Speed Storm!
von Franz J. Sauer
Anfang September war es mal wieder so weit. Scheinbar erwirkte die Welt im Kraftfeld zwischen Ukraine-Krise und IS-Terror keine brauchbaren Klatsch-Meldungen, auch hatte kein brauchbarer Promi irgendwo geheiratet, nichtmal ein Benefiz-Muschelessen mit c bis z-Promis konnte man zur Kurzmeldung verwursten. Also musste der boulevardgetriebene Publikations-Mitbewerb sich über etwas anderes entrüsten. Und worüber schüttelt man das kollektive Haupt inbrünstiger, als über Personen, die mutmaßlich bis vorsätzlich unser aller Leben schwerstens gefährden, weil sie Tempolimits negieren?
Mit 221 Sachen war der 24jährige im Raum Seewalchen über die A1 gebrettert. Und hatte zu seinen alten Hyundai Sonata offenbar anständig gemolken – der Zulassungsschein des Fahrzeuges wäre stolz, hätte er solche Fabelwerte bei „Bauartgeschwindigkeit“ stehen. Einiges an Anlauf hatte es sicher auch gebraucht, um die Rodel derart auf Speed zu bringen, man könnte also wertfrei mutmaßen, der Mann wollte seine Karre einfach mal an die Grenzen des Geschwindigkeitsmessers treiben, bis es nur so blau raucht aus dem Auspuffrohr und die Schaftdichtungen ein für allemal verpuffen. Blöderweise wurde er nun dabei erwischt.
Ähnliches gestand der von der medial gut vernetzten Austro-Cobra-11 Gestellte gleich vor Ort, scheinbar nicht nur gegenüber der Polente, sondern auch vor dem flink herbeigeeilten Lokalreporter einer Tageszeitung. Worauf ihm von dieser stantepe das Prädikat „Irrer Raser“ verliehen wurde, obwohl keineswegs überliefert oder gesichert scheint, dass der Mann seinen Sonata in Schlangenlinien oder über alle drei Spuren des West-Bandes dahingeorgelt hatte, also irgendwelche Irrheiten praktiziert hätte. Noch an Ort und Stelle wurde dem Mann der Führerschein abgenommen, gluckst der Artikel sensationslüstern weiter, um die Spannung gleich zum nächsten Höhepunkt zu treiben. Der Hammertatbestand bezüglich Peter B. folgt nämlich noch – adrette Leserin, geneigter Leser, halten Sie sich bitte fest: Peter B. ist Pensionist. Mit 24!
Weiters werden im Artikel noch die Gmundener Frühstückspension der Mutter, die Tatsache, dass der Bua noch bei ihr lebt und dass ihn Mama auch noch finanziell unterstützt in unmittelbaren Kausalzusammenhang mit jenem Verbrechen gestellt, das etwa 200 Kilometer weiter nördlich kaum für ein polizeiliches Achselzucken gesorgt hätte. Ein Glück, dass Herr B. bloß einen Hyundai fuhr – man stelle sich die Aufregung vor, hätte man ihn als „BMW-“, „Audi-“ oder gar „Porsche-Fahrer“ anprangern können.
Klar: Wer zu schnell fährt, dies an der falschen Stelle mit falschem Gerät und in der falschen Konstitution tut, gefährdet seine Mitmenschen. Er tut dies dann aber unabhängig von Familien-, Berufs- oder Kontostand. Was haben derlei Fakten also in der öffentlichen Anklageschrift der anonymen Kopfschüttler und Speedstormer zu suchen?
Wer zu schnell fährt, gefährdet möglicherweise seine Mitmenschen. Was hat das aber mit seinem Familien-, Berufs- oder Kontostand zu tun?