Mercedes-AMG GT 63 S E-Performance: Elektroschock
Sie hatten mit dem SLS E-Cells schon einen Stromer am Start, als sie bei Konkurrenz noch in Benzin gebadet haben. Doch war der Akku-Sportler eher Technologieträger als Bestseller und so klein wie die Verkaufszahlen war das Engagement der Entwickler. Aber jetzt legt auch AMG den Schalter um und beugt sich dem Unausweichlichen: Weil die CO2-Vorgaben aus Brüssel drücken und die Political Correctness auch vor einer Performancemarke keinen Halt macht, haben sich die schnellen Schwaben jetzt ebenfalls vom Zeitgeist elektrifizieren lassen und eine neue Strategie entwickelt: E-Performance lautet ihr Zauberwort, mit dem sie den alten Fahrspaß und die neue Nachhaltigkeit unter einen Hut bringen wollen. „Damit transportieren wir unsere typische DNA in eine elektrifizierte Zukunft“, sagt AMG-Chef Philipp Schiemer und rollt während der IAA in München ein Auto ins Rampenlicht, das alle Zweifel an Lust und Leidenschaft künftiger AMG-Modelle im Keim ersticken soll. Schließlich leistet der zum ersten Plug-In-Hybrid im AMG-Portfolio aufgerüstete GT Viertürer irrwitzige 843 PS und wird damit zum stärksten Straßenauto, das je die eiligen Hallen von Affalterbach verlassen hat. Allerdings dürfte auch der Preis von geschätzt knapp unter 200.000 Euro neue Höhen erreichen.
Für ihren Einstand auf der Electric Avenue haben sich die schnellen Schwaben weiter von der Muttermarke emanzipiert: Statt aus Sindelfingen holen sie ihre Komponenten lieber aus Brixworth, machen sich Formel 1-Technik zu eigen und entwickeln eine komplett neue Batterie mit doppelt so hoher Leistungsdichte für mehr Power bei weniger Platzbedarf und eine extrem schnelle Leistungsaufnahme und –abgabe. Möglich macht das eine bislang konkurrenzlose Direktkühlung, mit der jede der insgesamt 560 Lithium-Ionen-Zellen einzeln umströmt und im idealen Thermofenster gehalten wird. So kann der Akku jederzeit voll boosten und beim Bremsen genügend Energie aufnehmen, damit ihm selbst auf einer Runde um die Nordschleife nicht die Puste ausgeht. Glaubt man den Entwicklern, fühlt sich der Boost aus der Batterie an wie ein Elektroschock für Fahrer und Fahrzeug.
Ebenfalls neu und bislang noch nirgends installiert ist das automatische Zweigang-Getriebe für die zunächst auf maximal 150 kW oder 204 PS ausgelegte E-Maschine, das spätestens bei 140 km/h hochschaltet und so die elektrische Unterstützung bis zur Höchstgeschwindigkeit ermöglicht. Kombiniert wird der als kompakte Einheit im Heck integrierte Plug-In-Baustein im GT Viertürer mit dem bekannten V8-Turbo, der aus seinen 4,0 Litern Hubraum schon alleine 639 PS schöpft. Kein Wunder also, dass der GT mit seinen bis zu 1.470 Nm trotz mehr als zwei Tonnen Lebendgewicht in 2,9 Sekunden auf Tempo 100 kommt und bis zu 316 km/h schafft.
Der Fortschritt bei der Effizienz ist dafür eher gering. Denn mit zunächst 6,1 kWh ist die Batterie nicht mal ein Viertel so groß wie etwa im Plug-In-Hybriden der neuen C-Klasse und liefert entsprechend weniger Reichweite liefern. Statt der mehr als 100 Kilometer aus der Großserie sind gerade mal zwölf Kilometer möglich, räumt AMG ein. Immerhin genug, um geräusch- und emissionslos durchs Wohngebiet zu stromern oder bis zur Autobahn zu fahren. Allerdings reicht das kaum für einen geschönten Normverbrauch: Weil der Viertürer mindestens 88 von 100 Kilometern mit Sprit statt Strom fährt, stehen am Ende deshalb trotzdem noch 8,6 Liter in der Liste.
Zwar gibt AMG mit dem elektrifizierten Gran Tourismo einen sportlichen Einstand auf der Electric Avenue, und mit dem EQS 53 steht der erste Vollzeit-Stromer ebenfalls schon in den Startlöchern. Doch auch der Elektroschock kann nicht über ein Grundproblem des AMG-Flaggschiffs hinwegtäuschen, sondern verschärft es sogar noch. Denn als Mercedes-AMG GT Viertürer 63 S E-Performance wird der rasende Luxusliner gar vollends zum Zungenbrecher – und reißt in den allermeisten Ländern längst das Tempolimit, bevor man seinen Namen überhaupt vollständig ausgesprochen hat.