
Groß, kantig, elektrisch. Ein Statement auf vier Rädern. Oder besser: auf vier Walzen. Das sich nun, sozusagen unter koreanischer Flagge, anschickt, die immer und immer wieder verzögerte Ankunft eines rein elektrischen Range Rover (und die Frage stellt sich unermüdlich immer wieder, wer denn sowas braucht, abgesehen vom Zeitgeist) sozusagen vorwegzunehmen. Wer hier Standesdünkel entgegensetzt, muss vorsichtig sein: Die Genesis des Rufes koreanischer Autos hat sich rasant von Armenauto über Designwunder hin zu Technokönner gewandelt. Spätestens seitdem E-Autos nicht nur zum guten Ton gehören, sondern ihn eigentlich intonieren, stehen Kias wie auch Hyundais jedenfalls in der ersten Reihe.
Ich gestehe: Der elektrische Fortschritt, er begegnet mir stets mit einer Mischung aus Ehrfurcht und leiser Kränkung. Ehrfurcht, weil er unaufhaltsam ist. Und Kränkung, weil er unbarmherzig das ersetzt, was ich an einem Automobil zu lieben gelernt habe: das sonore Grollen, das mechanische Pulsieren, das leise Versprechen der Unvernunft, das einem Benziner innewohnt. Oder auch deshalb, weil es unverschämt lustig ist, ein E-Auto zu pilorieren. Wer gerne fährt, kann nur aus ideologischen Gründen gegen den E-Antrieb sein. Und das wäre mir dann doch viel zu blöd.

Ein Auftreten wie ein Südkoreaner mit Cowboyhut
Schon sein Anblick ist kein Anblick, sondern ein Auftritt. Als hätte man ein Bauhausmöbel in einen Windtunnel gestellt und es dann, ohne Rücksicht auf runde Kanten, zur automobilen Serienreife erklärt. Da steht er also, in kühner Monumentalität, mit 5,01 Metern Länge und einer Präsenz, die selbst einem Parkhaus das Selbstwertgefühl raubt. Kein Chrom, kein Prunk, kein Pomp – aber eine Strenge, die man nur mit einem architektonischen Begriff beschreiben kann: funktionale Erhabenheit. Mit der man sich eisern vornahm, Trends zu setzen; Es ist wohl kein Zufall, dass der Santa Fe, das Schwesternmodell sozusagen von Hyundai, sich in seiner neuesten Ausformung ein ähnlich radikales Auftreten gönnt.
Die Silhouette des EV9 wirkt wie aus einem Science-Fiction-Film. Klare Linien, scharfe Kanten, ein kantiges Gesicht mit schmalen LED-Augen, das ist kein Auto, das sich duckt. Der EV9 steht da wie ein Rollkommando aus Seoul – aber freundlich.
Wohnlichkeit mit Nachdruck
Ich öffnete die Tür – elektrisch natürlich, wie sich’s geziemt – und wurde hineingesogen in einen Innenraum, der mir zunächst wie ein Missverständnis vorkam. Nicht, weil er unfreundlich gewesen wäre. Sondern weil er sich weigerte, Auto zu sein. Vielmehr war er Salon, Lounge, kontemplativer Rückzugsort. Innen dominiert Raum. Raum in Hülle und Fülle. Sitze wie Fernsehsessel, Platzverhältnisse wie in einer Präsidentenlimousine. Die dritte Sitzreihe? Keine Strafbank, sondern vollwertige Loge. Es gibt dort – und ich wage es kaum zu sagen – auch eine eigene Klimazone. Ich erinnere mich nicht, wann ich zuletzt in einem Auto so viel Rücksicht in den letzten zwei Sitzreihen erlebt habe. Vielleicht im Orientexpress. Die Materialien? Nicht ganz S-Klasse, aber sauber verarbeitet, ökologisch ambitioniert (vegan!), angenehm unaufgeregt.


Fahren wie im Wohnzimmer – nur schneller
Drücken wir auf „Start“ – ein leises Surren, kein Fauchen, kein Röhren. Der EV9 gleitet los, wie ein stiller Tanker durch die Straßen. Die getestete GT-Line-Variante hat zwei E-Motoren mit zusammen 385 PS und Allradantrieb. Genug Kraft, um das knapp 2,7 Tonnen schwere Schiff in 5,3 Sekunden auf 100 zu wuchten. Beeindruckend – aber nicht aufregend. Die Beschleunigung ist linear, glatt, ohne jede Dramatik. Er verzichtet auf die brachiale E-Wucht, wie man sie von anderen Stromern kennt, und ersetzt sie durch eine souveräne Linearität. Wie ein Lehrmeister, der seine Schüler nicht anschreit, sondern sie durch bloße Anwesenheit diszipliniert. Die Lenkung ist – um ein Torberg’sches Bild zu bemühen – wie ein intellektuelles Gespräch: klar, direkt, aber nicht sentimental. Die Federung: angenehm neutral, wie ein gepflegter Unparteiischer. Er kann Kurve, wenn er muss. Aber er fragt stets: „Warum so eilig?“
Das Auto fährt nicht nur elektrisch – es denkt elektrisch. Und manchmal hat man den Eindruck, es denkt dabei mehr nach als der Mensch am Steuer. Was er halt, wie es sich der neuesten Mode nach geziemt, auch eine Spur zu oft durch – wie wir finden – unangebrachtes Gepiepse zum Ausdruck bringt. Bis man all die Überwachungs-Freundlichkeiten ausgeknipst hat, ist es fast schon Baden. Und das Auto rächt sich für diesen, aus seiner Sicht, unfreundlichen Vorgang durch mehrere Hinweise darauf, dass der Fahrer unaufmerksam wäre und langsam eine Pause bräuchte. Was einen freilich bei eventuell vorhandenen Passagieren schnell in Verruf bringt. Er wird doch nicht ….?!?


Die Technik – oder: Der stille Stolz der Ingenieure
Mit seiner 99,8-kWh-Batterie verspricht der EV9 realistische 450 Kilometer Reichweite. Und ja, das kommt auch ungefähr hin, solange man nicht permanent auf der linken Spur lebt, er ist somit einer der großen Gelassenen seiner Zunft. Dank 800-Volt-Technologie lädt der EV9 an Schnellladern in gut 20 Minuten von 10 auf 80 Prozent. Das ist beachtlich – und aktuell nur wenigen vorbehalten. Ebenso wie das bidirektionale Laden: der EV9 kann Strom abgeben, nicht nur nehmen. Etwa an ein Haus, ein E-Bike oder, in einer Art paradoxen Modernität, an ein anderes Auto. Das alles klingt nach technischer Zauberei – aber der EV9 trägt sie mit Würde. Er prahlt nicht. Er lässt sich Zeit, erklärt nicht viel. Wie ein weiser Onkel, der alles kann, aber niemandem etwas beweisen muss.
Fazit: Der KIA EV9 ist nicht sexy – aber souverän
Der KIA EV9 ist kein Auto für die linke Spur und den Herzschlag. Aber eines für Verantwortung, Komfort und modernes Reisen. Er hat keine Allüren, aber klare Prinzipien. Ein Auto, das nicht protzt, sondern bietet.
Zwischen 69.990 und 87.990 Euro liegt der Preis für den EV9, je nach Ausstattung, der GT legt da noch knapp 7.000 Euro drauf (dafür gibts dann aber auch 505 PS). Eine Summe, bei der der Kleinbürger in mir kurz die Augenbrauen hebt – und der automobile Feuilletonist in mir milde nickt. Denn was man dafür bekommt, ist kein Fahrzeug, sondern ein Konzept. Ein rollendes Manifest koreanischer Ambition. Ein Gegenentwurf zu deutschen Muskelprotzen, zu amerikanischer Selbstüberschätzung, zu britischer Selbstgefälligkeit. Der EV9 ist nicht laut, nicht cool, nicht protzig. Aber er ist groß. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
Ich stieg aus – elektrisch, versteht sich – und dachte: Vielleicht ist das die Zukunft. Vielleicht muss man sie nicht lieben. Es reicht, wenn man sie respektiert. Und heimlich den Spaß genießt, den sie dem Fahrer bringt.




Technische Daten:
Antrieb und Leistung
EV9 RWD (Heckantrieb)
- Leistung: 150 kW (204 PS)
- Drehmoment: 350 Nm
- 0–100 km/h: ca. 9,4 Sekunden
- Höchstgeschwindigkeit: 185 km/h
EV9 AWD (Allradantrieb)
- Leistung: 283 kW (384 PS)
- Drehmoment: 700 Nm (GT-Line sogar 700 Nm statt 600 Nm beim Standard-AWD)
- 0–100 km/h: 5,3 Sekunden (GT-Line)
- Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h
Batterie und Reichweite
- Batterietyp: Lithium-Ionen-Polymer
- Kapazität (netto/brutto): 99,8 kWh (brutto, netto ca. 95 kWh)
- Systemspannung: 800 Volt (Hyundai/KIA E-GMP Plattform)
- WLTP-Reichweite:
- RWD (19″ Felgen): bis zu 563 km
- AWD: ca. 512–505 km (je nach Ausstattung/Felgen)
- GT-Line AWD: 489–497 km
- Verbrauch (WLTP):
- RWD: ca. 20,5 kWh/100 km
- AWD: ca. 22,8 kWh/100 km
Ladezeiten und Ladeleistung
- DC-Schnellladen (max.): 210 kW
- 10–80 % in ca. 24 Minuten
- ca. 239 km Reichweite in 15 Minuten (unter Idealbedingungen)
- AC-Laden (Wechselstrom):
- Standard: 11 kW, 3-phasig
- Ladezeit 0–100 %: ca. 9,5 Stunden
- Ladeanschluss: CCS (Kombistecker)
- Bidirektionales Laden (Vehicle-to-Load, V2L):
- bis zu 3,6 kW über Typ-2 oder Steckdose
- zum Laden von Haushaltsgeräten, E-Bikes oder anderen Autos