schatz, mach doch bitte die Massagesitze an.“
Es ist, neben der aufgrund der Corona-Pandemie notwendig gewordenen physischen Distanzierung, destilliertester Retroflair, mit dem das Autokino in Groß Enzersdorf, keinen Kilometer von der Stadtgrenze Wiens entfernt, dieser Tage lockt. Binnen Sekunden versetzt es einen zurück in die gute, alte Zeit, die der für diese Zeilen verantwortliche Schreibknecht streng genommen nie erlebt hat, weil er in den 90ern geboren wurde. Gestört wird die einmalige Atmosphäre nicht einmal vom Streifen, der läuft (Hat man früher doch so gesagt, oder?). Im Gegenteil: Immerhin servieren die Veranstalter an diesem Freitagabend Grease. Nur das Automobil, mit dem Motorblock zur Vorstellung spurtete, erweist sich als stimmlicher Störfaktor. Selbst schuld, wenn man mit der hochtechnologischen Antwort auf allerlei Zukunftsfragen des größten (oder zweitgrößten) Autoherstellers der Welt auftaucht.
Der Porsche Taycan also. Und dann gleich als Turbo S, wo zwei E-Maschinen eine irrwitzige Systemleistung von 560 kW (in alter Währung: 761 PS) zur Verfügung stellen – mehr Power als ein Lamborghini Aventador S. Bringen tun die einem aber wenig, wenn man gerade Richtung Autokino-Einlass staut. Dann lieber mit dem Infotainment vertraut machen. Einen Drehregler, mit dem man die Frequenz für den Filmton findet, gibt’s natürlich nicht. Dafür aber drei Displays. Vier sogar, sollte man den Beifahrerscreen für wohlfeile 1.054 Euro (oder auch: rund 50 Autokino-Tickets für Zwei) mitordern. Am Zentraltouchscreen kann die Frequenz eingetippt werden, und schon trällert Travoltas Entourage „Tell me more, tell me more. Did she put up a fight?“ Bis man sich aber wirklich vollends auf den Film konzentrieren kann, muss noch eine Armada von Innenraumbeleuchtungen in den unendlichen Weiten des Infotainmentsystems gedimmt werden. Eine machbare, aber nicht gerade leichte Aufgabe. Selbst für jemanden, der das altersbedingt können müsste.
Doch nicht nur das Licht im Innenraum zu minimieren tut sich als Problem auf. Die Außenbeleuchtung wird – eh klar – via Touch links vom (oder eigentlich: am) Armaturendisplay bedient. Nebelschlussleuchte, Abblendlicht, Standlicht, Automatik – alles da. Aber wo zum Teufel dreht man die verdammten Scheinwerfer komplett ab?! Der Fahrer des Audi neben mir weiß etwas besserwisserisch Rat: „Es gibt einen Nuller, da geht das Licht komplett aus.“ Nachsatz: „Auch in einem Porsche.“ Autsch. Das hat gesessen. Ich will schon zur Rechtfertigung ansetzen, immerhin hatte ich kaum Zeit, mich mit dem Fahrzeug zu beschäftigen, sitze ja erst eine halbe Stunde im Taycan. Aber die hat schon gereicht, um mich einer gewissen Sportwagen-Mentalität, so man Porsches Elektrolimousine als solchen sehen mag (was durchaus berechtigt wäre), ein Stück näher zu bringen: Alles, was du sagst, wird wahr, wenn du es nur selbstsicher genug sagst. „Nein, bei dem nicht.“ Wie aus der Pistole geschossen und mit tieferer Stimme als sonst. Fünf Minuten später, beim letzten Versuch, weiß der Taycan plötzlich, wonach ich suche und gibt mir am Armaturendisplay zu verstehen: „Standlicht gedrückt halten, um Beleuchtung abzudrehen.“ Kurz überlege ich, das Licht dennoch anzulassen – aus Trotz und Scham. Den anderen Kinobesuchern zu Liebe geht der Porsche dann doch schlafen.
Elektromobilität. Neben allerlei emotionaler Argumente für oder gegen sie, lohnt es sich auch mal einen nüchternen und wertfreien Blick auf die Stromer zu werfen. Es gibt rationale Argumente, die für sie sprechen. Weil E-Autos lokal emissionsfrei unterwegs sind, würden sie für bessere Luft im urbanen Gebiet sorgen und die CO2-Belastung zumindest dort senken, wo sie gefahren werden. Genauso gibt es aber auch rationale Argumente, die gegen Elektromobilität sprechen: Beispielsweise die Herstellung und Entsorgung der fetten Akkus. Und die Mobilitätseinschränkung, die sie mit sich bringt – Stichwort Reichweitenangst. „Schatz, mach doch bitte die Massagesitze an. Oder kommen wir dann nicht mehr nachhause?“
So wenig überheblich, wie nur irgendwie möglich, antworte ich ihr, dass unter uns, im Fahrzeugboden, ein 93,4 kWh großer Akku residiert, der dafür sorgt, dass dieses über 2,3 Tonnen schwere Automobil mehr als 300 Kilometer weit fahren kann. „Wir könnten uns während der gesamten Herr der Ringe-Trilogie massieren lassen und würden es immer noch nach Linz schaffen.“ Da hat das Autokino Wien doch tatsächlich ein neues Argument für die Elektromobilität herausgefiltert, das irgendwo zwischen Ratio- und Irrationalität einzuordnen ist (aber eher bei letztere). Während sich manch Kino-Besucher fragt, ob seine kümmerliche Batterie am Ende noch genug Saft für den Anlasser haben wird (Wobei auch das kein allzu großes Problem ist: Die Veranstalter „geben gerne Starthilfe“.), leben wir im Taycan wie die Kaiser. Er heizt, er massiert, er offeriert Filmton wie im Imax – und er sieht dabei mindestens so großartig aus, wie Olivia Newton-John nach ihrer Verwandlung zum Bad Girl am Ende von Grease. Und weil die Motoren einsatzbereit bleiben, ist man schneller weg, wenn aus dem Nichts ein maskierter Typ an die Scheibe klopft, der dich aber gar nicht um „dein“ 200.000 Euro teures Vehikel bringen möchte, sondern einfach nur Snacks anbietet.
Wenn gerade kein mit Mund-Nasen-Schutz bestückter Mitarbeiter die Autos abklappert, der mich fast zum Risikopatienten mit Herzvorerkrankung gemacht hätte, kann via App bestellt werden. Ausgefuchst! Überhaupt läuft wirklich alles kontaktfrei ab: Beim Einlass wird die Karte durchs geschlossene Fenster gecheckt, die Platznummer, an der sich die Snack-Lieferanten orientieren, wird vor die Tür gelegt (ebenso wie die Snacks selbst) und auf die einzige Schwachstelle dieses perfekt kontaktfreien Plans, dem stillen Örtchen, reagiert das Autokino mit mehreren Mitarbeitern, die quasi im Sekundentakt desinfizieren. Zurück zum Proviant: Dass wir es auf den mitgebrachten Kuchen belassen haben, war insofern kein Fehler, als dass bei der Rückfahrt der Porsche Taycan Turbo S seine Muskeln spielen lassen durfte.
Klar könnte man argumentieren, dass es weniger emotional zugange geht, als wenn ein V12-Saugmotor in deinen Nacken brüllt. Aber nüchtern betrachtet ist der Vortrieb des Porsche Taycan Turbo S an Absurdität kaum zu überbieten. Eigentlich marschiert das viel schneller, als du überhaupt denken kannst. Als Fahrer muss man sich richtig an das unschlagbar direkte Ansprechverhalten der Motoren gewöhnen. Schau das Gaspedal einmal blöd an und du bist deinen Führerschein los. Es gibt zwar auch eine Zahl, die die Beschleunigung beschreibt, nämlich 2,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h, am treffendsten formulieren es jedoch jene aktiv-aggressiven Worte, die nach zehn Minuten Achterbahn vom Beifahrersitz aus gefaucht wurden: „Lass das jetzt, mir ist so schlecht.“ Sex hatten wir dann keinen mehr. Wäre aber auch schade ums schöne Leder gewesen.