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Porsche 911 Carrera 4S: Lust und Last einer Legende

Lust und Last einer Legende

Fahrt im neuen Porsche 911 Carrera 4S

Er ist der Urmeter des ganzen Unternehmens und für viele die Mutter aller Sportwagen: Denn kaum ein anderes Auto hat Porsche und mit der Firma auch die gesamte Vollgasfraktion derart geprägt wie der Elfer. Wenn Mitte März mit dem Carrera 4S zu Preisen ab 120.125 Euro die achte Generation an den Start geht, dann haben die Schwaben deshalb weltweit nicht nur Millionen Fans, sondern mindestens genauso viele Kritiker. Schließlich hat jeder Elfer-Enthusiast eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie das Idealbild der Ikone auszusehen hat, wünscht sich ein zeitgerechtes, moderneres, ja sogar wegweisendes Auto und toleriert trotzdem nur minimale Veränderungen.

Von Thomas Geiger
Beim ersten Blick sind deshalb durchaus ein paar Irritationen zu erwarten. Zwar steht dem achten Elfer die deutlich in die Breite gegangene Karosse gut und die stärker konturierte Motorhaube erinnert tatsächlich ein wenig mehr an früher. Doch die wegen des geringeren Luftwiderstands bündig in den Türen versenkten Griffe sind friemelig und das Heck erinnert – durchgehendes Leuchtenband mit 3D-Schriftzug hin und dritte Bremsleuchte in Elfer-Optik her – zumindest mit eingefahrenem Spoiler an ein Stück Seife, das einem zweimal zu oft aus den Händen geglitscht ist. Vor allem aber werden sich die Porsche-Puristen beim Blick ins Datenblatt verwundert am Kopf kratzen: Ausgerechnet die Gralshüter der effizienten Performance und die Mahner des Massenausgleichs fangen sich beim Generationswechsel einen runden Zentner mehr Gewicht ein. Das lässt sich mit dem nun serienmäßigen Otto-Partikelfilter und dem achten Gang für die Doppelkupplung genauso wenig erklären wie mit den paar Zeilen mehr Software, die sie für die erweiterten Assistenzsysteme gebraucht haben.
Aber wie gesagt, mit Kritik ist der Elfer-Enthusiast immer schnell bei der Sache. Doch genauso schnell ist diese Kritik auch wieder verstummt – spätestens wenn man sich endlich in den Fahrersitz gleiten lässt. Erstens, weil das Zündschloss noch immer links vom Lenkrad lockt. Zweitens, weil Porsche zwar der Digitalisierung folgt, zwei große Bildschirme ins Cockpit schraubt, die Mittelkonsole endlich entrümpelt und dafür noch mehr Menüs in den noch größeren Touchscreen gepackt hat, der Drehzahlmesser aber weiter als Analoginstrument in der Mitte prangt und den ganzen virtuellen Zauber überstrahlt. Und drittens weil jetzt im Heck ein Boxer aufdreht und alle Zweifel daran, ob eine Legende nun Last ist oder Last, mit der gleichen Inbrunst niederbrüllt, wie er den Gummi der neuen Mischbereifung pulverisiert.
Für ein paar Sekunden spielen die Finger nochmal an dem leider noch immer ziemlich billigen Drehrad neben der Hupe, mit dem man die weiter auseinander gerückten Fahrprogramme wechseln kann, und wohlig drückt sich das Popometer tief in die Sitzschale, die so wunderbar nah am Asphalt montiert ist – dann schnappt die Doppelkupplung zu, der erste von acht Gängen rastet ein und der Elfer fährt allen Zweifeln davon – schon eine Rechts- Links-Kombination genügt, dann lösen sich sämtliche Sorgen in Luft auf, so fest packt die Vorderachse zu, so scharf geht es ums Eck und so kraftvoll drückt von hinten der Sechszylinder – immer präsent, immer potent, immer am Limit, aber meilenweit davon entfernt, über die Grenze hinaus zu schießen: Ja, auch die Generation 992 bleibt ein Gradmesser für Fahrdynamik, kein anderer Sportwagen ist so messerscharf und präzise und dabei trotzdem so gutmütig wie der Elfer.
Im Stadtverkehr gibt er sich handlich und übersichtlich, auf Autobahnen und Bundesstraßen wirkt er entspannt und macht einem das Leben jetzt sogar mit einer Minimalausstattung an Assistenzsystemen wie der Spurführungshilfe und der Abstandswarnung noch einmal leichter und auf der Landstraße gibt er sich schärfer denn je: Das liegt nicht zuletzt an der Mischbereifung, mit schmalen Rädern vorn fürs leichtere Lenken und dicken Schlappen hinten, die mehr Kraft übertragen können. Es dauert deshalb nur zwei, drei Kurven, schon stellt man den Sitz etwas steiler, greift fester ins Lenkrad, wechselt in den Sport-Modus und fährt den Elfer wie mit dem Messer zwischen den Zähnen. Und plötzlich geht es nicht mehr ums Ankommen, sondern jetzt ist wieder der Weg das Ziel – genauso wie beim ersten Porsche-Sportwagen vor 70 Jahren.
Daran ändern selbst Assistenzsysteme wie der neue Wet-Mode nichts, den Porsche als Innovation feiert und den Porsche-Fahrer als Affront empfinden müssen. Denn wie unerfahren muss man sein, dass einem Mikrofone in den Radkästen sagen sollen, wenn viel Wasser auf der Straße steht, und einem dann eine entschärfte Fahrdynamik-Regelung vorschlagen? Aber Hochmut kommt vor dem Fall und der könnte ansonsten eben schnell in der Leitplanke enden. Denn nur weil er sich so leicht fahren lässt wie ein Polo, ist und bleibt der Elfer ein Porsche und ist nur einen Gasstoß von der Rennstrecke entfernt.
Treibende Kraft ist dabei zunächst ein 3,0-Liter-Turbo mit 450 statt bislang 420 PS, der jetzt 530 Nm mobilisiert. Er schafft den Sprint von 0 auf 100 km/h im besten Fall in 3,5 Sekunden und kommt bei Vollgas auf 308 km/h. Aber wie immer bei Porsche wird die Palette breit aufgefächert: Das Basismodell mit 385 PS steht schon in den Startlöchern, einen GTS wird es genauso geben wie einen Turbo und einen Turbo S und natürlich sind auch GT und RS längst in der Pipeline. Nur einem Plug-In-Hybriden erteilen die Schwaben vorerst eine Absage und beruhigen die Porsche-Puristen damit gleich noch ein bisschen mehr. Zwar sei die Plattform darauf vorbereitet, räumen die Entwickler ein. Doch noch geht für sie die Balance aus Leistung und Gewicht nicht so weit auf, dass sie diesen Schritt wagen würden. So wie bei den Motoren wird es auch bei den Karosserie-Varianten reichlich Nachschub geben. Das Cabrio hat Porsche schon enthüllt und es kommt pünktlich zum Saisonstart und der Targa wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Wenn der Elfer nach dem ersten Ausritt zurück in seinen Stall kommt, knistert und dampft wie ein rassiges Pferd nach einem Parforce-Ritt und nach heißem Gummi und glühenden Bremsscheiben riecht, dann ist es mal wieder wie immer bei diesem Porsche: Der Fahrer hat ein breites Grinsen in seinem Gesicht und die Kritik ist vergessen. Denn Evolution oder Revolution, Tradition oder Fortschritt – Porsche mag den Elfer mit der Generation 992 mal wieder neu erfunden haben. Aber im Grunde ist auch der neue 911 ganz der Alte.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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