McLaren baut also seit vier Jahren Autos für die Straße, soso. Jetzt tauchen sie erstmals unter die 600 PS-Marke und bauen ein „Volumensmodell“. Was können die in so kurzer Zeit schon zusammenschustern?
Text: Rainer Behounek
„Mit dem 570S öffnen wir auch gleich eine neue Kategorie bei McLaren. Neben den Ultimate-Fahrzeugen P1 und P1 GTR und den Super-Series-Modellen 650S, 675 und 675LT wird es ab sofort Einstiegsvarianten geben. Den 540C und eben den 570S – unsere künftigen Volumensmodelle.“ Volumensmodelle. Hm. Wenn Sie es nicht schon längst wissen: Die Zahl, die die Boliden bezeichnet, ist zugleich auch die Leistung, mit der sie angetrieben werden. 570 PS also. In einem Volumensmodell. Ich sage natürlich nichts und lasse Wayne Bruce reden. Ich gebe mir sicher nicht die Blöße, womöglich hat er das mit dem Volumensmodell ernst gemeint. Der Kommunikations-Chef heißt übrigens wirklich so, weshalb sie ihn in Woking auch Manbat nennen.
Usability hängt ständig im Raum, ein Alltagsauto will er sein. Die Sport-Series soll den Einstieg erleichtern, nicht nur in die Welt von McLaren, sondern auch in den Innenraum. Weit vorn angeschlagene Türen und ein üppig dimensionierter Einstiegsbereich zu den passgenauen Sitzen ermöglichen schnellen und – am Wichtigsten – würdigen Ein- und Ausstieg. Einmal drin ändert sich das radikale Auftreten des 231.750 Euro teuren 570S. Erstklassige Materialien zeichnen den in der Tat geräumigen Innenraum aus, Fahrer wie Beifahrer kommen in den Genuss von Komfortfeatures wie Schminkspiegel, großem Seitenfach in den Türen und Handschuhfach, natürlich ganz zu schweigen von Navi, Zwei-Zonen-Klima und Co.
…mit ihr fahre ich über die Straßen, wie damals als Kind mit dem Finger in der Schlagobers-Schüssel, die mir die Oma zum Ausschlecken gegeben hat…
Herzstück des 570S bildet aber der mehrmalige Motor des Jahres, der 3,8 Liter Biturbo-V8 mit 570 PS und 600 Nm. Schwer hat es das Hochleistungstriebwerk nicht, der Bolide wiegt lediglich 1.313 Kilogramm, der großzügige Einsatz von Karbonfaser und Aluminium machen es möglich. 2,3 Kilogramm pro PS oder 434 PS pro Tonne sind eine fahrdynamisch hochinteressante Ansage. 30 Prozent des Aggregats wurden komplett neu entwickelt, um dem 570 eine eigene Charakteristik zu verleihen. Diese Charakteristik ist voluminös und opulent und laut und herzhaft.
„Anfangs starteten wir in der Früh vor dem Hoteleingang weg. Als dann ein nackter Mann auf dem Balkon stand und uns gefragt hat, ob’s eh noch geht, haben wir den Startpunkt in die Tiefgarage verlegt.“ Eine gute Entscheidung denke ich mir, als ich den Startknopf drücke und mich der McLaren anbrüllt, wie der Jagdkommando-Instruktor den ängstlichen Rekruten. Das Einsteigen in einen Supersportler ist bei mir für gewöhnlich geprägt von einer Art Ehrfurcht, was den zaghaften Fahrstil auf den ersten paar Metern erklärt. Ehrfurcht vor der Leistung, dem möglicherweise quirligen Fahrwerk, dem Preis, den Felgen. Im McLaren 570S ist nichts davon zu spüren. Ich fahre aus der Tiefgarage und bemerke, wie erstaunlich gut abschätzbar der 570S ist. Die Rundumsicht ist phänomenal! Man sitzt tief aber aufrecht und erblickt mit den drei Spiegeln die komplette Hecksituation. Ich schaue fast bis zur Schnauze runter, was den Boliden auf VW Polo-Größe zusammenschrumpfen lässt. Die Lenkung! Was soll ich Ihnen sagen, mit ihr fahre ich über die Straßen, wie damals als Kind mit dem Finger in der Schlagobers-Schüssel, die mir die Oma zum Ausschlecken gegeben hat.
Wieviel Renngene stecken im 570S, der doch so sehr every-day-car sein möchte? Nun, alle, die McLaren rumliegen hat. Auf der Rennstrecke wird aus dem allseits bekannten Doctor Jekyll sein gefürchteter Spross Mister Hyde. Der Fahrdynamikprogramm-Schalter wandert auf T wie Track, die Getriebeeinstellung ebenso und schon sitzt man hinterm Lenkrad eines 12maligen Formel1-Weltmeisters-Boliden. Jetzt zählen andere Werte: Das Monocell der zweiten Generation, die Fahrgastzelle, wiegt lediglich 75 Kilogramm und ist praktisch zur Gänze aus Karbon gefertigt. 3,2 Sekunden vergehen bis zur Standardhürde, in 9,5 Sekunden sind 200 erreicht. 328 km/h markiert das Ende des Vortriebs. Da der 570S ohne aerodynamische Hilfsmittel wie ausfahrbarem Heckspoiler auskommen muss, wurde das komplette Karosserie-Design auf maximalen Anpressdruck getrimmt. Der vordere Splitter teilt die Luft auf und leitet sie in die richtigen Kanäle bis ans Heck, den Diffusor und den starren Heckspoiler. Einerseits kühlt sie den Motor, andererseits presst sie den McLaren 570S runter auf den Asphalt.
Das Stabilitätsprogramm kommt nicht von etablierten Herstellern wie Bosch, sondern wurde intern speziell für den 570S entwickelt. Die Autos warten in der Boxengasse von Portimao, einer der technischsten Strecken Europas.
Wir schießen aus der Boxengasse raus. Ich sage, ich habe genug gesehen aber er lacht und reißt den 570S mit einer Hand in die Rechtskurve rein, dass mein T-Shirt am Fenster klebt. Rechts, zweite, der 570S schreit wie am Spieß, wieder rechts. Dann der „Ich seh nur Himmel“-Abschnitt. Ab da war ich eigentlich ziemlich sauer auf den guten Hankey – in leichtem Sprung driftend in die Gerade, die viel breiter ist, als sie aussieht, holt er alles aus dem 570S raus, oder fast alles. Er meint, er fahre nur 80 Prozent. Angeber. Er fragt mich, ob es mir gut gehe. Ich meine, ja, langweilig ist mir halt nur ein wenig, was ihn dazu veranlasst, den McLaren 570S in die Haarnadelkurve hinein zu zementieren, dass ich an meine Mama denken muss.
Zurück in der Boxengasse erzählt er mir vom Go-Kart-Verhalten, das Mittelmotor, Fahrwerk und Heckantrieb erzeugen. Davon, dass der 570S viel zulässt und das ESP Stufen hat und auf Wunsch auch komplett weggeschaltet werden kann. Er holt sich jetzt ein Mineral sagt er. Ich meine, ich komme nach, sobald ich meine Beine wieder spüre.
Fazit
McLaren baut seit 2011 Autos. Haben sie vorher schon getan aber seit 2011 mit handfesten Zielen. Jedes Jahr ein Auto mit höchstem Anspruch an Verarbeitung und Fahrverhalten. Wer es schafft, in vier Jahren das auf die Räder zu stellen, wofür andere Hersteller mehrere Modellzyklen benötigen, der verdient Respekt. Der 570S vereint auf locker verspielte Art und Weise den Renn-Spirit der Marke mit dem Anforderungen des Alltags. Man kann nur erahnen, wieviel Stunden schweißtreibender Arbeit dahinter stecken. Dem 570S wird in den nächsten Monaten ein noch zivilerer Bolide folgen, der 540C mit ebenso vielen PS und einem Preisschild ab 203.000 Euro. Wer überlegt, einen (Super-)Sportler zu kaufen, dem raten wir: Unbedingt einen Blick nach Woking werfen, Sie werden nicht enttäuscht!