Wenn uns Renault nächste Woche in Genf endlich den elektrischen R5 präsentiert, mag das zwar ein Hoffnungsträger sein und ein Aufbruch in die Zukunft. Doch neu ist die Idee nicht. Denn schon das Original gab es mit Batterien statt Benzintank – und fast wäre daraus eine Erfolgsgeschichte wie Tesla geworden.
Wenn Luca De Meos blick über den neuen R5 schweift, dann schwärmt der Renault-Chef gerne von der „Renaulution“ und davon, dass die elektrische Revolution mit dem Rückgriff auf den großen Star unter den französischen Kleinwagen jetzt endlich Fahrt aufnehmen wird, weil der neue so knuffig aussieht, weil er halbwegs alltagstaugliche Fahrleistungen bieten will und weil er in der Basisversion trotzdem nur 25.000 Euro kosten soll. Doch so neu, wie der Vorstandsvorsitzende tut, ist die Idee von der Elektrifizierung gar nicht. Sondern schon damals in den 1970ern haben sie den kleinen Gallier unter Strom gesetzt. Und während sich die Entwickler in Paris mit einer Kleinserie für den Staat begnügt haben, wollten ein paar Amerikaner 1978 in Athol im US-Staat Massachusetts mit dem kleinen Europäer das ganz große Rad drehen.
Sechs Jahre zuvor präsentiert und in Europa zum meistverkauften Auto überhaupt aufgestiegen, geht der R5 als „LeCar“ 1976 auch jenseits des Atlantiks an den Start. Zusammen mit dem zum „Rabbit“ umbenannten VW Golf und dem Opel C-Kadett als Chevrolet Chevette soll er den Amerikanern das Sparen schmackhaft zu machen. Mit anfangs mäßigen, später aber ganz respektablen Erfolg. Schließlich wurden in sieben Jahren immerhin 160.000 Exemplare verkauft und der kleine Charmeur hat die Absatzmarken der Franzosen in den USA kräftig nach oben getrieben: Von 5.780 Zulassungen im Jahr von seinem Debüt auf 37.702 im Jahr 1982, bevor er im März 1983 wieder seinen Abschied von den USA genommen hat.
Einen ganz kleinen Anteil daran haben auch die Herren C. H. Waterman und John H. Kauffmann, die hinter der „US Electric Car Corporation“ aus Athol stecken, den R5 mit viel Enthusiasmus, Engagement und Eigenkapital zum Elektroauto umgebaut und als „Lectric Leopard“ angeboten haben. Ein paar amerikanische Überzeugungstäter mit erfolgreichem Fundraising, ein europäisches Importauto, viel Idealismus, Improvisationstalent und jede Menge Batterien? Die Geschichte kommt einem irgendwie bekannt vor: Denn knapp 30 Jahre später wiederholt ein gewisser Elon Musk das gleiche Spiel mit einer Lotus Elise, macht daraus den Tesla Roadster und legt damit den Grundstein für einen der aktuell erfolgreichsten Autohersteller der Welt. Alles schon mal da gewesen – nicht nur der elektrische R5, sondern auch die Tesla-Story ist also ein Remake.
Anders als Elon Musk wollten die Visionäre aus Massachusetts allerdings weder die Welt noch das Klima retten. Sondern ihr Kleinwagen sollte die Amerikaner mit seinem sanften Schnurren davon überzeugen, dass es bessere Autos für die Fahrt ins Büro, zum Supermarkt oder zum Friseur gibt, als ihre Straßenkreuzer. „Ich fahre jeden Tag 32 Meilen ins Büro und zurück “, gab Verleger Kauffmann zu Protokoll, der seinen „Washington Star“ für das Abenteuer mit Waterman verkauft hat. „Wer zum Teufel braucht dafür einen Cadillac, der mit einer Gallone Sprit gerade mal neun Meilen schafft.“
Obwohl der Leopard für 50 Cent zu laden war, ging es den Gründern allerdings weniger um die Energiepreise. Kein Wunder bei damals etwa 65 Cent pro Gallone. Und erst recht nicht ums Klima. Denn auch wenn Greenpeace schon 1971 gegründet wurde, konnte man Global Warming Anfang der 1980er noch nicht einmal buchstabieren. Und selbst Greta Thunbergs Eltern waren da allenfalls noch unbesorgte Teenager.
Sondern vor allem wollten Waterman und Kauffmann ihren Landsleuten ein wartungsarmes und deshalb ebenso komfortables wie billiges Auto schmackhaft machen, das nicht ständig in die Werkstatt musste, keinen Ölwechsel brauchte und trotz Schaltgetriebe so einfach zu fahren war wie mit einer Automatik.
Also haben sie den für amerikanische Verhältnisse ohnehin schon schmächtigen 1,3-Liter mit seinen 58 PS im Bug aus – und einen E-Motor samt sechs Batterien vorne und zehn weiteren unter einem zweiten Boden im Kofferraum eingebaut. Der Tank wurde entfernt, statt der Benzinleitung wurden ein paar Strippen gezogen und für die kalte Jahreszeit gab’s einen Glühdraht hinter der Frontscheibe sowie einen Heizlüfter im Fußraum des Beifahrers.
Über Nacht geladen, schafft der elektrifizierte R5 damit 60 bis 80 Meilen (96 bis 128 km) bei einem Spitzentempo von immerhin 55 Meilen pro Stunde oder knapp 90 km/h: „Mehr Auto braucht man nicht“, schwärmt Kauffmann, der seine Kontakte in Washington nutzt und mächtig die Trommel rührt. Wenn man seinen großen Sprüchen glaubt, ist der Lectric deshalb bald so bekannt ist wie „Kleenex“ und wird zum Synonym einer neuen Autogattung. Auch im Selbstbewusstsein oder je nach Sichtweise der Selbstüberschätzung gibt es also gewisse Parallelen mit Tesla und Elon Musk.
Die allerdings beim Erfolg der Marke schnell wieder enden. Zwar waren Elektroautos damals offenbar echt ein großes Thema, es gab allein in Amerika bald ein Dutzend Start-Ups und das Department of Energy hat den Markt für die Mitte der 1980er auf 20.000 Autos pro Jahr und für das Ende des Jahrtausends sogar auf 100.000 Zulassungen geschätzt. Doch entweder war die Zeit doch noch nicht reif oder das Auto vielleicht doch nicht das richtige, um eine Massenbewegung anzuzetteln. Was vielleicht auch am Preis für die neue Technologie liegen könnte, der damals wie heute etwa doppelt so hoch war wie für die alte: Wo Renault „Le Car“ für 3 495 Dollar verkauft hat, wollten Watermann und Kauffmann für den Lectric Leopard für 6.995 Dollar.
Statt also zum Tesla der Achtziger aufzusteigen, hatte die Bewegung mit dem gerade mal 3,5 Meter langen Renault buchstäblich einen „Kurzen“ und kam nach nur drei Jahren wieder zum Erliegen . Mehr als 400 Autos, so ist auf Webseiten mit so trefflichen Namen wie „Carsthatnevermadeit “ nachzulesen, hat es deshalb nicht gegeben. 30 Jahre Später baut Elon Musk vom Tesla Roadster bereits die sechsfache Anzahl, von den vielen hunderttausend Model S, Model X, Model Y und Model 3 ganz zu schweigen.
Der Lectric Leopard wird deshalb nicht als berühmter Vorreiter bewundert, sondern nur als elektrischer Exot bestaunt. „Erst recht in Europa“, sagt Bernd Schouren, Renault-Händler aus Brüggen-Bracht am Niederrhein und Elektro-Enthusiast der ersten Stunde, der den Sonderling sein eigen nennt. Denn als Renault der Welt vor zehn Jahren mit den elektrischen Zoe den Beginn einer neuen Ära verkaufen wollte, wusste er es besser und wollte allen beweisen, dass er recht hat. Also hat er so lange im Netz gestöbert, bis er auf eine Kleinanzeige aus Indiana gestoßen ist und ein paar Monaten später zwischen zwei Amischlitten der wahrscheinlich erste und einzige Lectric Leopard in Europa aus einem Container kullerte.
Noch steht der Lectric Leopard in Brüggen-Bracht ziemlich verloren zwischen ein paar anderen Oldtimern und den vergleichsweise seelenlosen Renault-Stromern der zweiten Generation. Doch bald, ganz bald gebührt ihm ein Ehrenplatz, neben dem neuen R5 Electric, der spätestens nach den Sommerferien in den Showroom surren soll. Dann feiert Bernd Schouren eine Familienzusammenführung, der Kreis schließt sich und vielleicht kommt sogar mal ein Tesla Roadster-Fahrer vorbei. Und wenn es nur ist, um zu lernen, dass seine elektrische Elise beileibe nicht die erste war. Eben alles schon mal da gewesen.